Die Handicaps an den Aktienmärkten lichten sich. Davon zeugen auch die Aufhellungen der konjunkturellen Frühindikatoren, selbst in der Eurozone. Tatsächlich ist das US-chinesische Teilabkommen zum transpazifischen Handelsstreit aus psychologischer Sicht sicher bedeutend. Inhaltlich ist es jedoch nicht so vielversprechend, dass mit einer deutlichen weltwirtschaftlichen Erholung zu rechnen ist. Ohnehin ist im transatlantischen Handelskonflikt noch keine Friedenspfeife geraucht worden. Immerhin müssen Anleger kein Ende der weltweit freizügigen Geldpolitik befürchten. Eine wichtige Anlegerfrage ist, wie viel an positiven Nachrichten bereits in den Aktienkursen eingepreist ist.
Die handelsseitig verbesserten Konjunkturperspektiven spiegeln sich in den Sentix Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate wider. Über alle Wirtschaftsregionen hinweg haben sie sich kräftig aufgehellt. In den USA ist das Rezessionsthema vom Tisch, was zuletzt der Konjunkturbericht (Beige Book) der US-Notenbank unterstrich. Besondere Konjunkturerholungssignale senden die Schwellenländer Asiens.
Der weltwirtschaftlich zunehmende Rückenwind sorgt nicht zuletzt in der exportsensitiven Euro-Wirtschaft für eine Stimmungserholung.
Das positive eurozonale Überraschungsmoment kommt seit Ende 2019 ebenso deutlich in dem von der Citigroup veröffentlichten Überraschungsindex - er misst die Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen - zum Ausdruck. Der Handelsstreit als Schreckgespenst verliert an den Aktienmärkten der Eurozone an Einfluss.
Europa sollte nicht nur Trittbrettfahrer der Weltwirtschaft sein. Leider mangelt es in Europa und Deutschland an konsequenten Strukturreformen, die der Wirtschaftserholung mehr Dynamik verleihen würden. Damit böte man auch dem Exodus von Unternehmen in weltweit attraktivere Standorte Paroli.
Senkungen der Unternehmenssteuern sind eine gute Maßnahme zur Verbesserung der nationalen Standortqualitäten. So hat Trump schon seit 2017 ähnlich wie Ronald Reagan in den 1980ern maßgebliche Wirtschaftsimpulse in den USA gesetzt. Auch deswegen haben mittlerweile eine Billion US-Dollar den Weg nach Amerika gefunden. Und nach dem Brexit wird es Boris Johnson in Großbritannien Margaret Thatcher gleichtun und mit Steuererleichterungen dem Verlust des Europäischen Binnenmarkts entgegenwirken.
Auch das vielfach als reformunfähig betrachtete Frankreich hat seine Wirtschaft mit der Kappung der Unternehmenssteuern von 33 auf 28 Prozent stimuliert. Wenn selbst italienische Steuern unterhalb der deutschen liegen, gerät der deutsche Standort mit einer durchschnittlichen Unternehmensbesteuerung von 30 Prozent immer mehr ins Abseits.
Daneben hat Deutschland zu lange am Status Quo seiner klassischen Industriebranchen festgehalten. Die neuen digitalen Rahmenbedingungen werden auch infrastrukturell zu wenig beachtet. Hinzu kommt eine oft ideologisch verzerrte Diskussion, die die wirtschaftlichen Kollateralschäden nicht ernst genug nimmt. In einer globalen Welt jedoch, die den Industrieweltmeister vom Sockel stoßen will, ist diese Haltung fatal. Unterstrichen wird diese Misere durch ein deutsches Wirtschaftswachstum, das 2019 trotz Nullzinsen mit 0,6 Prozent so schwach wie zuletzt 2013 ausgefallen ist. In keinem Land ist die industrielle Fallhöhe größer als in Deutschland.
Und wer beim Klimaschutz A sagt, sollte auch B sagen. Umwelttechnik Made in Germany muss nach allen Regeln der wirtschaftspolitischen Kunst gefördert werden.
Das nun unterzeichnete erste Teil-Handelsabkommen zwischen den USA und China sorgt vor allem psychologisch für Anlegerentspannung. Endlich gibt es Bewegung. Trump hat gemerkt, dass ein eskalierender Handelskrieg auch dem US-Aktienmarkt und seiner Wiederwahl schadet. Und China kann die Kraft des Faktischen eines enttäuschenden Exportwachstums im letzten Jahr auch nicht ignorieren.
Nüchtern abgeklopft ist es aber nur eine bessere Waffenruhe. Man hat sich auf den geringsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Der Abschluss eines „Phase Zwei"-Abkommens wird zäh, langwierig und in diesem Jahr ohnehin nicht mehr erfolgen. Zwar hat China angesichts seiner Export-Malaise ein vitales Interesse daran, die weiteren Verhandlungen zu beschleunigen, an deren positivem Ende auch die US-Zölle gestrichen würden. Doch will China seinen Staatskapitalismus u.a. mit gewaltigen Industriesubventionen nicht aufgeben. Und beim Schutz geistigen Eigentums genießt die Transformation vom Saulus zum Paulus sicherlich keine Priorität. Trump wiederum will im republikanischen Wahlkampf weiter populistisch auf das Handelsthema setzen, das ja auch von demokratischer Seite besetzt wird. Überhaupt sollte nicht unterschätzt werden, dass beide Länder um die wirtschafts-technologische Weltherrschaft kämpfen. Daher ist Goodwill naturgemäß wenig vorhanden.
