Es klingt zunächst ehrenhaft, wenn sich ein virtueller Flashmob von braven Kleinanleger machtvoll gegen skrupellose Hedgefonds wehrt. Im Sherwood Forest, in der Finanzwelt, soll doch Robin, das Gute, gegen den Sheriff von Nottingham, die Hochfinanz, gewinnen, oder? Bei näherer Betrachtung entwickelt sich die Sache aber weniger edelmütig, ja kann sogar fatale Folgen ausgerechnet für die Guten haben.
Nach der Finanzkrise 2008 entwickelte sich in Amerika die Bewegung „Occupy Wallstreet“. Sie kritisierte, dass die Finanzindustrie gerettet wurde, während Otto-Normale ihre Häuser und Arbeitsplätze verloren. Auch jetzt in der Corona-Pandemie, die massenhaft soziale Schieflagen produzierte, während die Börsen steigen, nahm die Kritik vor allem an den Hedgefonds als vermeintliche Fahnenträger des ungerechten Kapitalismus erneut Fahrt auf. Sicher, während Banken durchreguliert wurden, haben Hedgefonds mit Shortselling, mit Leerverkäufen - also Aktien verkaufen, die man nicht besitzt bzw. sich nur leiht - immer noch gewaltigen Markteinfluss.
Aber jetzt, angesichts der virtuellen Möglichkeiten scheint die Zeit der Rache für die kleinen Leute gekommen zu sein. Auf kostenlosen Trading-Apps trommeln „demokratische“ Online-Broker“ zum Sturm auf die Hedgefonds-Bastille, die man tunlichst schleifen solle. Hilfreich dabei sind ebenso die für US-Verhältnisse großzügigen Sozial-Schecks. Selbst diese werden teilweise in jene Aktien angelegt, die von Shortsellern bedroht sind.
Mit Musketier-ähnlicher Geschlossenheit und virtuell kollektivem Kauf von Aktien haben viele Kleinanleger endlich die Macht, erfolgreich gegen multi-milliardenschwere Hedgefonds vorzugehen. Je mehr eine Aktie kostet, desto größer wird der Verlust der auf fallende Kurse spekulierenden Heuschrecken. Mittlerweile musste bereits ein Hedgefonds gerettet werden. Die volkskapitalistische (Börsen-)Revolution von ganz unten gegen ganz oben scheint zu funktionieren. Karl Marx hätte seine Freude gehabt.
Diese „Gerechtigkeits-Revolte“ bekommt absurderweise sogar Unterstützung von den ganz Großen in der Wirtschaftswelt. Kein geringerer als Elon Musk hat sein Herz für die Kleinanleger im Kampf gegen die Shortseller entdeckt. Auf Twitter machte er unverhohlen Werbung für die GameStop-Aktie, was den Schmerz für die Hedgefonds noch verstärkte.
Aber ist Mr. Musk wirklich so ein Edelmann? Immerhin wird auch sein Unternehmen Tesla von Hedgefonds kritisch beleuchtet. Sie fragen, warum Tesla so viel teurer ist als Toyota oder die gesamte deutsche Autoindustrie, obwohl Umsätze und Gewinne des Unternehmens im Vergleich dramatisch abfallen und mittlerweile alle großen Autokonzerne E- und Batterie-Aktivitäten fahren.
Könnte es sein, dass Musk sein eigenes Mütchen an den Leerverkäufern der Wall Street kühlen will und dass dabei die virtuelle Massenbewegung kleiner Investoren die passende Gelegenheit ist? „Honi soit qui mal y pense“ sagt der Franzose dazu. Tatsächlich, im Kampf gegen Tesla sahen die Shortseller bisher immer alt aus. Mit erzwungenen Aktieneindeckungen haben sie den Tesla-Kurs sogar noch weiter steigen lassen.
Man muss aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Shortsellende Hedgefonds stehen nicht im Verdacht, heiliggesprochen zu werden. Unter ihnen gibt es zweifellos gewissenlose Gesellen, die auch gesunde Unternehmen und ihre Beschäftigte bedrohen. Bah Pfui! Setzen, Sechs!
Allerdings sorgen sie auch für Flurbereinigungen. Ähnlich wie Löwen halten sie nach schwachen Tiere Ausschau, suchen sich am liebsten kleine Unternehmen mit zweifelhaften Geschäftsmodellen aus. In der Tat, welchen Sinn macht es, wenn Zombie-Unternehmen viel zu teuer sind, obwohl deren Geschäftsmodelle brüchig wie altes Holz sind? Warum muss ein Kinobetreiber ein Aktien-Highflyer sein, wenn immer mehr Kinofilme gestreamt werden. Und welche Chancen hat ein stationärer Einzelhändler für Computerspiele, die heute online heruntergeladen werden? Übrigens, wäre es aus heutiger Sicht nicht besser gewesen, wenn man Shortselling auf Wirecard weiter erlaubt hätte?
