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Kolumne

 
05.08.2020

US-Präsidentschaftswahl: Was wäre, wenn…?

Trotz der Unkenrufe Trumps findet die Präsidentschaftswahl planmäßig am 3. November 2020 statt. Am gleichen Tag werden auch alle Mitglieder des Repräsentantenhauses und 35 Senatoren neu gewählt. Laut aktuellen Umfragen könnten die Demokraten mindestens Abgeordneten- und Weißes Haus erobern. Doch wird bis dahin noch viel Wasser im Potomac River an Washington vorbeifließen.  An der Börse werden bereits die Folgen möglicher Wahlergebnisse diskutiert.

Trump hat keine Chance, wie 2016

"It's the economy, stupid!" Rezession und Jobverlust haben Trumps Wahlkampfsuppe ebenso versalzen wie sein bizarres Management der Pandemie. Selbst für die USA unvorstellbar hohe „europäische“ Sozialhilfen bescherten ihm bislang keinen Stimmungsumschwung. In Umfragen liegt sein Herausforderer Joe Biden auch in immer hart umkämpften Swing States wie Arizona, Florida, Michigan, Minnesota, Pennsylvania und Wisconsin vorn.  

Diese waren bei den letzten Präsidentschaftswahlen entscheidend für den Wahlausgang. Das liegt nicht zuletzt am amerikanischen Mehrheitswahlrecht, das dem Kandidaten, der die meisten Stimmen in einem Bundesstaat erzielt, alle dortigen Wahlmänner und -frauen zuspricht, die schließlich den Präsidenten wählen. Gemäß „The winner takes it all, the loser standing small“ von ABBA geht der unterlegene Konkurrent dagegen komplett leer aus.  

Da also wenige Stimmen den Ausschlag geben können, ist die Präsidentenwahl trotz eines landesweiten Umfragevorsprungs von Biden noch nicht entschieden. Im Extremfall könnten „Spaß-Kandidaten“ wie der Rapper Kanye West den Demokraten entscheidende Stimmen kosten. Auch 2016 führte Hillary Clinton die Umfragen an. Tatsächlich erhielt sie landesweit knapp 2,9 Mio. Stimmen mehr als Trump, was sie nach Verhältniswahlrecht zur Präsidentin gemacht hätte. Aufgrund der Swing States hatte am Ende jedoch Trump die Nase vorn.   

Vor diesem Hintergrund erlebt Amerika den teuersten und schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten. Es ist zu hoffen, dass das Wahlergebnis eindeutig ist und von allen Seiten anerkannt wird. Es soll bloß keine langatmigen Rechtsprozesse über das korrekte Ergebnis wie 2000 in Florida oder sogar Legendenbildungen wegen gefälschter Briefwahlstimmen geben. Ansonsten könnten die amerikanische Demokratie schweren Schaden nehmen.    

Wird Donald Trump im Amt bestätigt, …

…erfreut dies zunächst die amerikanische Wirtschaft und Wall Street. Steuererhöhungen und Branchenregulierungen sind dann nicht zu befürchten. Doch besteht die Gefahr, dass Trump seinem Sendungsbewusstsein in seiner letzten Amtszeit gar keine Grenzen mehr setzt. Es ist ja gerechtfertigt, China in Handels- und technologischen Fragen Paroli zu bieten. Peking betreibt auch eine glasklare China First-Politik. Doch sollte man dabei nicht zum Vorschlaghammer greifen. Gemäß „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird China umgehend mit Vergeltung antworten und der aktienschädliche Handelskonflikt nimmt wieder Fahrt auf. Trump will nicht verstehen, dass eine fordernde und fördernde Abwehrstrategie Amerikas gemeinsam mit seinen „früheren“ Freunden in Europa mehr Eindruck in Peking macht und daher erfolgreicher wäre. Doch wird er schon aus rein persönlicher Abneigung Europa weiter wie einen Fußabtreter behandeln, anstatt transatlantische Konflikte miteinander zu lösen. Insbesondere mag er Deutschland so sehr wie Bauchschmerzen. Die westliche Friedensarchitektur zu riskieren, die seit Harry S. Truman blendend funktioniert hat, ist fatal. Trumps westliche Nestbeschmutzung schädigt ja nicht nur Europa. Das Vakuum, das Amerika in Europa oder sonst wo in der Welt hinterlässt, wird von China und Russland immer mehr gefüllt. So verlieren am Ende die USA selbst an Einfluss in der Welt. Das kommt einer Selbstkasteiung gleich. Aktienmärkte mögen zwar marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik. Aber Trumps Kanonenbootpolitik torpediert die geostrategische und weltwirtschaftliche Verfassung derart, dass neben Reibungsverlusten europäischer und asiatischer auch amerikanische (Export-)Aktien nicht ungeschoren davonkommen.

Wenn Biden gewinnt…

…werden Unternehmenssteuererhöhungen sowie verstärkte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft befürchtet. Das wäre Gift für den US-Aktienmarkt, speziell für Konsum- und Kommunikationswerte wie Alphabet und Facebook, die von den Steuererleichterungen Trumps am meisten profitiert haben. Die harte Regulierungshand der Demokraten würden vor allem Banken und der Pharmasektor spüren, dem kontrollierte Medikamentenpreise drohen. In diesem Fall könnten die US-Aktienmärkte ihren mehrjährig erarbeiteten Vorsprung zunehmend zugunsten von Aktien im Rest der Welt einbüßen. Immerhin werden erneuerbare Energien und Klimaschutz eine besondere politische Wertschätzung erfahren und den entsprechenden Titeln an der Börse Potenzial verleihen.

Für wirklich wirtschaftsschädigende Vorhaben bräuchten die Demokraten neben der Mehrheit im Repräsentantenhaus auch die deutlich schwerer zu erreichende Mehrheit im Senat, was insgesamt erst ein Durchregieren ermöglicht. Ohnehin wäre ein Präsident Biden nicht wie Bernie Sanders von der sozialistischen Muffe gepufft. Er ist aus der Mitte, gemäßigt und weiß, dass Wirtschaft nicht alles ist, aber ohne Wirtschaft alles nichts. Und er weiß auch, dass Aktien für Amerikaner als Altersvorsorge eine wichtige Rolle spielen.

Grundsätzlich ist etwas mehr „Versöhnen statt Spalten“, mehr soziale Gerechtigkeit und Gesundheitsfürsorge geeignet, dem dramatischen gesellschaftlichen Auseinanderbrechen Amerikas entgegenzuwirken und innenpolitisch wieder Ruhe in den Karton zu bringen, was auch der Börsenstimmung zuträglich ist.  

Wie die Republikaner fallen auch die Demokraten nicht durch große China-Freundlichkeit auf. Doch werden sie transpazifische Konflikte diplomatischer angehen, was die weltweiten Finanzmärkte weniger unter geopolitischen Krisendruck setzt. Auch ist von Biden wieder mehr transatlantischer Schulterschluss zu erwarten. Es wird zwar kein amerikanisches Zurück zur alten Nibelungentreue zu Europa geben. Auch Biden weiß, dass die Musik heute im pazifischen Raum spielt. Und dennoch, wird der Sicherheitsarchitektur des westlichen Bündnisses wieder mehr Leben eingehaucht, kommen europäische Aktienmärkte in den Genuss einer geo- und handelspolitischen Stabilisierung.  

Insgesamt könnten die Finanzmärkte - vor allem in Europa - mit Biden gut leben.