2023 haben Aktien deutlich besser performt als prophezeit. Es bewahrheiteten sich die alten Weisheiten, dass der Markt immer Recht hat und dass neben Risiken auch Chancen beachtet werden sollten. Und was ist mit 2024? Die Erwartungshaltungen sind positiv. Vielleicht zu positiv, weil bereits viel Potenzial im alten Jahr verfrühstückt wurde und die Krisen unterschätzt werden? Könnte das kommende Börsenjahr sogar zum direkten Gegenteil von 2023 werden?
Zinsen schmecken Aktien so wenig wie Spinat den Kindern. Je höher, umso mehr Bah Pfui. Seit Oktober jedoch hat sich der Ekel deutlich zurückgebildet. Denn die Inflation schmilzt wie Schnee im Frühjahr und macht so den Weg für zinspolitische Umkehr frei, den der Rückgang der Anleiherenditen bereits antizipiert.
Laut der Einschätzung der Finanzmärkte gibt es ab Frühjahr Zinssenkungen. Die bisherigen Falkenhorste der Notenbanken entwickeln sich also wieder Richtung Taubenschlag. Insbesondere für hoch bewertete Wachstumsaktien wie Tech-Werte ist das ein Vorteil.
Was aber, wenn die eingeplanten Zinssenkungen auf sich warten lassen? So könnte die Inflation im Euroraum im I. Quartal 2024 einen kleinen Zwischenspurt z.B. über höhere CO2-Bepreisungen in Deutschland und das Auslaufen von Energiebremsen in anderen Euro-Staaten einlegen. Und zur Unterstreichung ihrer stabilitätspolitischen Glaubwürdigkeit könnte sich dann die EZB für die schöne Zins-Bescherung mehr Zeit lassen. Und sollte die Fed als Mutter aller Zins-Schlachten ebenso zögern, würden die Aktienmärkte sicher auf dem falschen Fuß erwischen.
Not amused wären die Börsen ebenso, wenn die eingepreisten Erleichterungen bei den Leitzinsen von jeweils ungefähr 150 Basispunkten zusammengestrichen würden. Die Reibungsverluste für Aktien blieben nicht aus. Vor allem die Technologietitel hätten dann das Nachsehen.
Ein Hinausschieben der Zinssenkungen ist nicht auszuschließen. Doch lassen die verhaltene Weltkonjunktur und die nicht müde werdende Neuverschuldung vermuten, dass aufgeschoben nicht nur nicht aufgehoben heißt, sondern dass die Zinssenkungen eher das bis dato vom Markt eingepreiste Ausmaß noch überschreiten könnten. Vergessen wir nie das Glaubensbekenntnis der Finanzmärkte, das uns seit 2008 nicht im Stich lässt: Wo die Not am größten, ist die Geldpolitik am nächsten.
Ende 2024 werden wir kaum auf ein Wirtschaftswunder-Jahr zurückblicken. Die letzten Frühindikatoren lassen einen schwierigen Jahresanfang erwarten. Fundamental ist das nicht der Stoff aus dem die Aktienträume sind.
Doch ist hier Platz für eine Finanzregel: Börsen bezahlen Zukunft. Denn schaut man sich die massiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen in China an, ist ab Mitte des Jahres eine allmähliche Konjunkturerholung zu erwarten, die neben Asien auch in Exportnationen wie Deutschland streut. Und in Amerika können gemäß dortiger Usancen teure Kredite nach Zinssenkungen zügig in günstigere gewandelt werden. Dann ist mehr finanzieller Spielraum da, um Konsum oder Unternehmensinvestitionen anzukurbeln. Auch daraus wird die Weltkonjunktur Nektar ziehen.
Nicht zuletzt werden die weltweit anhaltend massiven staatlichen Ausgabeprogramme für Verteidigung, Infrastruktur oder Digitalisierung dem Wirtschaftswachstum auf die Sprünge helfen.
Vor diesem Hintergrund dürfte insgesamt die konjunkturelle Stabilisierung unterschätzt werden, so dass Aktien 2024 fundamental positiv überraschen können. Vor allem exportsensitive und konjunkturzyklische Aktien (Chemie, Elektro, Maschinenbau, Ausrüster) wären entzückt. Überhaupt sind sie nach wie vor günstig bewertet. Das gilt insbesondere für die zweite Reihe von Aktien in den USA (Russell 2000) und Deutschland (MDAX, SDAX, TecDAX). Sie sind eine „Anlage-Sünde“ wert.
Übrigens, wenn 2024 neben Tech- auch konjunktursensitive Werte lohnenswert sind, wird sich auch die Marktbreite vergrößern und damit die Aktienmärkte insgesamt stabilisieren.
Leider sind Querschläger von politischer Seite immer möglich. Deutschland ist da keine Ausnahme mehr. Besonders schlimm ist, dass die Wirtschaftspsychologie mit Füßen getreten wird. Statt klare Leitplanken einzuziehen, damit Verbraucher und Unternehmen planen können, werden Nebelfelder angelegt, die die Orientierung erschweren. Es legt der Wirtschaft eine unnötige Bleiweste an.
Das politische Großereignis 2024 ist im November die Präsidentenwahl in den USA. Nach aktuellen Umfragen wird wohl ein Republikaner in das Weiße Haus einziehen. Einerseits könnte dann die amerikanische Unterstützung für die Ukraine zurückgefahren werden, was - positiv aus Sicht der Börse - für ein Einfrieren des Konflikts spricht. Allerdings muss es dann von Russland im Gegenzug belastbare Sicherheitsgarantien geben.
Andererseits wird sich Europa warm anziehen müssen. Die frühere, heiße transatlantische Liebe der Amerikaner speziell zu Deutschland wird sich weiter abkühlen. Die USA werden nur noch an einen denken, an sich selbst. Wann versteht Europa, dass es ohne eigene geopolitische, wirtschaftliche und technologische Stärke gegenüber China, Russland und eben auch Amerika immer mehr zum Leichtgewicht wird, mit dem man den Molli machen kann. Es ist dringend und zügig erforderlich, dass Europa sich endlich Kampfgewicht anfrisst.
Vor diesem Hintergrund flüchten sich immer mehr Firmen in internationale Standorte, wo sie attraktivere Produktions- und Absatzstandorte vorfinden. Für ihre Aktienkurse ist es egal, wo Umsätze gemacht oder Kosten gespart werden, ob in Amerika, Asien oder sonst wo. Hauptsache, es passiert irgendwo.
Schwarze Schwäne können auch im nächsten Jahr nicht ausgeschlossen werden. Aber wir sollten nicht den Fehler machen - das zeigte 2023 - die weißen zu ignorieren.
Anfang des Jahres ist aus heutiger Sicht mit einer Dürreperiode an den Aktienbörsen zu rechnen, bis sich die Zinssenkungen materialisieren und die Weltkonjunktur Besserung signalisiert. Da sich beides im weiteren Jahresverlauf jedoch einstellen wird, sollte diese Zeitspanne für Zukäufe genutzt werden.
Auch ist im neuen Börsenjahr mit mehr Schwankungen zu rechnen. Der Schmerz für Anleger hält sich aber sehr in Grenzen, weil es mit regelmäßigen Ansparplänen ein prima Schmerzmittel gibt.