Menschen werden gerne aufgrund persönlicher Eigenarten beurteilt. Und hier bietet Donald Trump sicherlich eine übergroße Angriffsfläche. Auch ich greife im Wartezimmer beim Arzt gerne zur yellow press, um über Trumps Eskapaden zu lesen. Doch bei meiner Einschätzung seiner Wirtschaftspolitik und deren Folgen für die Finanzmärkte ist mir seine „besondere“ Persönlichkeit schnurzpiepegal.
„It‘s the economy, stupid“ wusste schon Bill Clinton
An die Belebung der US-Wirtschaft geht Trump so ungestüm wie Hektor an die Buletten. Amerika will sich zukünftig nicht mehr nur als schuldenfinanzierte Konsumnation begreifen, die die smarte Wertschöpfung der Industriegüterkultur den Japanern, Chinesen und vor allem den Deutschen überlässt. Amerika will die Wiedergeburt als Industrienation. Made in USA soll weltweit erstrahlen.
Mit den Trumponomics werden die alten Wirtschafts-Zöpfe abgeschnitten. Dazu gehören die Verhinderung eines exportschädlichen starken US-Dollars, ein neuer Notenbankpräsident ab 2018 der Marke „Taube Super Light“, Bürokratieabbau, Deregulierung, drastische Steuersenkungen und eine heftige Neuverschuldung zur Modernisierung der Infrastruktur, die noch aus den Zeiten von Buffalo Bill zu stammen scheint. Vor allem will man bei der Digitalisierung Duftmarken hinterlassen. Dabei wird Amerika seine bereits bestehenden Stärken bei social media schamlos ausnutzen. Ein Vorgeschmack darauf ist der Kauf des auf Kameras für Roboterwagen spezialisierten Autozulieferers Mobileye durch Intel. So kann Intel demnächst bei der Entwicklung intelligenter Fahrzeuge noch mehr mitmischen.
Wenn diese Reformmaßnahmen zu Wohlfahrtseffekten und steigenden US-Aktien führen, wird Trump selbst bei Demokraten bislang für unmöglich gehaltene Sympathiewerte einheimsen. Amerikaner haben immer sauber zwischen Moral und Rendite unterschieden. Eigentlich müsste auf amerikanischen Geldscheinen stehen: In Money we trust.
Wenn Trump wirtschaftlich gewinnt, verlieren Merkel & Co.
Wenn Trump also die bisherigen wirtschafts-physikalischen Gesetze ändert, ist es nicht mehr in Stein gemeißelt, dass Europa und vor allem Deutschland jedes Schräubchen weiter mühelos in die USA verkaufen können. Handelsbilanzüberschüsse gegenüber den USA sind zukünftig nicht mehr so einfach zu erzielen wie eine Kreismeisterschaft im Kegeln. Amerika entwickelt sich von einem klassischen Absatz- zu einem jungspundigen Ausfuhrmarkt. Aus Importsog wird Exportdruck.
Um seinen Wirtschaftsstandort aufzuwerten, muss Amerika noch nicht einmal großartig Importzölle erheben. Dazu reichen die Trumponomics aus. Und die davon ausgehenden lieblichen wirtschaftlichen Schalmeienklänge treffen nicht nur bei US-Unternehmen auf offene Ohren. Auch für deutsche Industrieunternehmen aus dem Mittelstand gibt es bei der Standortwahl keine nationale Gefühlsduselei, sondern nur die schnöde Suche nach den höchsten Renditen. Auf den deutschen Industriestandort, der sich seit der Agenda 2010 reformseitig kaum mehr weiterentwickelt hat, ist man nicht angewiesen. Es spricht viel dafür, dass zukünftig verstärkt deutsche Neuinvestitionen über den großen Teich gehen. Der stolze Verweis deutscher Politiker, wonach die deutsche Industrie weitgehend ausgelastet ist, überzeugt nicht. Die Wahrheit dahinter ist, dass bei uns zu wenig investiert wird.
Trump macht US-Aktien froh und die deutschen ebenso
So kommen die USA leider in den Genuss eines Know How-Transfers aus Deutschland. Kein Land verfügt über mehr Industriepatente, hat mehr Sexappeal als Deutschland. Übrigens, deutsche Unternehmen sind auch in puncto Digitalisierung technologisch vorne mit dabei.
