Natürlich ist es gut, dass mit der Wahl des Europa-freundlichen Emmanuel Macrons zum neuen französischen Staatspräsidenten das größte politische Risiko des europäischen Superwahljahrs 2017 vom Tisch ist. Nachgebende Risikoaufschläge von italienischen, spanischen, portugiesischen und eben auch französischen Staatsanleihen zu deutschen dokumentieren die Entspannung der Eurosklerose eindeutig.
Wie bereits Präsident Trump in den USA hat auch Macron üppige Vorschusslorbeeren erhalten. Sein Heilsbringer-Image muss er jetzt mit Leben füllen. Kann er das?
Im Augenblick ist Macron so etwas wie ein französischer König ohne Land. Bevor Reformpolitik betrieben werden kann, muss erst seine neue Partei „En Marche“ bei der Parlamentswahl im Juni ordentliche Landgewinne erzielen. Doch ist ein zügiges Durchregieren über eine absolute Mehrheit nicht zu erwarten. Macron wird eine „Cohabitation“, eine Koalition mit Konservativen und/oder liberalen Sozialisten eingehen müssen, die aber seine Reformbemühungen verwässern werden. Ohnehin hält die politische Linke den Ex-Investmentbanker Macron für einen neoklassischen Teufel. Und die Konservativen werden beim kleinsten Anzeichen seiner Schwäche über die neue Polit-Konkurrenz herfallen wie Hyänen. „En Marche“ wird kein Durchmarsch.
Werden die Vorschusslorbeeren Macrons ähnlich schnell welken wie die von Trump?
Doch wenn nach den konservativen Präsidenten Chirac und Sarkozy sowie einem sozialistischen Hollande auch noch der in der politischen Mitte stehende Macron an wirtschaftlichen Perspektiven scheitert, kann Le Pen in fünf Jahren doch noch Staatspräsidentin werden. Immerhin wurde sie von einem Drittel der Franzosen gewählt. Das ist mehr als ein kleines gallisches Dorf. Es könnte aber auch ein linksradikaler Wunderheiler werden, der stur wie ein Esel nicht verstehen will, dass die Uhren im Sozialismus so schnell rückwärts laufen, dass sie sogar als Ventilatoren eingesetzt werden können. Und ca. vier Millionen bewusst ungültig gemachte Wahlzettel und ein Viertel Nicht-Wähler zeugen von großem politischen Frust. Viel Geduld haben die Franzosen nicht mehr. Der Populismus ist nicht tot, sondern hat sich nur eine Auszeit genommen.
Macron muss das Kunststück fertigbringen, den Franzosen das Fell zu waschen, ohne es jedoch nass zu machen. Er muss einerseits die französische Wirtschaft kernsanieren, um längerfristige Perspektiven am Arbeitsmarkt zu schaffen. Andererseits will er die Franzosen nicht mit harten (Arbeitsmarkt-)Reformen aus ihren sozialromantischen Träumen wecken. Denn gegen eine Wiederwahl hat auch der politische Jungspund Macron nichts einzuwenden. Überhaupt, niemand sollte niemals die Macht der ideologisch auftretenden Gewerkschaften vergessen, die in der Vergangenheit bereits bei kleinsten Deregulierungen zum Sturm auf die Bastille geblasen haben. Wenn schon in Deutschland die Hartz IV-Reformen zu harten sozialpolitischen Auseinandersetzungen geführt haben, wären in Frankreich Generalstreiks noch die harmloseste Eskalationsstufe.
Monsieur Macron, viel Erfolg bei der Quadratur des Kreises. Ihr Scheitern wie Napoleon bei Waterloo ist leider nicht auszuschließen.
Was Frankreich allein wirtschaftspolitisch nicht schafft, soll die europäische Allgemeinheit finanzieren
Es ist bewegend, dass Macron beim Auftritt nach seinem Wahlsieg statt der französischen Nationalhymne „Marseillaise“ die Europahymne, Beethovens „Ode an die Freude“, spielen ließ. Ich nehme ihm absolut ab, dass er eine Generalüberholung des deutsch-französischen Motors will, der dem europäischen Gemeinschaftswerk wieder Zugkraft verleihen soll.
