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Halvers
Kolumne

 
23.01.2020

EZB - Allmächtig, ohnmächtig, klima-mächtig

Mit ihrem geldpolitischen Hammer hat die EZB die Schulden- und Bankenkrise allmächtig platt gemacht. Jedoch hat sie die Konjunktur bislang nicht wie der Prinz das Dornröschen wachküssen können. Trotz des Rekordniveaus an billigster Liquidität, kommt die Kreditnachfrage in der Eurozone nicht wirklich in Schwung.

Absurderweise hat die EZB mit ihrer sintflutartigen Geldpolitik nicht Europa, sondern Amerika glücklich gemacht. Wegen höherer Zinsen drüben haben Europäer für ca. zwei Billionen Dollar amerikanische Anleihen gekauft und damit den Kreditzinsanstieg der USA zugunsten ihrer Konjunktur gebremst.

Auch in puncto Preissteigerung straft die EZB die Geldtheorie Lügen, wonach erst recht ihr viel und billiges Geld früher oder später zu mehr Inflation führt. Seit 2013 erreicht sie ihr Inflationsziel von „nahe zu, aber unter zwei Prozent“ nicht. Während sich die Deutsche Bundesbank immer vor zu hoher Inflation fürchtete, hat die EZB heutzutage Angst vor einer deflationären Spirale.

Wenn trotz all dieser geradezu revolutionären Maßnahmen der Erfolg ausbleibt, droht der ohnmächtigen EZB eine Glaubwürdigkeitskrise. Viel Vertrauen ist ohnehin verspielt, da der „Kapitalismus ohne Zins“ die Altersvorsorge der Zinssparer schmelzen lässt wie Eis im Sommer. Und auch auf Banken wirkt die Zins-Diaspora wie der Meteorit auf die Dinosaurier: Das „Bankensterben“ hat eingesetzt. Auch das EZB-Direktorium selbst ist mittlerweile konsterniert und tief gespalten.

Einfacher gesagt als getan: Eine neue geldpolitische Strategie muss her

Um wieder an Reputation zu gewinnen, will sich die EZB unter ihrer neuen Präsidentin Christine Lagarde bis Ende 2020 eine neue geldpolitische Strategie geben. Ein neuer „Besen“ soll auch hier gut kehren. Dabei kommt alles auf den Diskussions-Tisch: Die Ziele der EZB, ihre Instrumente und die Inflationsfrage.

Ein Sack Flöhe hüten, erscheint einfacher. Zunächst hat die EZB im Vergleich zu anderen Notenbanken die Aufgabe, Geldpolitik für alle Euro-Staaten zu machen. Aber nach welchem Geschmack soll die sein? Der Süden betrachtet die Notenbank als kostenfreies Büffet, an dem man sich zur Finanzierung von Staatsausgaben einfach so bedient. In Deutschland, Österreich und den Niederlanden dagegen hat man den Bundesbank-Ansatz noch nicht an der Garderobe der Notenbank abgegeben.  

Eine allgemein akzeptierte Neuausrichtung hinzubekommen, ist eine Herkulesaufgabe. Öffentlich ausgetragene Meinungskonflikte darüber könnten sogar Unruhen an den europäischen Finanzmärkten auslösen.

Die Inflation ist Glaubens- und Geschmacksache

Da Preissteigerung der Dreh- und Angelpunkt der Geldpolitik ist, kann man sie bei Strategiefragen nicht links liegen lassen. Allerdings birgt die Inflationsdebatte viel Sprengstoff.  

Die offizielle Preissteigerung im Euro-Raum liegt zwar notorisch unterhalb des Inflationsziels. Doch würde die Kaufhäufigkeit von Produkten und Dienstleistungen und die Vermögenspreisinflation bei Immobilien stärker berücksichtigt, wäre die 2-Prozent-Schallmauer längst durchbrochen.  