Diese „Amerikanisierung“ deutscher Unternehmen ist für deren Aktien übrigens positiv. Über die neue amerikanische Wirtschafts-Welt lassen sich Kosten und Steuern senken bzw. Umsätze steigern. Und warum sollten deutsche Aktien dann nicht steigen und mit ihnen auch DAX, MDAX und SDAX. Selbst wenn unsere deutschen Firmen immer mehr in Amerika operativ tätig sind, bleiben sie deutsche Aktiengesellschaften, solange sie ihren Hauptsitz in Deutschland haben.
Während Europa noch über Werte fabuliert, werden in Amerika schon Wirtschaftsfakten geschaffen
Dieser mikroökonomische Vorteil hat allerdings einen makroökonomischen Haken: Wenn Amerika unsere Unternehmen gewinnt, verliert die deutsche Volkswirtschaft Arbeitsplätze. Mikro hui, Makro pfui! Bereits heute gibt es selbst in Deutschland über 20 Prozent prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Mit der America First-Ausrichtung gerät die deutsche und europäische Komfortzone wirtschaftlich in Bedrängnis. Zukünftig wird die US-Regierung nicht mehr wie früher die wirtschaftspolitische „Drecksarbeit“ machen und bei uns über den Export einen Konjunkturaufschwung einleiten.
Auf diesen neuen „US-Egoismus“ können Europas Politiker wohl kaum nur als beleidigte Leberwurst reagieren und Trump fehlende transatlantische Werte vorwerfen. Europa muss jetzt mehr tun als nur Moralsoße zu vergießen. Wir brauchen einen New Deal für EU und Eurozone.
Das wirtschaftliche Überleben Europas morgen ist nicht weniger wichtig als soziale Gerechtigkeit heute. Ich bin kein kalter Christ. Aber die Reihenfolge ist wichtig. Es geht nicht zuerst darum, vorne aus dem Geldausgabeautomaten der Volkswirtschaft möglichst viel zu entnehmen, bevor das Geld erwirtschaftet, also hinten reingesteckt wurde.
Wirtschaftssachverstand ist dabei nicht verwerflich, sondern dringend notwendig. In europäischen Kabinetten sitzen zu viele Ideologen, Schönwetterapostel, Innovationsalarmisten, Gesundbeter, Chefbedenkenträger und Empörungsbeauftragte, die in Wahlkämpfen gerne die Wertekeule auspacken. Aber in einer globalen Welt ist allein mit politischer Korrektheit noch kein Job außerhalb von öffentlichen Gremien geschaffen worden.
Europa muss sich von den USA emanzipieren, wirtschaftlich endlich erwachsen werden
Und die Doppelmoral bei Werten sollte Europa sofort beenden. Werte sind universell anzuwenden und nicht abhängig vom jeweiligen Staatspräsidenten. Während der eine mit scharfen Wirtschaftssanktionen belegt wird, die für Deutschland masochistische Züge tragen, wird ein anderer selbst bei größtem Fehlverhalten beschwichtigend wie ein rohes Ei behandelt. Ab und zu darf man durchaus mit dem Eierkocher drohen. Ansonsten zerstört dieses Messen mit zweierlei Maß Vertrauen in die Politik, was sich dann bei Wahlen zeigt. Und politisch instabile Rahmenbedingungen sind pures Gift für die Investitionsbereitschaft in Europa.
Europa braucht eine gemeinsame mutige Antwort auf das „Wirtschaftswunder“ der Amerikaner. Wenn vor allem die deutsche Wirtschaft beim Mega-Thema Digitalisierung nicht mitmischt, wird sie weggewischt. Aber auch ganz Europa muss sich über solide Standortfaktoren für die Privatwirtschaft so attraktiv machen wie in der griechischen Mythologie die schöne Europa für Gottvater Zeus. Es ist nicht gottgegeben, dass Europa auf den Status Industriewüste zusteuert. Für Europas Bürger geht es um Arbeitsplätze und persönlichen Wohlstand, also um so freundliche Perspektiven, dass man nicht mehr vor jeder europäischen Nationalwahl Angst vor Euro-feindlichen Regierungen haben muss.
Schon Martin Luther sagte: Aus einem verzagten Hintern kommt kein fröhlicher Furz.