Über Lieferengpässe, Exporteintrübungen und abschwächenden Konsum wird die Weltwirtschaft definitiv großen Schaden nehmen. Für die Finanzmärkte ist aber vor allem entscheidend, ob der zukünftige Konjunkturverlauf V-, U- oder L-förmig verlaufen wird. Um den Super-GAU von „L“ zu verhindern, werden Fiskal- und Geldpolitik mit ihren Therapien auch Neuland betreten.
Das Corona-Virus frisst sich weiter durch die Weltkonjunktur. Der Einbruch der chinesischen Stimmung in der Industrie und dem Dienstleistungssektor auf jeweils Allzeit-Tiefs ist auch bemerkenswert, weil die KP in Peking diese schwere Malaise nicht mehr leugnet.
Der China-Effekt verschont selbst das bislang so robuste Konjunktur-Amerika mit seinen international aufgestellten Konzernen nicht. Der Rückgang der Neuaufträge im Verarbeitenden US-Gewerbe gemäß ISM Index von 52 auf 49,8 und damit in Schrumpfungs-Terrain spricht eine klare Sprache.
Auch die folgenden Frühindikatoren für Europa und Deutschland werden diese Eintrübung zeigen. Der Kelch der Viruskrise geht an den typischen Exportnationen naturgemäß nicht vorbei.
Das V-Szenario ist das Wunschszenario der (Geld-)Politik und der Anleger. Man hofft, dass die Epidemie-Welle Ende März bzw. Anfang April ihren Zenit überschreitet. Der Westen könnte von den Erfahrungen Chinas lernen, zumal westliche Gesundheitssysteme vergleichsweise besser aufgestellt sind als das chinesische.
Nach einem kurzen Einbruch der Weltwirtschaft würden erhebliche Nachholeffekte bei Investitionen und Konsumausgaben eintreten, die im zweiten Halbjahr 2020 zu einem überdurchschnittlichen Wachstum und Aktienbörsen führen, die neue Rekordhochs erreichen.
Dieses Narrativ hat jedoch an Zustimmung verloren. Mittlerweile ist die Mehrheitsmeinung, dass die Epidemie und damit auch die wirtschaftlichen Folgeschäden länger wirken, zumal beispielsweise ausgefallene Flüge, Reisen, Veranstaltungen oder Restaurantbesuche nicht mehr nachgeholt werden. Insofern kommt es eher zu einem allmählichen U-förmigen Erholungsprozess im III. bzw. IV. Quartal. Bis Ende des Jahres wären aber immer noch neue Rekordstände an den Aktienmärkten zu erwarten.
Schrecklich wäre ein L-Szenario. Das Virus würde der internationalen Konjunktur einen massiven und andauernden Schlag versetzen, von dem sie sich lange Zeit nicht erholt. Dann säße die Weltwirtschaft in der „Globalisierungsfalle“: Weltweit auf letzte Effizienz getrimmte Liefer- und Produktionsketten bei gleichzeitig unterstellter immerwährender Funktionsfähigkeit würden die dramatisch voneinander abhängigen Unternehmen in einen Teufelskreis ziehen. Über Multiplikatoreffekte würde der Virus schließlich den Arbeitsmarkt infizieren und den Konsum kollabieren lassen. Soziale Probleme mit einem auch politisch zu zahlenden Preis wären vermutlich unausweichlich. Die Börse würde den Zusammenbruch der vernetzten Weltwirtschaft mit all ihren Auswirkungen auf Umsätze und Gewinne durch frühzeitige Kurseinbrüche vorwegnehmen.
Um dieses apokalyptische Szenario einer Nulllinie wie bei einem EKG um jeden Preis zu verhindern, werden die Notenbanken eine beispiellose Mobilmachung starten. Die US-Notenbank hat bereits eine vorbeugende außerordentliche Zinssenkung - „Corona Cut“ - um 50 Basispunkte auf nun 1,25 Prozent durchgeführt. Da konjunkturelle Viren-Gefahr im Verzug ist, wollte die Fed nicht fahrlässig bis zur nächsten regulären Sitzung am 17. und 18. März warten. Und der Zinssenkungsprozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Der Blick auf die amerikanische Zinsstrukturkurve, die die Renditen gemäß Laufzeit zeigt, deutet im Vergleich zu Ende 2019 und angesichts der momentan bis zur Laufzeit von einem Jahr sinkenden Renditen, weitere Zinssenkungen um bis sogar 100 Basispunkten an.