Dann hätte die EZB keine Begründung mehr für ihre überexpansive Geldpolitik. Würde aus dem Taubenschlag EZB ein Falkenhorst, würden die Sparer sich zwar über höherer Anlagezinsen freuen. Im Gegenzug müssten mit höheren Kreditzinsen allerdings erneute Schuldenprobleme in der Eurozone mit all ihren Folgen für Banken und Konjunktur in Kauf genommen werden, die erneut das Damoklesschwert einer Euro-Krise über Europa baumeln ließen.  

Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Ein falkenhafter Strategieschwenk von Frau Lagarde ist nicht zu erwarten, zumal sie sich als eine die Eurozone geldpolitisch schützende Notenbankchefin versteht. Hätte sie ansonsten diesen Posten bekommen?  

Es muss eine magen- und nervenschonende Neuausrichtung des Inflationsziels her. In diesem Sinne könnte man der US-Notenbank folgen und zwei Prozent Inflation nicht als in Stein gemeißelte Obergrenze interpretieren, sondern ein symmetrisches Ziel benennen. Zwei Prozent wären demnach nur ein durchschnittliches Ziel, wonach nach einer langen Phase zu niedriger Inflation auch eine lange mit höherer toleriert wird.

Dabei ist es der Wunsch der EZB, dass sich höhere Inflationserwartungen einstellen mögen, die Investoren und Konsumenten Anreize gäben, lieber heute günstiger als morgen teurer zu kaufen bzw. zu investieren. Und wenn diese Rechnung nicht aufgeht? In den letzten Jahren musste man den Eindruck gewinnen, dass sinkende Zinsen und immer mehr Geldversorgung die Inflationserwartungen eher bremsen als beschleunigen.

Die neue geldpolitische Strategie der EZB wird grün, grüner, am grünsten

Was der Eurozone bislang fehlt, sind wirtschaftspolitisch ordentlich gedüngte Nährböden. In wüstenhaften Standorten kann die geldpolitische Saat eben nicht aufgehen.

Was kann man also tun, damit die Konjunktur-Pferdchen, die die EZB zur Tränke führt, auch tatsächlich saufen?

Hilfe ist auf dem Weg: Europa soll nach dem festen Willen der EU-Kommission zum grünsten Kontinent der Welt werden. Mit Klimaschutz und der ihn umsetzenden Umwelttechnik soll Europa ein neues Geschäftsmodell aufbauen, um sich gegen Amerika und China wirtschaftlich zu wappnen.

Und die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern der EU-Kommission, dass auch die Geldpolitik beim Klimaschutz mitspielt. EZB-Altmeister Draghi hat für Frau Lagarde sogar schon den Boden bereitet. In seinen letzten Amtstagen hat er das Anleiheaufkaufprogramm so üppig gestaltet, dass neben der Finanzierung der gesamten Neuverschuldung der Eurozone noch genügend Munition für den Ankauf von Anleihen der Euro-Staaten übrig ist, mit denen der „Green Deal“ finanziert werden soll.

Und da Europa ja erst 2050 klimaneutral werden soll, wird die EZB noch lange klimaaktiv sein. Auch hier hat Draghi vorgesorgt. Das neue Anleiheaufkaufprogramm ist kein Joghurt, es hat kein Ablaufdatum. Warum auch, wenn doch selbst größte Anleihekäufe keinen Einfluss mehr auf die Inflation haben.

Und mit dieser Klima-Ausrichtung hat man endlich eine konsensfähige geldpolitische Strategie gefunden. Die Schulden- und Stabilitätssünder werden weiter üppig mit billigem und viel Geld verwöhnt. Man gibt Europa eine neue Wirtschaftsvision. Nicht zuletzt kann sich jeder europäische (Geld-)Politiker einen grünen, moralisch einwandfreien Sticker aufkleben, der auch bei der Wiederwahl hilft. Die Erfüllung von gleich drei Wünschen gibt es ansonsten nur beim Überraschung-Ei.

Mit dieser Mandatserweiterung ist die EZB endgültig zur Allzweckwaffe der Eurozone geworden. Der Stabilitätsansatz erlebt seinen Karfreitags-Moment ohne jede Aussicht auf österliche Wiederauferstehung.