Wie auch immer, extreme Kurssprünge lassen viele junge, vor allem unerfahrene Hedgefonds-Bekämpfer glauben, dass es für die gute Tat auch noch Geld zu verdienen gibt. Das macht Lust auf mehr. Spätestens jetzt ist der Herdentrieb geweckt. Jetzt zocken immer mehr Kleinanleger.
Richtig spannend wird es, wenn alle Leerverkäufer eingedeckt sind, der Kaufdruck endet und damit die Brandbeschleuniger aus dem Markt sind. Dann treibt das Robin Hood-Lager die Hausse u.a. mit Hebelprodukten allein weiter.
Irgendwann werden einige Anleger die Gunst der Stunde nutzen und Kasse machen. Da diese Gewinnmitnahmen am Markt nicht unentdeckt bleiben, setzt der umgekehrte Herdentrieb ein. Früher oder später wird die Aktie wieder auf den Boden der fundamentalen Tatsachen zurückgeholt. Plötzlich machen die gutgläubigen „Hedgefonds-Bekämpfer“ Verluste. Insbesondere die Hebelprodukte sorgen für den Super-Gau im Depot. Zum Schluss endet die Revolte der meisten Kleinanleger wie die Bauernaufstände im Mittelalter.
Und wer sind die Gewinner in diesem Zockerkrieg? Es sind die Kommandeure, die auf Trading-Apps die heldenhafte Abwehr gegen die Hedgefonds organisieren. Es sind die Strippenzieher, die ihre Truppen, die kleinen Soldaten, die Kleinanleger für sich kämpfen und schließlich aufreiben lassen. Diese sendungsbewussten Gerechtigkeits-Apostel wissen ganz genau, wann sie welche Aktien in das virtuelle Schaufenster stellen und mit viel Tamtam Kaufwellen lostreten müssen. „Völlig uneigennützig“ sind sie vorher zu niedrigen Kursen eingestiegen und längst ausgestiegen, wenn die Meute noch kauft bzw. nachkauft und damit letztlich verliert. Nicht die Aktionärsdemokratie hat am Ende gewonnen, sondern die Rattenfänger, die nicht besser als üble Hedgefonds-Manager sind.
Es grassiert die Angst, dass diese dezentralen virtuellen Handelsplattformen den klassischen und fairen Preisbildungsprozessen an den Börsen auf Dauer das Wasser abgraben.
Jedoch werden zunächst Börsen und Aufsichtsbehörden diesen Fehlentwicklungen nicht tatenlos zusehen. Der gesamte Aktienmarkt nähme in der Tat großen Schaden, wenn Aktien nur aufgrund von Zockerkriegen in fundamental ungerechtfertigte Höhen katapultiert werden. Es darf nie der Eindruck entstehen, dass man bei Aktien genauso in Gottes Hand ist wie vor Gericht, auf hoher See oder auf dem Krypto-Markt. Dann wäre man im Spielcasino angekommen. Das wiederum wäre für neo-sozialistische Kreise ein gefundenes Fressen, die Geldanlagen außerhalb von Festgeld und Staatspapieren - selbst bei negativen Zinsen - für das Grundübel schlechthin halten. Aktien sind für sie toxisch, Teufelszeug.
Anleger sollten zunächst beim Handel mit kleinen und kleinsten Aktien etwas vorsichtiger agieren bis wieder Ruhe eingekehrt ist. Und hat sich eine dieser kleinen Aktien dennoch im Depot verlaufen und ist ohne nachvollziehbaren Grund dramatisch gestiegen, sollte Kasse gemacht werden, bevor das Kurs-Märchen wieder zur schnöden Realität wird. An großen Titeln, die über fundamental intakte Geschäftsmodelle verfügen, beißen sich die Zocker ohnehin die Zähne aus.
Am Ende werden die Märkte wieder vernünftige Kurse für Aktien gefunden haben. So befinden sich viele der Highflyer wieder auf dem Weg der Normalisierung. „What goes up, must come down, what must rise must fall” heißt es in einem Hit von The Alan Parsons Project.
Aktionäre sollten sich also nicht irritieren lassen und dem Aktienmarkt treu bleiben.