2022 war das Glück den Kapitalmärkten wenig hold. Inflation, Zinsen, Konjunktur, China und Ukraine-Krieg bescherten eine lange Verlustserie. 2023 werden diese Einflussfaktoren erneut an den Börsen gespielt. Mit zu erwartenden positiven Entwicklungen wird jedoch die Pechsträhne enden.
Heftige Preissteigerungen sind für Aktien immer unangenehm, da Notenbanken mit geldpolitischer Knute reagieren, was Zins- gegenüber Aktienanlagen aufwertet. Allerdings geht es preislich mittlerweile überall runter: Benzin, industrielle Vorprodukte, Logistik, Gebrauchtwagen oder Eigenheime. Auch Arbeitskosten in den USA sind keine Einbahnstraße mehr nach oben.
Also, quo vadis, Inflation? Zur Beantwortung fällt der Blick auf die Zeit nach der Ölkrise 1973. So wie damals ist auch jetzt eine Halbierung der Verbraucherpreise drin, da Energie früher wie heute - vor allem Gas - der wichtigste Inflationstreiber war und ist. Das bremst auch die Zweitrundeneffekte über Lohn-Preis-Spiralen.
Die internationale Geldpolitik hat die Lektion gelernt, Inflation nicht zu unterschätzen. Daher werden sie vorerst falkenhaft sprechen. Aus Glaubwürdigkeitsgründen würde dies jeder von uns tun. Und dennoch ist Mitte 2023 Schluss mit Zinserhöhungen der Fed und EZB, die dann bei ca. 5,25 bzw. 3,5 Prozent liegen werden. Ohnehin kommt der EZB ein wiedererstarkter Euro entgegen, der die importierte Rohstoffinflation zusätzlich abbremst.
Auch die japanische Notenbank stellt keine geldpolitische Bedrohung dar. Sicherlich haben ihre vermeintlichen Stabilitätsanfälle zu internationalen Liquiditätsängsten geführt, da sie seit vielen Jahren eine bedeutende Geldschleuder für die Welt ist. Da wirklich restriktive Maßnahmen aber für Japan selbst einem Harakiri gleichkämen, ist mit einer echten geldpolitischen Wende nicht zu rechnen.
Bei einer so laufend geringer werdenden Zinserhöhungsangst wird die Freude an den Aktienbörsen nicht ausbleiben, selbst wenn die US-Leitzinsen erst Ende 2023 gesenkt werden dürften.
Für die Aktieneinschätzung ist neben der Zinsfrage die fundamentale wichtig. Im ersten Halbjahr ist zunächst mit einem schwachen Wirtschaftsverlauf zu rechnen, dem im zweiten jedoch eine Erholung folgt.
Die größte Unbekannte der Weltkonjunktur ist China. Tatsächlich führt ein BIP-Wachstum im Land der Mitte um ein Prozent zu einem weltweiten BIP-Anstieg um 0,3 Prozent und umgekehrt. Von besonderer Bedeutung ist der Immobilienmarkt, auf den fast 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung, ca. 40 Prozent aller Bankkredite und etwa 70 Prozent der privaten Vermögen entfallen. Die bisherigen Covid-Restriktionen der KP in Peking haben hier leider „ganze Arbeit“ geleistet: Der Bausektor samt Häuslebauer liegt am Boden. Im Gegensatz zu 2015, als Chinas Binnenkonjunktur rund wie im Sushi Circle lief, haben Chinesen aktuell eher Angstsparen als Immobilienerwerb im Kopf.
In puncto Wirtschaftswiederöffnung war Peking lange Zeit die Braut, die sich nicht traut. Jetzt, da endlich aufgemacht wurde, erkranken unzählige Chinesen an Corona. Anscheinend setzt die KP auf eine exponentielle Infektionslage, so dass China zügig durchimmunisiert wird. Bei Erfolg wird China wieder zum Turbo der Weltwirtschaft, der für (deutsche) Exportindustrien Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen lässt. Angesammelte Aufträge können endlich abgefertigt werden und Rechnungen geschrieben werden. Es ist ja wie beim Tanztee. Wenn der Herr die Dame oder bei Damenwahl die Dame den Herrn auffordert, ist man lange noch nicht verheiratet.
