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Halvers
Kolumne

 
06.09.2023

Anstrengungsloser Wohlstand ist nur Wunschdenken

Das Schlaraffenland ist eine wunderbare Theorie: Alles ist immer im Überfluss und umsonst verfügbar.  In der Praxis jedoch sind die Gesetze des Wirtschaftens gnadenlos: Keine Leistung ohne Gegenleistung. Dennoch suggerieren manche Politiker, diese Regeln außer Kraft setzen zu können. Doch am Ende zahlen wir dafür alle einen extrem hohen Preis.

In Deutschland, das über keine bedeutenden Rohstoffe verfügt, muss alles, was wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse oder auch Ansprüche brauchen, irgendwie erwirtschaftet und bezahlt werden. Umsonst und im Überfluss gibt es nur die Luft zum Atmen.

Diese vernünftige Einschätzung war in Deutschland jahrzehntelang Mainstream. Von nichts kommt nichts. Insgesamt haben uns unsere deutschen Wirtschaftstugenden wie Fleiß, Innovation, Qualität oder Zuverlässigkeit eine brillante Industriegüterkultur hervorgebracht und uns einen Massenwohlstand beschert, um den uns die ganze Welt beneidete. 

Nicht zuletzt warf dieses Wirtschaftssystem so viel ab, dass auch Sozialleistungen für z.B. alleinerziehende Mütter, arme Familien und Rentner oder Menschen mit Behinderung gezahlt werden konnten.

Die deutsche (Auto-)Industrie ist nicht mehr einzigartig

Vor diesem Hintergrund sollte klar sein, dass man dieses deutsche Erfolgsmodell weiterführen muss, um die wirtschaftliche und soziale Zukunft zu sichern. Das gilt primär für die Bereiche, in denen große Expertise besteht, z.B. im Autobau. Hier waren wir lange Zeit die Innovations-Weltmeister, das Maß aller Dinge. Und da davon auszugehen ist, dass weltweit auch morgen und übermorgen noch Autos über die Straßen fahren, bleibt dieses Geschäftsmodell auch lebendig.  

Allerdings wird der Wettbewerb immer brutaler. China will die Auto-Zukunft gewinnen und wirft uns eiskalt den Fehdehandschuh hin. Die IAA Mobility in München beweist dies deutlich: Chinesische Hersteller treten dort mit großem Selbstbewusstsein auf. Sie haben die größten Stände und Pressekonferenzen finden sogar auf Mandarin statt. Für sie sprechen zunächst massive Kostenvorteile. Hinzu kommt, dass sie nicht unter jenen Kinderkrankheiten leiden wie das noch vor etwa 50 Jahren bei japanischen Autos der Fall war. Vor allem aber haben die Chinesen bei der E-Mobilität vielfach die Nase vorn und können so im hart umkämpften Massenmarkt mit Innovationsführerschaft glänzen, was den mental vielleicht schwierigen Wechsel von Deutsch auf Chinesisch auch abseits des Preisvorteils erleichtert.

Diesem Wettbewerbskampf - übrigens auch gegenüber Tesla - muss sich die Autoindustrie zunächst selbst stellen. Sie hat die großen und versäumten Hausaufgaben zu machen bzw. nachzuholen. Wenn es nicht mehr wie früher automatisch süßen Brei vom Himmel regnet, muss man ihn sich selbst kochen.

Das wirtschaftspolitische Umfeld hat für gute Stimmung zu sorgen

Doch wird man in Deutschland immer weniger Autos bauen, wenn der Industriestandort nicht wettbewerbsfähig ist. Deutschland gehört nicht mehr zu den 20 wettbewerbsfähigsten Staaten der Welt. Unsere Konkurrenten nutzen diese Schwäche schamlos aus. Vor diesem Hintergrund kann die Berliner Wirtschaftspolitik von deutschen Autobauern nicht verlangen, im Heimatland zu investieren, wenn es an attraktiven Rahmenbedingungen - erstklassige (Netz-)Infrastruktur, gutes Bildungssystem ohne Lehrermangel, akzeptable Steuerbelastung und Bürokratie, Innovations- und Start up-Förderung, im weltweiten Vergleich tragbare Energiepreise - mangelt. Heimatliebe spielt in der Wirtschaft keine Rolle. Ganz wichtig ist Planungssicherheit. Viele Firmen fragen sich, was kommt da in Deutschland noch auf mich zu. Die Katze im Sack will niemand kaufen. Da geht man lieber dorthin, wo das Wirtschaftsumfeld freundlich und klar wie Kloßbrühe ist. Und dann kommt es gesamtwirtschaftlich zum umgekehrten Katalysatoreffekt: So gehen weitere (Zuliefer-)Unternehmen weg oder in die Pleite und vernichten Arbeitsplätze und Wohlstand.

