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Halvers
Kolumne

 
02.02.2022

Eine Taube im Falkenkostüm ist noch lange kein Falke

Zurzeit betreibt die Fed klare Mobilmachung gegen die Inflation. Ihr ungewohnt emotionales Kampfgeschrei für Preisstabilität ist tatsächlich so überzeugend, dass die Anlagemärkte in Deckung gehen. Doch macht ein nüchterner Realitäts-Check klar, dass ihrem verbalen Buhei keine entsprechend heldenhaften Taten folgen. Und die EZB ist ohnehin mit der Heilsarmee vergleichbar.    

Grundsätzlich kann die Fed als Nr. 1 unter den Notenbanken die ungewohnt hohe Inflation nicht einfach schulterzuckend akzeptieren. Ansonsten riskierte sie einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust. Daher kündigt sie mit viel Tamtam Leitzinserhöhungen und Liquiditätsverknappungen an. Aber wieviel Falkenhaftigkeit muss man der Fed wirklich abkaufen?

​​​​​​​Das Inflationsproblem ist vor allem ein Angebotsproblem

Die aktuell hohen Preisraten kommen primär nicht von der Nachfrage- sondern der Angebotsseite. So haben viele Industriebetriebe weltweit während der wirtschaftsschwachen Corona-Zeit keine Vorprodukte mehr bestellt, um kein Lagerkostenproblem zu bekommen. Und in der Folge haben auch die Produzenten von Vorprodukten ihre Hände in den Schoß gelegt. Als dann jedoch die Lockdowns endeten, wollten alle zeitgleich wieder an die Objekte der Begierde kommen. Bei gleichzeitig brüchigen Transportketten konnten die Preise für Grundstoffe und damit die Inflation nur steigen. Nicht zuletzt hat auch der Ukraine-Konflikt bei Öl- und Gaspreisen den Turbo gezündet. Dieses angebotsseitige Inflationsproblem kann die Fed so wenig heilen wie Aspirin einen Beinbruch.  

Doch wird sich der sog. „Schweinezyklus“ im Inflationskampf als willkommener Waffenbruder erweisen. Denn wenn etwas wie im Moment knapp ist und insofern gute Preise zu erzielen sind, wird auch mehr produziert. Irgendwann allerdings ist so viel Angebot auf dem Markt, dass die Preise wieder fallen. Es mag noch utopisch klingen, aber Ende des Jahres diskutieren wir auch über eine Schwemme bei Halbleitern. Die Zins-Daumenschrauben muss die Fed insofern gar nicht so stark anziehen.

Kein Kreditwachstum, kein Wirtschaftswachstum  

Und dann ist da noch die Kraft des Faktischen, an der selbst die allmächtige Fed ohnmächtig nicht vorbeikommt. Grundsätzlich fußt das Wirtschaftswachstum Amerikas auf einem immer weiter steigenden Kreditvolumen. Es ist wie beim Hochhausbau: Nur, wenn die Statik stimmt, ist das Höherbauen möglich. Verteuerten sich Kredite also zinspolitisch übermäßig, so dass ihr Volumen im Extremfall sinkt, fällt mangels Tragfähigkeit auch die Wirtschaft in die Rezession. Die immer wieder erhobene, ideologiegetriebene Forderung, sich vom Wachstumsbegriff zu „befreien“, ist für Beschäftigung, Wohlstand und sozialen Frieden grober Unfug. Übrigens fehlen dann auch die Erträge, um die zunehmenden Kredite ordentlich bedienen zu können. Hallo Schuldenkrise!

Anlagemärkte dürfen nicht zu Problembären werden

Neben den direkten Reibungsverlusten zu hoher Zinsen für die Wirtschaft, sind die indirekten nicht minder gefährlich. Wie viele Zinserhöhungen halten die Immobilien- und Aktienmärkte als die zwei maßgeblichen Vermögensquellen der Amerikaner aus? Würden die Häuserpreise flächendeckend kräftig nachgeben, wird der gefühlte Verarmungseffekt und die geringere Beleihbarkeit von Onkel Toms Hütte sicher nicht Anreize bieten, sich bald ein neues Auto oder Möbel zu kaufen. In der Tat scheint der US-Immobilienmarkt bereits das Beste hinter sich zu haben. 

Apropos Zinsen, sind sie gering, sind sie ein Segen für den Aktienmarkt. Umgekehrt wird ein Fluch daraus. Mittlerweile haben Wertpapierkredite, die bei Kursverlusten erhöhte Sicherheitsleistungen erzwingen, ein fast 13-stelliges Dollar-Volumen erreicht. Es käme zum Zins-Nightmare on Wall Street, wenn steigende Zinsen eine Teufelsspirale aus Kursverlusten, Nachschusspflichten und panischen Aktienverkäufen auslösen. Dann sind selbst die daueroptimistischen Amerikaner vom Stamme Hasenfuß. Und es wäre fatal, wenn die hoffnungsfrohen amerikanischen Neuaktionäre der letzten zwei Jahre - immerhin die Einwohnerzahl von Bayern und Baden-Württemberg - nicht nur desillusioniert dem Aktienmarkt, sondern auch verarmt der Konjunktur den Rücken kehren.   

Stabile Finanzmärkte und Wachstum sind untrennbar miteinander verbunden. Insofern muss die Fed ihren Status als Schutzpatronin für die Anleger unbedingt behalten und Abstand nehmen von vehementen zinsseitigen Säkularisierungen.     

Die Angst vor der Zinswende ist schlimmer als die Zinswende selbst

Vor diesem Hintergrund und auch aufgrund der schlechten historischen Erfahrungen wird die Fed den Zinserhöhungskrieg nicht auf die Spitze treiben.

Die US-Notenbanker haben es mit einem Optimierungsproblem zu tun. Die Zinsen sind einerseits so anzuheben, dass sie bei der Inflation die gefürchteten Zweitrundeneffekte verhindern. Denn nachhaltige Inflation saugt den Konsumenten ähnlich wie ein Vampir Kaufkraft ab. Immerhin sind die Verbraucher das entscheidende Rückgrat der US-Wirtschaft. Andererseits müssen sie verhalten ausfallen, um die Anlagemärkten nicht an einen Kipppunkt zu bringen.   

Und bei der Europäischen Zentralbank muss man sich noch weniger um deutliche Zinsrestriktionen sorgen. Zwar empört sich so mancher Notenbankdirektor wie seine US-Kollegen auch über hohe Preissteigerungen. Die EZB hat aber im Vergleich noch mehr Aufgaben neben der Inflationsbekämpfung zu erfüllen. Unter den Notenbanken ist die EZB so etwas wie der „Thermomix“. Sie muss vor allem die gewaltigen Zentrifugalkräfte in Europa bändigen, um die Länder zusammenzuhalten.  

Insgesamt, auch wenn sich die Notenbanken Falkenkostüme anziehen, sind sie dennoch Tauben. Die Anlagemärkte werden früher oder später begreifen, dass trotz zinspolitischem Kriegsgeschrei der Pazifismus grundsätzliche Handlungsmaxime der Geldpolitik bleibt.