Tatsächlich legen die Konjunkturerwartungen gemäß Sentix für Schwellenländer, die Eurozone und Deutschland eine klar positive Trendwende nahe. Die wieder frohere Konjunktur-Botschaft überbringt auch der Welt-Frühzykliker Caterpillar, der zuletzt ein neues Allzeithoch erreichte. Weniger positiv sind die Prognosen für Amerika. Aber auch deswegen wird die Fed zinspolitisch bald beidrehen, um den konjunkturellen Overkill zu verhindern.
Vor diesem Konjunkturhintergrund ist nach einem vorübergehenden, nicht gewaltigen Gewinnrückgang mit einer allmählich Aktien-freundlichen Stabilisierung zu rechnen. Ohnehin bläht die Inflation Umsätze und Gewinne nominell beträchtlich auf. Das mag zwar nur fauler Zauber sein. Dennoch wirkt er auf die Psychologie der Anleger wegen ihrer schwachen Erwartungshaltung wie Salbe auf eine Wunde.
Im ersten Halbjahr 2023 wird es noch zu Frustphasen kommen, da die Geldpolitik noch nicht liefert und die Konjunktur zunächst April-wetterhaft verläuft. Da sich aber im zweiten Halbjahr die Wogen zunehmend glätten, sollte diese Zeit als Investitionsphase betrachtet werden.
Am Anfang der Erholungsphase werden Blue Chips der großen Aktienindices bevorzugt. Denn wie bei einer früheren Waschmittel-Werbung gilt die Maxime: „Da weiß man, was man hat“. Das gilt ebenso für exportorientierte DAX-Titel, die sich aufgrund ihrer Weltgeltung von einer deutschen Wirtschaftspolitik emanzipieren können.
Denn leider hat diese oft eine ähnliche Wirkung wie Saft und Limonade auf einen Junggesellenabschied. Über alles wird viel Moralsoße gegossen. Man fragt sich, warum Vater Staat, der in puncto Steuerbelastung schon Weltspitze ist und Rekordsteuern vereinnahmt, keine wettbewerbsfähigen Standortbedingungen schaffen kann. Wie gelingt das der Schweiz mit deutlich weniger Steuerstaat. Es ist zu vermuten, dass Deutschland auch mit 200 Mrd. Euro mehr Steuereinnahmen nicht über die Runden kommt. Der Staat ist ein verfressener Nimmersatt. Und leider zeigt die Finanz-Geschichte ohne Ausnahme immer eines. Immer mehr Staat ist nicht die Lösung des Problems, immer mehr Staat ist das Problem.
Auch Tech-Werte kommen wieder, wenn auch etwas später. Bei ihnen beweist sich die alte Börsenweisheit, dass jüngsten Kursentwicklungen eine zu hohe Bedeutung für die Zukunft beigemessen werden. Und so klebt das Schicksalsjahr 2022 an Technologietiteln wie Kaugummi am Schuh.
Hier muss dringend Lösemittel her. Denn da sich die Welt innovativ und virtuell immer weiterdreht, geht an Technologieunternehmen grundsätzlich kein Weg vorbei wie an Hessen, wenn man von Norden in den Süden oder umgekehrt will. „Burggraben“-Titel, die mit robustem Eigenkapital ausgestattet sind, daher weniger teures Fremdkapital brauchen und so insgesamt auch weniger Risiko bergen, sind jetzt schon kaufenswert.
Und noch eine Hoffnung, vielleicht eine Vision zum Schluss. Ja, es ist noch kein Ende im Ukraine-Krieg in Sicht. Doch wird sich Putin längst eingestanden haben, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Sollte es - durch welchen glücklichen Umstand auch immer - zumindest zu einem eingefrorenen Konflikt, einem nachhaltigen Waffenstillstand kommen, könnte dies für die Aktienmärkte speziell in Europa aufgrund der geographischen Nähe eine ähnlich positive Entwicklung haben wie das Ende des Vietnams-Kriegs für die US-Börse.
Und da Börsen gerne in die Zukunft schauen, gilt wie im Casino: Mesdames et Messieurs, Faites Vos Jeux, Ihre Einsätze bitte, machen Sie Ihre Börsen-Spiele. Am besten in den Jahresanfangsmonaten, bevor die Kurse zu hoch sind und es heißt: Rien Ne Va Plus, nichts geht mehr.