Auf ihrer Sitzung am 24. Januar hat die EZB der Finanzwelt alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Vor dem Hintergrund der ungeklärten Brexit-Frage, des Handelskonflikts und damit verbundenen konjunkturellen Misstönen sowie anhaltenden Euro-politischen Verspannungen muss die EZB keine Angst haben, dass ihr die Argumente für eine ultralockere Geldpolitik genommen werden. Die Zinswende lässt weiter auf sich warten. Und wenn sie überhaupt kommt, dann wird sie minimalistisch sein. Die EZB bleibt ein guter Freund der europäischen Aktienmärkte.
Eine grundsätzliche Konjunkturstabilisierung der Eurozone in den kommenden Monaten bleibt zwar das Basisszenario der EZB. Trotzdem äußerte Mario Draghi explizite Bedenken, dass die zwischenzeitliche Konjunkturverlangsamung hartnäckiger sein könnte. So könnte ein harter No Deal-Brexit den europäischen Wirtschafts- und insbesondere Exportausblick ebenso trüben wie handelsseitige Risiken. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinem World Economic Outlook bereits die Eurozone - nicht die USA oder China - als schmerzhaften Druckpunkt der Weltwirtschaft ausgemacht und die eurozonalen Wachstumsprojektionen für 2019 von 1,9 auf 1,6 Prozent gesenkt.
Die angeschlagene Situation spiegelt sich in der nachgebenden Stimmung im Verarbeitenden und Dienstleistungsgewerbe der Eurozone wider.
Selbst in Deutschland ist die Industriestimmung gemäß Einkaufsmanagerindex auf klarem Abschwächungskurs. Auch die Bundesregierung denkt darüber nach, ihre Wachstumsprojektionen für 2019 auf 1,0 anstatt 1,8 Prozent zu senken.
Ohnehin verhindert die Eurosklerose auch 2019 jede echte geldpolitische Wende. Die EZB will vor der Europawahl Ende Mai 2019 keine Zinsängste herbeiführen und damit schlafende Euro-kritische Hunde wecken. Sie übernimmt vorerst weiter die Rolle des geldpolitischen Friedensstifters, der Sozialleistungen bezahlbar macht.
Auch von der geldpolitisch entscheidenden Front, der Inflation, vernimmt die EZB unverkennbare Friedenszeichen. Moderate Ölpreisentwicklungen sprechen für gedämpfte Preiserwartungen. Selbst vom jetzigen Niveau ansteigende Ölpreise würden aufgrund höherer Preise im Vorjahr keinen Inflations-Schaden anrichten.
Abwärts gerichtete Inflationserwartungen - denen die tatsächlichen Inflationsdaten mit zeitlicher Verzögerung in der Regel folgen - signalisieren, dass die Preissteigerung in der Eurozone ihren Höhepunkt 2018 hinter sich gelassen hat. Vor diesem Hintergrund hat sich die EZB festgelegt, ihre „Leitzinsen mindestens über den Sommer 2019 und in jedem Fall so lange wie erforderlich auf ihrem aktuellen Niveau“ zu belassen. Die dann, wenn überhaupt, stattfindenden Zinserhöhungen werden so langsam sein, dass im Vergleich eine Schnecke Formel 1-Rennen bestreiten könnte.
Darüber hinaus hat die EZB die Notwendigkeit einer auch weiterhin lockeren Liquiditätspolitik bekräftigt. Sie beabsichtigt, „die Zahlungen fällig werdender Wertpapiere aus ihrem Anleiheaufkaufprogramm über einen längeren Zeitraum nach dem Datum, an dem sie die Leitzinsen erhöht, vollständig zu reinvestieren“. Ohnehin kann sich die EZB auf die ansonsten drohende, scharfe Liquiditätsverknappung im kommenden Jahr berufen. Denn dann werden die zwischen 2014 und 2016 vergebenen Langfristkredite an Banken (TLTROs) im Volumen von schätzungsweise 500 Mrd. Euro fällig. Weitere üppige Finanzmittel können die Banken wie bereits nach den vergangenen Liquiditätsspritzen zum Kauf von Staatsanleihen nutzen. Dem Renditeerhöhungsdruck für Staatsanleihen der Eurozone ist also wirksam vorgebeugt.
Neben den anhaltenden politischen Risiken in Europa sowie Wachstumssorgen in der Eurozone schwächt ebenso der hinausgezögerte Start der Zinswende der EZB bei einer Liquiditätsausstattung auf Rekordniveau die Aufwertungstendenz des Euros. Mit der Aussicht auf ein Ende des amerikanischen Zinserhöhungszyklus entfällt zwar relativ ein gewichtiges Argument für eine US-Dollar-Befestigung. Unter dem Strich schlägt sich allerdings die Euro-Skepsis in einem seit Jahresbeginn wieder ausgeweiteten Renditevorsprung Amerikas gegenüber z.B. deutschen Staatsanleihen nieder.