Seit Kriegsende waren wir sehr lange Zeit verwöhnt durch Politikern mit viel Wirtschaftssachverstand. Denken wir an Ludwig Erhard mit seiner sozialen Marktwirtschaft oder an Helmut Schmidt, der dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter auf G6- bzw. später G7-Gipfeln Nachhilfe in Wirtschaftsfragen gab.

Heutzutage allerdings lässt die Wirtschaftskompetenz nach. Das ist gefährlich, wenn sich genau diese in vielen unserer aufkommenden aber auch etablierten Konkurrenzländer immer größerer Beliebtheit erfreut. Der größte Einbruch der Auftragseingänge in der Industrie seit gut drei Jahren sollte als Gedankenfutter dienen. Wenn der deutsche Wirtschaftsminister von einer anspruchsvollen Wirtschaftslage spricht, ist jetzt die Gelegenheit, anspruchsvolle Wirtschaftspolitik zu betreiben.   

Bloß keine ideologischen Wirtschafts-Experimente

Deutschland lebt immer mehr von seiner Substanz. Seit Schröders Agenda 2010 fehlt es an Strukturreformen, weil es den Wahlergebnissen der SPD nicht gutgetan hat. Diese Angst vor dem Wähler ist auch der Grund, dass die Nachfolgeregierungen eher die Hände in den Schoß gelegt haben. Überhaupt, warum etwas tun, wenn es gut läuft. Aber gerade in guten Zeiten muss man an die schlechten denken. Und es wurde schlechter, sehr viel schlechter.

Aber wo bleibt der Lernerfolg? Statt auf den Weg der Wirtschaftstugend zurückzukehren, wird sogar noch das Leitbild eines anstrengungslosen Wohlstands an die Wand gemalt. Wie aber soll Deutschland zukünftig im globalen Wettbewerb bestehen, wenn Leistung schon in jungen Jahren in Schulen und Sportstätten nicht gefördert wird. Unsere Produktivität fällt wie ein Stein.

Und es geht auch um Belohnungsmechanismen. Arbeit muss finanziell so attraktiv sein, dass Menschen sie einem Leben mit bedingungslosem Einkommen klar vorziehen. Diesen Leuten kann man noch nicht einmal einen Vorwurf machen, denn sie verhalten sich ja ökonomisch klug und nehmen die staatlichen Gaben an. Doch ist dieses Szenario denjenigen gegenüber unfair, die diese Bedingungslosigkeit mit bedingungsloser Arbeit bezahlen. Deutschlands einzigartiger Mittelstand wird gemolken wie eine Kuh, die allerdings - da sie nicht ordentlich gefüttert wird - immer mehr abmagert.

Wenn sich in den Köpfen der Menschen durchsetzt, dass sich Arbeit und Leistung immer weniger lohnt oder diese - auch Privateigentum - durch staatliche „Gerechtigkeit“ möglichst großzügig wegbesteuert wird, geht die gesamte Volkswirtschaft langsam, aber sicher den Bach herunter. Es gibt kein einziges historisches Beispiel dafür, das ein überregulierender Staat jemals Erfolg hatte. Eher wachsen Wassermelonen in der Wüste. Unsere Konkurrenten würden uns überrunden, die Wohlstandsmedaillen gewinnen und wir nur wertlose Blechorden abbekommen. 

Gibt es Grund zur Hoffnung? Immerhin ist in Umfragen die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg groß. Die Bürger erkennen, dass das Schlaraffenland mit anstrengungslosem Wohlstand nur ein Märchen ist, aber nicht die Realität. Offenbar sind sie den Weihrauch geschwängerten Hypermoralismus einer kleinen Minderheit satt, die der großen Mehrheit ihren Willen Richtung betreutem Denken aufzwingen will.

Jetzt kommt es „nur“ noch auf die richtige Politik an, die neuen Töne wie „Deutschland-Pakt“ mit Leben zu füllen. Schaffen wir das? Wenn nicht werden wir geschafft!