Die aktuelle (Wirtschafts-)Stimmung in Deutschland ist wie Aschermittwoch und Karfreitag an einem Tag. Für Betrübnis sorgt selbst Amerika, unser ehemaliger bester Freund und Beschützer. Leistet sich unsere politische Elite auch nach der Bundestagswahl weiter Problemignoranz, ist der geopolitische Abstieg in die 2. Liga sowie der Verlust von Wohlstand, Versorgungssicherheit und politischer Stabilität nicht aufzuhalten.
In der Rückbetrachtung waren die 80er, 90er und die Nuller-Jahre klasse. Doch nimmt aktuell das Gefühl der Krise zu. Ist das Jammern auf hohem Niveau? Im Vergleich zu vielen anderen Ländern geht es uns doch immer noch gut. Immerhin sind wir in puncto Wirtschaftsleistung weltweit immer noch die Nr. 3. Dennoch ist unverkennbar, dass die Perspektiven schwinden. Man kann auch langsam verbluten.
Von außen wird der Druck größer. China, auf das wir früher herabgeblickt haben, versucht uns auf vielen Industriefeldern die Butter vom Brot zu nehmen. Und China wird beim Butter-Klau kein Einzelfall bleiben. Reicht es bald nicht einmal mehr für Margarine?
Dann hat auch noch ein jahrzehntelanger geopolitischer Klassiker, DAF, die deutsch-amerikanische Freundschaft, schweren Schaden genommen. Erinnern Sie sich noch an Zeiten als neugewählte Präsidenten zuerst nach Großbritannien, danach aber sofort nach Deutschland reisten? Heute kommt vielleicht noch der Vize. Und wenn er kommt, dann bleibt einem wie bei J.D. Vances eiskalter Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Spucke weg. Bei Trump als „neuem Sheriff in der Stadt“ ist von transatlantischer Partnerschaft keine Rede mehr. Sein Motto jetzt: Ich Chef, du nix.
Die Empörungsbeauftragten sind aktiv wie Backhefe, wenn die Trump-Regierung Europa bei der Befriedung des Ukraine-Kriegs, der in unserem Vorgarten tobt, links liegen lässt. Bei früheren Konfliktlösungen war immer ein deutscher Kanzler mittendrin. Heute ist er noch nicht mal mehr dabei.
Auch Asche auf unser Haupt: Wenn die deutsche Braut sich nicht schmückt, darf sie sich nicht wundern, wenn Amerika kein Gefallen an ihr findet. Unzählige Male hat vor allem Deutschland sich vor geopolitischer Verantwortung gedrückt. Statt zu handeln, hat man zuletzt für Kamala Harris gebetet. Und so spricht man, wenn es um uns geht, nicht mehr mit uns, sondern nur noch über uns.
Auch das frühere deutsche Wirtschaftswunderland wird im Ausland schon lange nicht mehr bewundert. Diese Entwicklung kann man nicht allein der Ampel anlasten. Auch 10 Jahre vorher wurden unsere Wirtschaftstugenden nicht mehr befolgt. Es wurde von der Substanz gelebt. In der Tat waren wir schon vor Corona und Ukraine-Krieg schwachbrüstig.
Es bringt nichts, von morgens bis abends über Trump wie eine beleidigte Leberwurst zu schmollen. Gleiches gilt für Russland, das uns die Pest an den Hals wünscht. Unsere Empörung wird Amerikaner und Russen nicht aufhalten, die EU wie einen Ochsen an der Nase durch die Manege zu führen.
Ich erinnere mich an meine Schulzeit zurück. Als damals mein immer großzügiger Alt 68er-Klassenlehrer durch einen harten Hund ersetzt wurde, war ich nicht erfreut. Aber ich musste mich damit abfinden, habe mich darauf eingestellt, mich angestrengt und sogar bessere Noten erzielt.
Vor allem Deutschland als einflussreichstes Land der EU muss endlich den geopolitischen Weckruf hören und Gemeinnutz fördern, was bei 27 EU-Ländern zwar nicht einfach ist. Aber Berlin hat seine europäischen Hausaufgaben zu machen und sollte zunächst wieder Französisch lernen.
Daneben brauchen wir eine wehrtüchtige Bundeswehr im Rahmen einer verbesserten europäischen Sicherheitsarchitektur. Mit Schrott und Wattebällchen werfen funktioniert Abschreckung nicht.
