Aus Angst vor der Zinswende führte Gold seit Frühsommer ein Schattendasein. Mittlerweile jedoch hat das Edelmetall seine Schwäche beendet. Angesichts des hohen Inflationsdrucks, der geldpolitisch bislang nicht ernsthaft bekämpft wird, ist seine Werterhaltungsfunktion begehrt. Ohnehin sind Krisen nicht ausgestorben: Überschuldungsängste und coronale Konjunkturgefahren bleiben Evergreens. Doch wie nachhaltig ist die Goldpreis-Erholung?
Hohe Energiepreise und gestörte Lieferketten sorgen derzeit für extrem hohen Inflationsdruck, der reflexartig Ängste vor Liquiditätsdrosselungen und Leitzinserhöhungen der Notenbanken aufkommen lässt. Tatsächlich hat sich das Volumen negativ verzinster Anleihen weltweit von seinem Höhepunkt während der Corona-Krise deutlich zurückgebildet. Das einstige Killerargument gegen Gold - es zahle keine Zinsen - erhält insofern wieder etwas mehr Gewicht, was dem Goldpreis in diesem Jahr in der Tat eindeutig Schwung genommen hat.
Dennoch, der Umfang von Anleihen mit Halteprämien ist nach wie vor beträchtlich. Überhaupt scheinen die Zinserhöhungsängste bei näherer Betrachtung immer weniger zu verfangen. Schließlich muss dabei auch die Inflation Berücksichtigung finden.
Auf beiden Seiten des Atlantik legt man nämlich Wert darauf, dass die Inflation oberhalb der Leitzinsen bzw. Anleiherenditen bleibt, damit der Entschuldungseffekt greifen kann. Die massiven Staatsverschuldungen müssen weginflationiert werden, um ihre Tragfähigkeit künstlich zu erhalten. Und der grüne Umbau der Volkswirtschaften, die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Zusammenhalt Europas lassen keine Hoffnung aufkommen, dass neue Schulden zu einer aussterbenden Spezies werden.
Zwar räumte EZB-Chefin Lagarde zuletzt vor dem EU-Parlament ein, dass es wohl länger dauern werde als ursprünglich gedacht, bis die Inflation wieder zurückgehe. Dennoch hält sie am Narrativ „transitorischer“ Inflation fest. Und wenn sie kürzlich sagte, die Preissteigerung werde mittelfristig wieder unter dem Zielwert von zwei Prozent liegen, ist jede Frage nach wirklich restriktiver Zinspolitik klar beantwortet. Ohnehin betonte sie die von höheren Zinsen ausgehende Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. Insgesamt, die Zinsen werden auch zukünftig keine Gold-Feinde werden, selbst wenn die Realzinsen weniger negativ sind.
Grundsätzlich ist Gold aus Inflationssicht dramatisch unterbewertet. Nimmt man den Goldpreis von Anfang 1980 als Basis und passt diesen mit der US-Preisentwicklung an, liegt der „inflationsfaire“ Goldpreis mit aktuell 2.330 US-Dollar je Unze weit über dem gegenwärtigen Preis. Theoretisch verleiht das hohes Nachholpotenzial.
Offensichtlich wissen auch die Notenbanken selbst die inflationsschützende Funktion von Gold zu schätzen. Laut World Gold Council lagen ihre Zukäufe im Jahresverlauf 2021 stolze 54 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Insbesondere die Diversifizierungspolitik der Notenbanken aus Indien, Brasilien und Russland - u.a. zur Reduzierung ihrer US-Staatspapiere - setzt sich seit 2008 unvermindert fort.
Wurde bis Anfang Oktober noch eher auf einen Goldpreisverfall gewettet, haben sich die spekulativen Netto-Long-Positionen am Terminmarkt seitdem spürbar erholt. Kurzfristig orientierte Spekulanten lassen sich die Goldpreis-Rallye zur Aufbesserung ihrer Portfolio-Performance nicht entgehen.
Auch der Abbau der Goldbestände der institutionellen Investoren ist ausgelaufen. Die bis zuletzt anhaltende Preisschwäche betrachteten sie als attraktive Einstiegsgelegenheit.
Flankiert wird die aktuelle Investment-Nachfrage durch die laut World Gold Council stärkste Nachfrage auch der privaten Anleger nach Goldmünzen und -barren seit 2013. Insbesondere in Asien wurden die zwischenzeitlich niedrigeren Preise für Zukäufe genutzt.
Selbst der starke US-Dollar, zu dem Gold historisch typischerweise im Wechselverhältnis steht, kann dem gelben Edelmetall aktuell nichts anhaben. Der frühere Grundsatz „Ist der Dollar zu stark, ist der Goldpreis zu schwach“ hat momentan an Bedeutung eingebüßt.
Auf Euro-Basis erfährt der Goldpreis daher doppelte Unterstützung: Vom Gold- und Dollar-Anstieg.