Damit sorgt die Fed gleichzeitig für einen wieder schwächeren US-Dollar und umgekehrt für eine Stärkung der Währungen der Schwellenländer. Einer weiteren Kapitalflucht aus Asien und Südamerika nach Amerika soll die Grundlage entzogen werden. Zusätzlich will man die Finanzierbarkeit der mehrheitlich in US-Dollar aufgenommenen Kredite der Emerging Markets gewährleisten. Angesichts der weltwirtschaftlichen Bedeutung der Schwellenländer will die US-Notenbank der bereits zu beobachtenden Eintrübung der Frühindikatoren nicht weiter Wasser auf die Mühlen leiten. Sicherlich überzeichnet der Einfluss des chinesischen Teil- den Gesamtindex dramatisch.
Wegen des Virus treten Angebots- (Produktionsengpässe) und Nachfrageschock (Kaufzurückhaltung) gleichzeitig auf. Um diesem Doppelproblem entgegenzuwirken, werden alle großen Notenbanken aktiv werden. Zunächst werden sie jede noch so kleine neue Finanzkrise wie 2008 aufgrund weiterer Verschuldung, Bonitätsverschlechterung und Kreditausfälle, die auch auf die Banken einschlagen, im Keim ersticken. Noch mehr geldpolitische Üppigkeit soll einen weiteren Krisenherd an den Kapitalmärkten, der wirtschaftlich streut, bloß vereiteln. Zinspolitisch hat sie zwar kein Potenzial mehr. Doch ist durchaus eine Verdoppelung der Anleiheaufkäufe der EZB auf z.B. monatlich 40 Mrd. Euro möglich.
Erhöhte Liquiditätsgaben sollen zudem die Kapitalmarktteilnehmer veranlassen, Aktien zu kaufen. Die Notenbanker wissen, dass die Aktienmärkte der sensitive Punkt in unserem Wirtschaftssystem sind. Crashen sie, verstärkt dies mit viel Unterstützung von Social Media - es leben die Klicks und Quoten - die allgemeine Vertrauens- und damit Kaufzurückhaltung weiter.
Der abermalige Verfall der Renditen von Staatsanleihen zeigt, dass die Finanzmärkte diese „Planwirtschaft“ der Notenbanken bereits antizipieren.
Politiker weltweit sind in Sorge, dass ein herber Konjunkturrückschlag die soziale Stimmung durch Arbeitsplatzabbau massiv belasten könnte. In letzter Konsequenz könnte auch das europäische Gemeinschaftswerk Schaden nehmen. Zur konsequenten Schadensbegrenzung werden insbesondere mittelständische Unternehmen als Rückgrat der Euro-Wirtschaft, die besonders stark unter gestörten Lieferketten und Produktionsschließungen leiden und deutlich stärker von Zahlungsausfällen betroffen sind, in den Genuss von Kreditgarantien und Unternehmenshilfen kommen. Großzügiges Kurzarbeitergeld, Steuersenkungen und Konsumanreize sollen die Verbraucher bei Laune halten. Die bisherigen Hilfspakete Amerikas über rund 8 Mrd. US-Dollar und Italiens mit üppigen 5,6 Mrd. sind erst der Anfang. Auch deutsche Politiker werden sich nicht lumpen lassen. Im nächsten Jahr wird gewählt.
Eine nachhaltige Aktienerholung wird dann eintreten, wenn sich eine tatsächliche Eindämmung des Virus abzeichnet. Dies wäre dann der Fall, wenn die Zahl der Neuinfizierten nachgibt, spätestens aber wenn die weltweit geheilten Corona-Fälle die Neuinfektionen übertreffen. Dieser Zeitpunkt wird definitiv kommen. Dann fängt sich ebenso die weltkonjunkturelle Stimmung, die auf den niedrigsten Stand seit Mai 2009 gefallen ist.