Daneben muss eine Wirtschaftspolitik her, die auf Markt-, statt auf Staatswirtschaft setzt. Ohne Wachstum ist kein Land stark. Und wenn uns Amerika nicht mehr liebhat, bandeln wir mit anderen Ländern an. Allerdings muss unsere Mitgift für neue Beziehungen im Rahmen bleiben. Wenn uns Amerika den Rock nimmt, geben wir nicht auch noch das Hemd an China oder Indien. Geben ist nicht seliger denn nehmen. Neue Beziehungen müssen auch uns finanziell Spaß machen. Überhaupt, wenn Trump meint, dass wir uns allein um die Ukraine zu kümmern müssen, ist klar, dass beim Wiederaufbau vor allem unsere Industrieunternehmen profitieren. Mit dieser insgesamt anzustrebenden neuen Stärke lassen sich schließlich auch gute Deals mit Dealmaker Trump erzielen.
Leider tun alle Parteien im Bundestagswahlkampf so, als ob etwas Kosmetik allein ausreicht, um die alte (Wirtschafts-)Schönheit Deutschlands wieder aufblühen zu lassen.
Ignoranz, Realitätsverweigerung und eine Reformunfähigkeit, die an unbewegliche Eisenbahnschwellen erinnert, sind umzukehren, um den weiteren Verfall aufzuhalten.
Unser Staatshaushalt muss zum Wirtschafts-TÜV. Z.B. sind nicht alle NGOs so großartig, dass sie finanziert werden müssen. Überhaupt ist die überbordende Vollkaskoversicherung nicht mehr zu bezahlen, ohne die, die Leistung erbringen, zu überlasten. Und da Energiekosten die Arbeitskosten der Zukunft sind, müssen sie runter und darf Energie kein Engpassfaktor sein. Wenn beide Voraussetzungen fehlen, wird in Deutschland nicht investiert.
Und wieso regt man sich über US-Zölle auf, wenn bestehende Gegenzölle teilweise höher sind und EU-interner Bürokratismus und Protektionismus viel schlimmere Handelshemmnisse darstellen?
Natürlich wissen die Parteien, dass Reformprozesse nicht ohne Schmerzen für Wähler ablaufen können. Auch nicht für Politiker: Die Agenda 2010 hat Kanzler Schröder das Amt gekostet. Und da wir zu lange mit Süßem verwöhnt wurden und Karies und Parodontose sich ausbreiten konnten, müssten die Berliner Zahnärzte mit viel größeren Instrumenten ran.
Doch wie soll diese Zahnwurzelbehandlung erfolgen, wenn die nächste Bundesregierung absehbar wieder eine Koalition wird? Ein Durchregieren wie in Amerika gibt es bei unserem Verhältniswahlrecht nicht. Es könnte sogar wieder eine Dreier-Beziehung werden, bei der immer einer zu viel ist und der Streit vorprogrammiert ist. Das war schon bei Lady Di, Prince Charles und Camilla so. Dann droht wieder die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, der aber nur Schmerzmittel verteilt, die Zahnfäule aber nicht bekämpft.
Wie wahrscheinlich ist also der Einsatz der großen Reforminstrumente? Unsere Damen und Herren Politiker haben aber keine Wahl, wenn sie ihren Amtseid ernstnehmen. Von allein oder ein bisschen Reform wird nichts besser, nur schlimmer. Zuerst fallen die Zähne aus und am Ende können Deutschland und auch Europa geopolitisch und wirtschaftlich überhaupt nicht mehr zubeißen.
Man sollte mit Worten wie Schicksalswahl vorsichtig sein. Doch findet am 23. Februar tatsächlich eine Schicksalswahl statt. Ab 24. Februar darf es nicht wieder heißen: „Es muss sich was ändern, aber alles so bleiben wie es ist.“
Der deutsche Aktienmarkt wird sich auch ohne deutsche (Wirtschafts-)Reformen weiterdrehen. Unternehmen, auch die kleineren, werden, wenn nötig, sich immer mehr wettbewerbsfähigeren Standorten zuwenden.
Wird es nicht auch für den deutschen Standort höchste Zeit, dass sich endlich wieder was dreht, vor allem für Perspektiven, Wohlstand und Arbeitsplätze?