Aber in welche Richtung soll Europa denn gezogen werden? Schütten wir doch etwas Wasser in seinen süßen Europa-Wein. Macrons finanzpolitische Vorstellungen sind frevelhaft. Er will die Transformation des Europäischen Stabilitätspakts in eine Französische Schuldenunion. Ihm schwebt ein gemeinsames Budget der Eurozone mit der Ausgabe von gemeinsamen Euro-Anleihen vor. Das ist europäischer Finanz-Sozialismus, eine Vergemeinschaftung von Schulden. Dabei soll der Stabilitätsanker Deutschland mit seiner starken Bonität für allgemein zinsgünstige Schuldenfinanzierungen staatlicher Konjunkturprogramme zum Nutzen schwacher Euro-Staaten wie Frankreich bürgen. Diese Haftung kostet uns jedoch einen Risikoaufschlag der Marke „Wer bürgt, der wird gewürgt“. So zahlen wir die Zeche einer mangelnden (wirtschafts-)politischen Reformfähigkeit Frankreichs. Vor diesem Hintergrund kann ich Macrons Europa-Pathos gut verstehen.
Käme Macron damit durch, wäre eine Tür geöffnet, die sich nicht mehr schließen ließe. Unter dem Deckmantel „Europäische Integration“ wären schließlich gemeinschaftliche Schuldenaufnahmen nur noch schwer einzufangen, sie würden immer größere Volumina annehmen, zumal dann, wenn ein gemeinsamer Euro-Finanzminister aus einem „stabilitätspolitischen Vorzeigeland“ den Posten erhielte. Macron denkt wohl, die Zeit für eine stabilitätspolitische Entkettung Europas wäre günstig. Immerhin können die stabilitätsorientierten, aber Euro-renitenten Briten Deutschland nicht mehr zur Seite springen. Und man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass auch z.B. Italien ein europäisch laxes Schuldenmanagement ähnlich genießen würde wie unsereins einen italienischen Eisbecher. Nicht zuletzt kosten Euro-Anleihen Italien deutlich weniger als eigene Anleihen.
Insgesamt würde die Etablierung von Euro-Bonds immer mehr dazu einladen, jegliches Leistungsprinzip in einem Euro-Staat im Keim zu ersticken. Warum auch? Die europäische Schuldenversicherung kommt doch für den nationalen Wirtschafts- und Finanzschaden auf.
Keine europäische Integration zu jedem instabilen Preis
Europa löst seine Probleme nicht auf Euro-sozialistischem Pump, sondern nur mit alternativlosen, diszipliniert durchgeführten Wirtschaftsreformen. Wenn in der Rest-Welt Wettbewerbsfähigkeit praktiziert wird, kann es sich Europa nicht mit Euro-Schulden schön kuschelig machen. Müßiggang ist aller Laster Anfang, erst Recht mit Blick auf die dramatischen Herausforderungen der Digitalisierung. Zum Schluss wäre der Wirtschaftsstandort Europa am Ende.
Die Gefahr ist gegeben, dass Macron der Bundesregierung die Waffe auf die Brust setzt: Sollte sich Berlin weigern, Frankreich - aber auch anderen Euro-Staaten - über gemeinschaftliche europäische Schuldenlösungen wirtschaftspolitisch zu helfen, ist Deutschland mitschuldig, wenn Europa bei späteren Wahlen doch noch populistische Schlagseite bekommt.
Doch am Leistungsprinzip sind noch kein Staat und kein Staatengebilde gescheitert, wohl jedoch an disziplinloser Schuldenfrönerei. Sicherlich sollte Deutschland Macron unter die Arme greifen. Und natürlich sind gemeinsame Projekte sinnvoll. Doch muss der Bundesadler dem gallischen Hahn die Flügel stutzen, wenn er versucht, die Stabilitätsarchitektur des europäischen Hühnerhofs zu gefährden.
Für Europa kann man nicht pathetisch genug sein. Euro-Anleihen sind aber nicht pathetisch, sondern pathologisch. Stabilitäts-Auge, sei wachsam!