Aktienstützende Wirkung kommt von der bevorstehenden Dividendensaison im April und Mai, die mit Blick auf gefallene Kurse höhere Dividendenrenditen verspricht. Insgesamt ist mit einer ähnlich hohen Ausschüttung wie im Vorjahr zu rechnen. Bei deutschen Einzelaktien lassen sich momentan sogar Dividendenrenditen von bis zu gut sechs Prozent erzielen. Ausschüttungsstarke Aktien bieten zudem ein Risikopolster gegen Kursschwankungen.
Angesichts der aktuell erbärmlichen Rekordtiefs bei Zinspapieren werden Dividenden also noch attraktiver. Der DAX wartet aktuell mit insgesamt gut 3,3, der Euro Stoxx 50 mit knapp vier und einige Branchen sowie ein reiner Euro-Dividendenindex mit weit über sechs Prozent Dividendenrendite auf.
Nach seinem Comeback am Super Tuesday mit Vorwahlen in 14 US-Bundesstaaten hat Joe Biden deutlich verbesserte Chancen auf eine demokratische Präsidentschaftskandidatur. Mit ihm könnte Wall Street gut leben, da er sich von den scharfen Regulierungen und staatlichen Eingriffen eines „demokratisch sozialistischen“ Bernie Sanders absetzt. Unabhängig davon gehen die Finanzmärkte von einer zweiten Amtszeit Trumps aus, was der US-Börse - egal wie man zu Trump steht - am besten schmeckt.
Die Börsen verhalten sich zurzeit manisch-depressiv: Auf den größten Kursverlust in kürzester Zeit folgten gewaltige -gewinne und dann wieder Enttäuschungen. Es wird zunächst hoch volatil bleiben. Die viralen „Schreckensnachrichten“ wie die potenzielle Verschiebung der Sommerolympiade in Japan werden erst einmal anhalten. Mehr noch als das Virus selbst, ist die Angst das entscheidende Problem für die Wirtschaft. Doch sollte festgehalten werden, dass Corona kein Killervirus ist. Überhaupt werden die geld- und finanzpolitischen Maßnahmen immer mehr greifen. Und die Druckbetankung der Konjunktur und der Zinsmärkte wirkt dem Ausverkauf an den Aktienmärkten entgegen.
Die Aktienmärkte sind nach Kursverlusten im DAX von zwischenzeitlich 13 Prozent in 11 Tagen stark überverkauft. Viele unsichere Hände haben den Aktienmarkt verlassen. Anleger sitzen auf viel Cash und sehen teilweise gute Kaufgelegenheiten. Der sogenannte Fear & Greed Index von CNN Business hat zuletzt einen extremen Angstausschlag der US-Anleger gezeigt, der sich sogar seinen Tiefständen aus der Hochzeit des Handelskriegs nähert. Dieses Szenario kann man auch als Kontraindikator werten.
Da aber auch noch nicht abzusehen ist, wann der Boden erreicht ist, bleibt auch eine Absicherung ratsam. Angesichts eines zuletzt klar gestiegenen Verhältnisses von Verkaufs- zu Kaufoptionen (Put/Call-Ratio) für US-Aktien ist diese tatsächlich abzulesen.
Charttechnisch liegt beim DAX auf der Unterseite eine erste Haltelinie bei 11.266 Punkten, gefolgt von einer weiteren bei 11.009. Im Falle einer Gegenbewegung nach oben liegt der erste Widerstand bei 11.845. Kann dieser durchbrochen werden, folgen weitere Barrieren bei 12.008, 12.241 und 12.512 Punkten.
Der Einbruch bei Im- und Exporten im Februar dokumentiert die Viruskrise in China.
In den USA schlägt sich die virusbedingte Verunsicherung in einem nachgebenden Konsumentenvertrauen der University of Michigan nieder. Auch der Optimismus-Index der US-Mittelständler zeigt Schlagseite. Die US-Inflation kann ihren Aufwärtstrend nicht fortsetzen.
In der Eurozone untermauern die vom Finanzdatenanbieter Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate die allgemeine Skepsis. Im Anlegerfokus steht, wie die EZB auf die Viruslage konkret reagiert.
In Deutschland dürften Eintrübungen der Industrieproduktion und bei Exporten im Januar einen Vorgeschmack auf das geben, was virusseitig noch kommt.