Grundsätzlich steht Gold in Konkurrenz zu den Anlageklassen Aktien und mittlerweile auch Krypto-Währungen, die virtuell liquider als physisches Edelmetall sind. Dennoch spricht unter Abwägung aller Argumente nichts gegen einen Goldpreis, der 2022 nachhaltig die Marke von 2.000 Dollar je Unze bricht. Ohnehin geht es bei Gold um den langfristigen Besitz, nicht um die kurzfristige Rendite. Bei physischem Gold steht die Werterhaltungsfunktion im absoluten Mittelpunkt. In einer völlig überschuldeten Finanzwelt, in der trotz Stabilitäts-Beschwörungen Kaufkraftverluste nicht nur geduldet, sondern sogar begünstigt werden, wird Gold niemals „schlecht“.
Daneben bietet die Finanzindustrie für spekulative Anleger zahlreiche börsengehandelte Produkte an, die die Wertentwicklung des Goldes nachbilden, hebeln oder risikominimieren, ohne die für physische Produkte typisch hohen Aufschläge auf den Kaufpreis zahlen zu müssen. Gegenüber Goldminenaktien haben diese Produkte zudem den Vorteil, dass bei ihnen keine Förderrisiken wie politische Instabilitäten oder Streiks zum Tragen kommen.
Das klassische volkswirtschaftliche Verlaufsmuster, wonach auf eine robuste Konjunktur mit entsprechend hoher Inflation Zinssteigerungen folgen, greift nicht mehr. Obwohl das Preisverhältnis von konjunkturzyklischem Kupfer zu defensivem Gold stabile Wirtschaftsaussichten signalisiert, fallen die aktuellen Renditesteigerungen im Gegensatz zu früheren Gleichläufen sehr verhalten aus. Der US-Anleihemarkt als größter und liquidester Finanzmarkt glaubt offensichtlich an die These der vorübergehenden Inflation. Dass Zinserhöhungsängste eher „Halluzinationen“ sind, bestätigte laut Global Fund Manager Survey der Bank of America zuletzt auch die überwiegende Mehrheit der Fondsmanager.
Tatsächlich zeichnet sich an der Inflationsfront Entspannung ab. Nachdem China vergangenes Jahr die günstigen Preise zur Rohstoffhortung genutzt hat, setzt jetzt die Schubumkehr ein. In einer konzertierten Aktion mit Amerika, Japan, Indien und Südkorea wird über Verkäufe der strategischen Ölreserven nachgedacht, um den hohen Energiepreisen Einhalt zu gebieten. Nicht zuletzt spricht die Opec+ von einem Angebotsüberhang von Öl im nächsten Jahr.
Und die Kreditbeschränkungen in China, die die Rohstoffhausse und ihre inflationstreibende Wirkung bremsen sollen, zeigen ebenfalls Wirkung.
Optimistisch stimmt auch, dass sich der amerikanische Economic Surprise Index in das Überraschungsterrain zurückgearbeitet hat. Die fundamental zuletzt enttäuschten US-Aktienmärkte erhalten wieder mehr Rückenwind. Auch China, die Eurozone und die Schwellenländer zeigen sich wieder „überrascht“, wenn auch knapp.
Diese positive Trendumkehr dürften die ifo Geschäftserwartungen in der kommenden Woche untermauern. Unterstützend für die deutsche und europäische Exportindustrie wirkt ebenso der schwache Euro, der gegenüber dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit Juli 2020 gefallen ist.
Nicht zuletzt kommt deutschen Aktien die Liquiditätshortung der Unternehmen zugute, die mit 688 Mrd. Euro auf Rekordniveau liegt. Durch Inflation und Strafzinsen wird der reale Wertverlust immer größer, was den Investitionsdruck auch immer mehr erhöht. Insofern bieten sich gute Möglichkeiten, in einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftswelt technologisches Know-How zuzukaufen. Die M&A-Hausse nährt die Aktienhausse.
Meldungen über eine Rekord-Infektionslage in Deutschland und auch wieder zunehmende Neuinfektionen in den USA prallen an den Finanzmärkten ziemlich ab. Dort rechnet man im schlimmsten Fall mit Lockdown lights. Mögen sie Recht behalten.
Aus Sentimentsicht mahnt der Fear & Greed Index von CNN Money, der als Kontraindikator „extreme Gier“ anzeigt, zur Vorsicht vor plötzlichen Gegenbewegungen.
Wenn auch zwischenzeitliche Ermüdungserscheinungen einzukalkulieren sind, ist die Rekordrallye bei Aktien dennoch nicht ausgereizt. Sie bleiben angesichts des zinsseitigen Anlagenotstands begünstigt.
Dabei rotieren Anleger je nach News Flow durch eine Vielzahl von Sektoren. Dieses Anlage-Karussell treibt die Aktienmärkte in Trippelschritten höher. Rückschläge sind in diesem Umfeld Verschnaufpausen oder sogar Kaufgelegenheiten beim DAX auf dem Weg zum Jahresend-Ziel von mindestens 16.400 Punkten.
Nicht vergessen werden darf, dass High-Tech und Klimaschutz noch für lange Zeit unverwüstliche Geschäftsmodelle verbriefen und damit starke Megathemen sind.
Aus charttechnischer Sicht liegen im DAX auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 16.284 und 16.286 Punkten. Werden diese durchbrochen, sind weiter steigende Kurse bis 16.374, 16.400 und schließlich 16.828 möglich. Kommt es zu einer Gegenbewegung, sind Rücksetzer bis an die Marken bei 16.222, 16.150 und schließlich 16.104 einzukalkulieren. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 16.030 und 15.985 Punkten.