Die temporeichen Zinserhöhungen der Fed wirkten 2022 auf die Börsenstimmung wie der garstige Gehilfe des Nikolaus mit seinem typischen Handwerkszeug. Zu lange hatten sich die Anleger wohl an die zu frohe Botschaft des „Kapitalismus ohne Zins“ gewöhnt. Plötzlich mussten sie erleben, dass aus dem Aktien-Freund wieder der -Feind wird.
Die Rutenschläge steigender Zinsen und Anleiherenditen treffen Aktionäre gleich mehrfach. Zunächst werden die heißen Aktienbewertungen wieder auf den Boden kalter Tatsachen geholt. Die endlose Happy Hour von High-Tech-Aktien scheint doch eine Sperrstunde zu kennen.
Und warum noch risikobehaftete Aktien kaufen, wenn es risikolose Zinsen gibt? Zusätzlich bremsen die verteuerten Kreditzinsen egal ob für Konsum, Immobilien oder Investitionen die Wirtschaft nicht nur, sie drohen sie sogar schrumpfen zu lassen. Das hat naturgemäß negative Auswirkungen auf Unternehmen, deren bunte Teller weniger üppig mit Gewinnen gefüllt sind, was wiederum für weniger fundamental-süße Kursstimmung sorgt.
Nicht zuletzt ist da die Inflationsentwicklung als bestimmende Größe für die Zinspolitik. Die Vorfreude an den Finanzmärkten auf sinkende Preisraten wurde 2022 schon oft enttäuscht. Erst kürzlich hat sich Fed-Chef Powell als Grinch mit Falkenfedern gezeigt, der das hohe Lied der Preisstabilität singt und von der Wende der Zinswende noch nichts wissen will.
Ist das Warten aufs Christkind, auf die schöne Aktien-Bescherung also eher das Warten auf Godot? Stehen die Börsen auch 2023 noch lange unter dem Kommando des Ruten-Manns?
So wie die Inflation nicht ewig unten bleiben kann, wird sie auch nicht für immer steigen. Tatsächlich ist die Inflationswende eingeleitet. In den USA zeigt die harte Zins-Knute der Fed bereits Wirkung. Und in den nächsten Monaten, wenn Rezessionsängste zu- und damit Inflationsängste abnehmen, wird dieser Effekt noch verstärkt. Und grundsätzlich geben die früheren Preistreiber von gestern immer mehr klein bei: Rohstoffpreise sinken und kaputte Lieferbeziehungen werden wieder zu festen Ketten. Also: Die US-Notenbank muss die Konjunktur nicht erst in den kalten Schrumpfungs-Winter führen, um der Inflation die innere Hitze zu nehmen.
Allerdings bleiben Preisrisiken bestehen. So können Effekte aus der Wiederauffüllung der arg geschrumpften Ölvorräte der OPEC-Länder ebenso für Grinch-Effekte sorgen wie in Europa eine unausgegorene Energiepolitik.
Apropos Europa, die EZB mimte zuletzt den Weihnachtsschreck, indem sie eine für ihre Verhältnisse knallharte Zinserhöhungsstrategie zur weiteren Inflationsbekämpfung ankündigte. Offensichtlich will sie die Scharte ihrer viel zu späten Reaktion auf die Preisexplosion auswetzen. Gleichzeitig öffnet sie mit dem Terminus „Datenabhängigkeit“ aber ein Türchen, um bei Bedarf jederzeit zinspolitisch abzurüsten. Und die EZB beschäftigt sich ja nicht nur mit Preis-, also Zinspolitik, sondern auch mit Mengen-, sprich Liquiditätspolitik. Die harte Zinspolitik gleicht sie mit wenig Liquiditätsverknappung aus. So bleibt für die Euro-Süd-Länder die Vergünstigung ihrer Anleiherenditen, sprich Schuldzinsen gesichert, oder - anders ausgedrückt - wird ihnen als Schuldensündern weiter die Absolution erteilt. Wäre der Finanzmarkt ein Krippenspiel, wäre die EZB-Präsidentin nach wie vor das Christkind und die europäischen Finanzpolitiker die Heiligen Drei Könige, die zur Huldigung herbeieilen.
Ja, manche Anleger freuen sich über das Ende der Strafzinsen wie Kinder über bunt verpackte Pakete unterm Weihnachtsbaum. Aber auch für die schönste Verpackung gilt: Auf den Inhalt kommt es an. Die Anlagezinsen werden auch 2023 real negativ sein. Nein, auch wenn die historisch tiefen Zinsen nicht wiederkommen, kann von Zinsangst auch in der Eurozone nicht gesprochen werden.
Natürlich wird die Sprache der Notenbanker vorerst wenig stimmungsvoll sein. Theoretisch sind sie immerhin die Verteidiger der Stabilitätsmoral. Doch „Nicht an ihren Worten, sondern ihren Taten sollt ihr sie erkennen“. Die Leitzinsen in den USA laufen bei etwa 5,25 und in Europa bei etwa 3 Prozent aus. Und die 10-jährigen Renditen für Staatsanleihen werden in der Spitze in den USA im nächsten Jahr bei ca. 4 und in Deutschland bei etwa 2,3 Prozent liegen. Das ist wahrlich kein Zins- oder Renten-Crash.
Diese frohe Botschaft werden die Finanzmärkte vorzeitig honorieren. Also sollten auch die Anleger frühzeitig dabei sein. Man kauft die Geschenke ja auch vor der Bescherung.