In schwierigen Börsenzeiten stabilisiert das „lower for longer“ der EZB ohne Zweifel die europäischen Aktienmärkte.
Auf politischer Ebene hat Premierministerin Mays Brexit-Plan B - der nur Plan A in neuem Gewand ist - keine Chance, den Brexit-Konflikt zu entschärfen. Da die EU Nachverhandlungen in der irischen Grenzfrage konsequent ablehnt, wird „Plan A 2.0“ auch bei der zweiten Parlamentsabstimmung am 29. Januar krachend scheitern. Allerdings will das britische Parlament wegen der ansonsten schmutzigen Scheidung mit allen wirtschaftlich katastrophalen Folgen keinen EU-Austritt ohne ein Austrittsabkommen zulassen. Nach aktuellem Stand ist zu erwarten, dass die Abgeordneten die Regierung zwingen, gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags den harten Brexit ohne Abkommen zunächst über den offiziellen Scheidungstermin am 29. März 2019 hinaus aufzuschieben, um eine Lösung zu erreichen, die Großbritannien zumindest in der Zollunion hält. Ist dies politisch nicht möglich, wird man die Bevölkerung erneut befragen müssen.
Angesichts der rückläufigen Volatilität am britischen Aktienmarkt und beim Pfund gegenüber Euro preisen die Finanzmärkte eine vernünftige Lösung immer noch ein.
Zwischenzeitlich sorgen immer mal wieder versöhnliche Töne im US-chinesischen Handelsstreit für aufkeimende konjunkturelle Hoffnung. Wenn die Vernunft noch irgendeine Rolle spielt, wird man mit Blick auf die mittlerweile entstandenen Reibungsverluste des Handelskrieges bald eine Lösung finden.
Selbst der Anstieg der Konjunkturerwartungen laut ZEW im Januar spiegelt etwas mehr Konjunkturhoffnung wider, was offensichtlich auch dem exportsensitiven deutschen Aktienmarkt (DAX) guttut.
Auf Sentimentebene ist die Kaufbereitschaft der Anleger trotz insgesamt neutraler Stimmung vergleichsweise groß. Das vor allem Finanzprofis weitere Kurssteigerungen erwarten, kommt in abnehmenden Kursabsicherungen zum Ausdruck.
Entsprechend zeigt sich der von der Bank of America Merrill Lynch ermittelte Skew Indicator - Werte über Null signalisieren höheren Finanzmarktstress, Werte unter Null geringeren - als Maß für die Nachfrage nach Absicherung gegen Kursschwankungen am globalen Aktienmarkt im Trend rückläufig.
Auch die Investitionsquote der US-Fondsmanager notiert auf dem höchsten Niveau seit vergangenem Oktober. Bei einem Ausbleiben neuer Negativ-Schlagzeilen und einer nachhaltigen positiven Trendwende - als ultimative Bringschuld der Politik - werden die Aktienmärkte ihre Erholung fortsetzen.
Charttechnisch trifft der DAX bei 11.217 Punkten auf ersten Widerstand. Kann dieser überschritten werden, trägt die Erholung bis zur Barriere bei 11.316. Darüber liegen weitere bei 11.519 und 11.696. Für eine nachhaltige Aufhellung muss allerdings die Marke bei 11.600 Punkten zurückerobert werden. Kommt es zu einer erneuten Korrektur, liegen bei 10.995, 10.780 und 10.387 die nächsten Unterstützungen.
In China signalisieren die offiziellen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe sowie das von der Finanznachrichtenagentur Caixin veröffentlichte Pendant für die Industrie weiteren konjunkturellen Gegenwind.
In den USA fällt das US-Wachstum gemäß BIP-Zahlen für das IV. Quartal 2018 trotz leichter Reibungsverluste grundsätzlich solide aus. Auch die „harten“ Fakten der Auftragseingänge langlebiger Güter zeigen sich robust, flankiert von gesunden monatlichen Daten vom US-Arbeitsmarkt. Allerdings bleibt die Konjunkturstimmung als Frühindikator trotz einer leichten Stabilisierung des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe angeschlagen. Dabei nimmt auch die Konsumentenstimmung laut University of Michigan zunehmend Schaden. Vor diesem Hintergrund gewinnen auf der Jahresanfangssitzung der Fed die taubenhaften Töne die Oberhand.
In der Eurozone unterstützen die schwachen BIP-Zahlen für das IV. Quartal 2018 sowie verhaltene Erstschätzungen der Inflation im Januar die weiterhin ultralockere Ausrichtung der EZB. In Deutschland bleibt die Binnennachfrage laut stabilem GfK Konsumklimaindex ein wichtiges Konjunkturstandbein.