Immerhin, mit ein bisschen Handels-Frieden und indem China von Trump nicht mehr als Währungsmanipulator gebrandmarkt wird, hat dieser Konflikt aus dem Blickwinkel der Aktienmärkte an Brisanz verloren.
Der Anlegerfokus richtet sich von nun an auf den transatlantischen Handelskonflikt. Nach dem Treffen von EU-Handelskommissar Phil Hogan und seinem US-Kollegen Robert Lighthizer bleiben die Fronten offiziell und wenig überraschend verhärtet, da die EU den US-Forderungen nach einer Aufgabe des Ostsee-Pipeline-Projekts und der Öffnung des europäischen Agrarmarktes widerspricht. Hier mauert vor allem Frankreich aufgrund des Status eines immer noch großen Agrarstaats.
Lichtblicke für den Aktienmarkt, dass der transatlantisch kalte Handelskrieg nicht heiß werden muss, zeigen sich dennoch. So spricht EU-Handelskommissar Phil Hogan davon, dass US-Importzölle auf europäische Autos inzwischen „kaum mehr“ ein Thema seien. Das lässt auf durchaus vorhandenen Gestaltungsspielraum bei den bevorstehenden Verhandlungen schließen. In puncto Senkung von Industriezöllen zeigt sich die EU ohnehin verhandlungsbereit. Zur Konfliktentschärfung bietet sich auch der verstärkte Import von US-Fracking Gas an, was ebenso dem Abbau des amerikanischen Handelsdefizits gegenüber der EU zugutekäme. Und selbst in geopolitischen Fragen wie der Iran-Krise dürfte sich die EU Amerika annähern.
Und trotzdem ist jederzeit mit wählerwirksam inszenierten Twitter-Tiraden gegen die EU zu rechnen. Die aktuell sehr niedrigen Volatilitäten an den Aktienmärkten dürften nicht zu halten sein. Kursschwankungen, die zu Konsolidierungen bis zu 10 Prozent führen, sind durchaus einzukalkulieren. Diesem Umstand kann man mit regelmäßigem Aktiensparen aber gut begegnen.
Da insgesamt lediglich mit einer weltwirtschaftlichen Stabilisierung zu rechnen ist, hat die großzügige internationale Geldpolitik Bestand. Insofern ist weiterhin für das Brot und Butter-Geschäft am Aktienmarkt gesorgt. Denn die Alternative Zinsvermögen bleibt unappetitlich.
Positive Impulse sind ebenso von der US-Berichtsaison für das Schlussquartal 2019 zu erwarten. Zwar wird insbesondere der Automobil- und Energiesektor sowie Grundstoffe laut Zacks Investment Research weiter negativ betroffen sein. Im Fokus stehen allerdings die Ausblicke für 2020, die den Teilfrieden im Handelsdisput berücksichtigen. Tatsächlich dürfte mit ihnen das Ende der Ertragsrezession eingeläutet werden. Die Gewinnrevisionen der Analysten gehen bereits nach oben, auch in Deutschland.
Sollte der DAX sein Allzeithoch nicht knacken können, droht aus Enttäuschung zunächst eine Topbildung in Form von Gewinnmitnahmen. Dann wird man dem Argument, dass der DAX bereits viele positive Daten einpreist, erhöhte Bedeutung beimessen. Allerdings sind scharfe Konsolidierung nicht zu erwarten. Dazu ist die allgemeine Großwetterlage zu stabil, die bei weiterer fundamentaler Besserung das rekordhoch zügig ins Visier nimmt.
Charttechnisch trifft der DAX bei fortgesetzter Stabilisierung an der Marke bei 13.526 Punkten auf ersten Widerstand. Bei Überwindung folgen die nächsten Barrieren bei 13.597 und schließlich am dann neuen Allzeithoch. Kommt es zu Gewinnmitnahmen, trifft der DAX bei 13.150, 13.019 und 12.992 auf erste Unterstützungen. Darunter warten weitere Haltelinien bei 12.795, 12.566 und schließlich 12.388 Punkten.
In Japan zeichnet der Dreiklang aus schwachen Exporten, einer angeschlagenen Industriestimmung und der hartnäckigen Desinflation ein weiter trübes Konjunkturbild. Die Bank of Japan wird an ihrer geldpolitischen Lockerung stoisch festhalten.
In den USA signalisieren die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe eine Konjunkturstabilisierung.
In der Eurozone zeigt sich die Stimmung bei Dienstleistern zwar stabil, die Industriestimmung bleibt jedoch noch verhalten. Entsprechend weicht die EZB auf ihrer Sitzung kein Jota von ihrem ultralockeren Standpunkt ab, zumal sie ja auch für Zwecke des Klimaschutzes eingesetzt wird.
In Deutschland deuten die ZEW Konjunkturerwartungen auf eine Konjunkturstabilisierung in der zweiten Jahreshälfte hin.