Für Europa ist die Welt in Unordnung geraten. Die USA lassen uns links liegen. Auch von rechts, aus Asien kommt Ungemach. Ohne Scham zieht Peking Deutschland den industriellen Boden unter den Füßen weg.
Diesem Zweifrontenkrieg könnte sich die EU entgegenstemmen. Jedoch haut Großbritannien in den europäischen Sack und erschöpfen sich die deutschen und französischen Hähne in eurosklerotischen Grabenkämpfen um die Vorherrschaft im Brüsseler Hühnerhof. Und wie will Europa mit seiner teilweise technologiefeindlichen, ja spätrömischen Dekadenz in einer konkurrenzstarken Welt überleben? Auch die Metamorphose der Europäischen Stabilitäts- in eine Romanische Schuldenunion ist kein Empfehlungsschreiben für Investitionen in Europa. Und nicht zuletzt, unter der durch Menschenhand gemachten Weltwirtschaftsdelle leidet niemand so sehr wie europäische Exportunternehmen.
Wie können vor diesem ernüchternden Hintergrund Aktienindices wie DAX oder Euro Stoxx in diesem Jahr über 20 Prozent zugelegt haben? Haben Aktien die Bodenhaftung verloren? Solche scheinbar haltlosen Überbewertungen sind geradezu Wasser auf die Mühlen der apokalyptischen Reiter, der Untergangsanhänger, die mindestens eine dramatische Korrektur, wenn nicht sogar einen finalen Crash prophezeien.
Daran glaube ich nicht.
Aktienhaussen wurden früher durch Zinserhöhungen der Notenbanken zertrümmert. Doch spätestens seit der Immobilienkrise weiß man, dass dahinsiechende Aktien auch der Konjunktur erheblichen Schaden zufügen. Daher betreibt die EZB mit ihrem seit November wieder aufgenommenen und unbefristeten Anleiheaufkauf von 20 Mrd. Euro pro Monat Vorbeugung. Wie jede andere Notenbank hat auch sie blanke Angst, dass die Anleiheblase als längste und größte Anlageblase der Welt platzt. In der Tat, in Deutschland sind die Renditen von Staatspapieren und Leitzinsen wenn auch unter Schwankungen von 1981 bis heute, also fast 40 Jahre lang, gefallen.
Zinsexplosionen nach oben, die dann durch Notverkäufe internationaler Anleiheinvestoren brandbeschleunigende Wirkung entfalteten, machten die schuldenkranke Welt unbezahlbar, ließen die Aktienmärkte crashen und versetzten der Weltkonjunktur den finalen Todesstoß. Dieses Armageddon scheut jede Notenbank wie der Teufel das Weihwasser.
Damit fehlt Aktien weiterhin die Zinskonkurrenz. Früher, bei einem Habenzins von vier Prozent, brauchten Anleger nur 18 Jahre, um ihr Kapital zu verdoppeln. Bei einem heutigen „Hochzins“ von 0,01 Prozent sind dafür 7.200 Jahre nötig. Das schafft auch das älteste bekannte Säugetier der Welt, ein Grönlandwal von 211 Jahren, nicht. Nur Anoxycalyx Joubini, ein Riesenschwamm, der am Meeresboden der Antarktis lebt, würde dieses Anlageziel mit einer Lebenszeit von etwa 10.000 erreichen. Doch bei sich immer mehr häufenden Negativzinsen und damit einem in die ewigen Finanz-Jagdgründe eingegangenen Zinseszinseffekt hätten selbst die unsterblichen Helden der Mythologie keine Chance mehr.
Aber gegen Zins-Frust hilft Dividenden-Lust. Dividendenrenditen von vier Prozent sind keine Seltenheit. Das ermöglicht bei Wiederanlage einen alternativen Zinseszinseffekt, den Dividendendividendeneffekt.
Sicherlich ist z.B. der DAX mit einem diesjährigen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von knapp 16 sportlich bewertet. Doch im relativen Vergleich mit der größten Alternativanlageklasse Zinsvermögen bleibt der Schreck aus. Bei einem Anlagezins von 0,01 beträgt ein vergleichbares KGV 10.000!
Sicherlich wirkt der Handelskrieg fundamental auf Aktien wie eine Abrissbirne. Die Gewinne sind erodiert. Und aufgrund der Zollverunsicherung haben Unternehmen vor Investitionen ähnlich Angst wie Kinder vor dem 10 Meter-Brett im Schwimmbad.
Zwar wird es keine baldige oder sogar umfängliche Lösung im Handelsstreit geben. Das Säbelrasseln wird sich Trump im Präsidentschaftswahlkampf nicht nehmen lassen. Ohnehin wird er versuchen, die Demonstrationen in Hongkong als Druckmittel gegen China zu nutzen.
Und dennoch, weder China noch Amerika haben aus rationalen Gründen ein Interesse an einem permanenten, geschweige denn eskalierenden Handelskrieg. Dieser handicapt deren Exportwirtschaften und nimmt US-Aktien die fundamentale Kraft. Damit würde Trump seine sehnsüchtig angestrebte Wiederwahl 2020, die ohnehin vom Amtsenthebungsverfahren belastet ist, torpedieren. Das setzt vor allem Trump unter eine gewisse Friedenspflicht. Hierbei ist aber eher mit einem verspäteten Weihnachtsgeschenk zu rechnen, das erst im nächsten Jahr überreicht wird.
Immerhin, eine handels-friedliche Koexistenz, die weitere Zölle ausschlösse und bestehende sogar wieder senkte, käme den Aktienbörsen als „Trumpsche Lebensversicherung“ zugute. Der bisherige wirtschaftliche Teufelskreis für Europas und Deutschlands Exporttitel würde enden.
Es gibt überhaupt keine Veranlassung, die Probleme der Finanzwelt zu verharmlosen. Und der Tod der guten alten Finanzstabilität, um das Leben der Eurozone zu retten, ist für Stabilitätsanhänger schwer verdauliche Kost.
Auf dieser Enttäuschungswelle reiten die Crashpropheten, die von diesen prekären Zuständen als Krisengewinner in Buchform oder Seminaren profitieren. Blut, Schweiß und Tränen verkaufen sich gut. Doch wird der Untergang seit 2009 prophezeit, ohne bisher stattgefunden zu haben.
Ich bin der Meinung, dass schon aus Gründen der öffentlichen und sozialen Sicherheit die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft dafür sorgen, dass es noch lange nicht dazu kommt. Mögen die apokalyptischen Reiter doch weiter nach dem schwarzen Schwan suchen. Das Bernsteinzimmer wurde auch bis heute nicht entdeckt.
Wenn man als Anleger Widrigkeiten nicht ändern kann, muss man sich mit diesen arrangieren. Überlegen Sie doch einmal, wenn Sie sich wegen des seit 10 Jahren immer wieder angekündigten Untergangs der Finanzwelt von Aktien ferngehalten hätten. Das nenne ich Finanzschmerzen.
Selbstverständlich wird es auch zukünftig Aktienschwankungen und Konsolidierungen geben. Aber so lange sich das offensichtlich historische Gesetz wiederholt, dass Aktien jede Delle im Zeitablauf überkompensieren, ist mir auch zukünftig vor Aktien nicht bange.
Statt in Untergangsliteratur investieren Sie lieber in regelmäßige Aktiensparpläne.