Wie erwartet hat das britische Parlament - allerdings mit brutaler Mehrheit - den Brexit-Deal zwischen der Insel und der EU abgeschmettert.
Zum schlimmsten, zum „May Day“, muss es dennoch nicht kommen. Das Parlament will keinen Brexit ohne Austrittsabkommen mit der EU. Victorianischen Nationalstolz bis in den Wirtschafts-Tod zu betreiben, will man dann doch nicht. Den Abgeordneten ist sehr bewusst, dass ihre Insel ansonsten in einer global vernetzten Welt untergeht. Allein mit Souvenirs der königlichen Familie oder Butterkeksen und Tee lässt sich der britische Wohlstand definitiv nicht halten.
Jetzt, da Premierministerin May das Misstrauensvotum als Eiserne Lady überstanden hat, muss sie bis Montag, 21. Januar einen Plan B vorlegen. Hierzu wird sie mit der Opposition zusammenarbeiten müssen. Im Dschungelcamp des britischen Parlaments wird die Regierung May einige Kröten schlucken müssen. Aber von der englischen Küche sind sie ja ohnehin nicht verwöhnt. Zum jetzigen Zeitpunkt am einfachsten wäre es, dass London gemäß Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union den Scheidungstermin nach hinten verschiebt. Hierzu kursieren bereits Gerüchte über einige Monate bis zum Jahr 2020, um einen chaotischen Brexit mit (wirtschafts-)politischen Kollateralschäden auf beiden Seiten des Ärmelkanals zu verhindern, der auch den Grundfesten des Europäischen Gemeinschaftswerks harte Hammerschläge verpassen würde. Dann käme es jedoch zu einer Überschneidung mit der Europawahl 2019. Es gilt, dass ein Staat, der zum Zeitpunkt der Wahl Mitglied der EU ist, am Urnengang teilnimmt. Abgesehen von der völligen Überforderung, so kurzfristig noch eine Wahl in Großbritannien zu organisieren, wäre es absurd, wenn ein Staat, der über einen EU-Austritt verhandelt, Abgeordnete ins Europa-Parlament wählt, einen EU-Kommissarsposten erhält und sogar noch den Kommissionspräsidenten mitbestimmt.
Doch sind die europäischen Statuten schon so oft gemäß dem Motto „Nichts ist unmöglich“ in die politisch richtige Richtung zwangsgebeugt worden, dass man auch hier eine praktikable Lösung finden könnte.
Allerdings wird die EU einer Verlängerung des Scheidungstermins über den 29. März hinaus nur unter Bedingungen zustimmen. Die Orientierung der zukünftigen britischen Handelspolitik an EU-Regeln muss ebenso festgemauert werden wie die Verhinderung einer physischen Grenze zwischen Irland und Nordirland. Und das ist auch vollkommen richtig. Ansonsten macht sich die EU zum Deppen.
Aufgrund der schlimmsten parlamentarischen Niederlage einer Regierung seit Wilhelm 1066 England erobert hat, ist der politische Druck so groß, dass man die Brexit-Frage an die Wähler in Form von Neuwahlen oder sogar einem zweiten Referendum zurückgeben sollte. Daran hat Frau May zwar kein Interesse, da dann ihr Brexit-Lebenswerk gescheitert ist. Doch nach ihrem dann wenig bedauerlichen Rückzug würden neue politische Köpfe mindestens Platz für einen Verbleib der Briten in der Zollunion machen.
Es könnte sogar eine neue Volksabstimmung mit der Begründung angesetzt werden, das britische Volk möge über die seit der ersten Abstimmung am 23. Juni 2016 deutlich geänderte Gemengelage neu befinden. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, dass ich mir genau das mit einem anderen pro-europäischen Ergebnis wünsche.
Natürlich hätte ein erneutes Referendum mit anderem Ausgang ein Geschmäckle. Die Brexit-Anhänger fühlen sich mit Blick auf das Ergebnis des ersten Votums massiv getäuscht. Einen Tod muss Großbritannien jedoch sterben. Entweder sie leben demnächst in einem verarmten Little Empire oder auf deutlich höherem Wohlstandsniveau in einem vereinten Europa.
Hier spielt die Zeit eine wichtige Rolle. Je mehr sich die wirtschaftliche Unsicherheit im Vereinigten Königreich mit nachgebenden Immobilien- und Wertpapierpreisen, weniger Unternehmensinvestitionen, mehr Arbeitslosen bei steigender Inflation für Güter des alltäglichen Gebrauchs - wenn sie überhaupt ausreichend zur Verfügung stehen - zeigt, umso mehr wird der Otto Normal-Brite spüren, dass die gesamte Austrittsidee eine masochistische, Wohlstand fressende Schwachsinns-Idee ist. Annehmlichkeiten vermisst man immer dann am meisten, wenn man sie nicht mehr hat. Dass es den Briten außerhalb des gemeinsamen Wirtschaftsraums bessergeht, ist eine so unverschämte, ja asoziale Lüge des Brexit-Lagers, die sich selbst Pinocchio nie getraut hätte.
Jetzt wartet Europa auf die neuen Vorschläge von Frau May. An den Finanzmärkten ist Gelassenheit zu beobachten. Dort wird nicht von einem ungeregelten EU-Austritt der Briten ausgegangen. Man hat den Glauben an die typische wirtschaftliche Vernunft im Inselstaat noch nicht aufgegeben. Noch ist man nicht bereit, den Rinderwahn zu akzeptieren.
Aber, aber, aber, sollten die Briten schließlich doch unkontrolliert austreten, kann und soll man Reisende nicht aufhalten. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Irgendwann, wenn sie ihren fatalen Fehler eingesehen haben, können sie ja wieder beitreten, allerdings zu den Bedingungen der EU. Die Zeit für britische Extra-Würstchen auf dem europäischen Frühstücks-Büffet ist vorbei.
Die Börsen wären von einem No Deal-Brexit sicher not amused. Aber nach ein paar wilden Tagen an der Börse wird man sich auch daran gewöhnt haben. Mit Blick auf die Hornhaut an meinen Aktienfingern halten wir auch das noch aus.
Viel wichtiger ist, was beim Thema Handelskrieg zwischen Amerika und China passiert. Hier wird jede Entspannung die Dunkelheit eines Chaos-Brexit weit überstrahlen.