Der Ukraine-Krieg schlägt sich in einer immer gewaltigeren Inflationswelle nieder. Allerdings wird die EZB ihrer originären Aufgabe als Wellenbrecher trotz einer leicht restriktiveren Note überhaupt nicht gerecht. Mit großer Unterstützung der (Finanz-)Politik betreibt sie eindeutig Konjunkturförderung.
Die Sanktionen des Westens gehen immer weiter. Das Importembargo der USA und Großbritanniens auf russisches Öl, Gas und Kohle ist aufgrund der begrenzten Menge zwar eher politischer Natur. Dennoch gibt es einen Vorgeschmack auf theoretisch drohende Preise, wenn Energielieferungen auch von kontinentaleuropäischer Seite komplett boykottiert werden oder die russische Seite die Öl- und Gashähne zudreht.
Angesichts der unsicheren Energieversorgung sucht Europa händeringend nach Alternativen. Dass die EU die Verringerung russischer Gasimporte um zwei Drittel binnen Jahresfrist plant, ist eher psychologische Kriegsführung als realitätsnah. Eine Wiederaufnahme der Ölversorgung durch den Iran - falls es zu einem Durchbruch der Atomverhandlungen kommt - ist zwar willkommen. Doch ist sein Volumen kein befriedigender Ersatz, zumal die Reaktion der Opec darauf unklar ist. Für sie scheint aktuell das Laben an den hohen Ölpreisen Priorität vor ausreichender Versorgung zu haben.
Doch scheinen die noch bestehenden Energielieferungen aus Russland als energieseitiges Gleichgewicht des Schreckens zu dienen: Setzt Russland die Lieferungen auf null, fehlen dem Land dringende Einnahmen. Und boykottiert Europa die Abnahme, fehlt das Schmiermittel für seine Wirtschaft. Im Übrigen verliert dieser theoretische Trumpf seine Wirkung, sobald er praktisch ausgespielt ist.
Insgesamt, wegen der unsicheren Versorgungslage verharren Öl und Gas sowie Agrargüter und Industriemetalle - eigentlich alle Rohstoffe - auf hohem Niveau.
In der Eurozone wird der Preisdruck durch die Euro-Abschwächung gegenüber US-Dollar noch verschärft.
Auf die dramatisch gestiegene Rohstoffpreise reagiert die EZB mit einer Anhebung ihrer Inflationsprognosen (2022: 5,1 statt 3,2 Prozent, 2023: 2,1 statt 1,8 Prozent, 2024: 1,9 statt 1,8 Prozent).
Vor diesem Hintergrund sieht sie sich zu einer vorsichtigen Drosselung ihrer Liquiditätsversorgung veranlasst. Zunächst beendet sie ihr Pandemic Emergency Purchase Programme wie geplant. Die teilweise Kompensation über konventionelle Anleihenaufkäufe (APP) steht zwar schon bereit, doch wird sie zeitlich und vom Volumen verkürzt. Konkret erhöht die EZB im April ihre konventionellen Käufe von aktuell 20 auf 40 Mrd. Euro. Doch im Mai reduziert sie diese auf 30 Mrd. und im Juni kehrt sie zum Ausgangsvolumen von 20 Mrd. Euro zurück. Bei anhaltend hohem Preisdruck stellt die EZB sogar das Ende von APP bereits zum III. Quartal in Aussicht. Damit die Eurozone dennoch nicht von unerwünschten Zinssteigerungseffekten heimgesucht wird, reinvestiert sie die Erträge aus fällig werdenden Anleihen des PEPP mindestens bis Ende 2024.
Selbst Zinserhöhungen schließt die EZB theoretisch nicht mehr aus. Als praktische Bedingung für Zinsanhebungen müsse die Inflation allerdings nachhaltig über zwei Prozent bleiben, was mit Blick auf die Inflationsprognose 2024 von 1,9 Prozent nicht der Fall ist. Die EZB vertraut darauf, dass sich der aktuell sprunghafte Preisanstieg schrittweise auswächst.
Ohnehin - so ihre Denkweise - würde die EZB die Rezession mit markanten Zinserhöhungen noch verstärken. Denn Lieferausfälle - die Ukraine ist ein integraler Bestandteil europäischer Lieferketten - sowie weitere Kostensteigerungen für die Produktion werden den industriellen Aufschwung spürbar bremsen. Daneben führt der energieseitige Kaufkraftverlust zu Konsumzurückhaltung. Das dürfte die Wirtschaft der Eurozone insgesamt mehr belasten, als das die abebbenden Corona-Maßnahmen und Verbesserungen der Lieferketten die Wachstumsperspektiven aufhellen.
Davon zeugen auch die von der Investment-Beratungsfirma Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate, die sich deutlich eintrüben. In der Eurozone und Deutschland verzeichnen sie sogar einen historischen Einbruch auf die Tiefstände der Corona-Krise.
Das korrespondiert mit den gesenkten Wachstumsprojektionen der EZB (2022: 3,7 statt 4,2 Prozent, 2023: 2,8 statt 2,9 Prozent, 2024: unverändert 1,6 Prozent), die für dieses Jahr sogar noch zu optimistisch ausfallen. Eine im Jahresverlauf stattfindende Reduzierung gäbe ihr Spielraum für eine noch weniger restriktive Geldpolitik.
Nicht zuletzt müssen die Kosten für kurzfristige Verbraucherentlastungen sowie Rüstung und alternative Energiesicherheit finanziert werden. Allein die Bundesregierung plant Investitionen in Energiesicherheit und Klimaschutz über 200 Mrd. Euro bis 2026. Um die komplette Unabhängigkeit von russischer Energie ab 2027 zu finanzieren, diskutiert die EU sogar über eine erneute gemeinschaftliche Schuldenaufnahme. Ein möglicher Energie- und Verteidigungsfonds ähnlich vielleicht dem Corona-Wiederaufbaufonds widerspricht gravierenden geldpolitischen Einschnitten.
Insofern behält bei der EZB Konjunktur- eindeutig Vorrang vor Preisstabilität. Inflationsraten oberhalb von Anleiherenditen halten Zinspapiere in der No Go-Zone.
Grundsätzlich fahren die Aktienbörsen auf Sicht. Gemäß Live-Ticker schwanken sie zwischen Wohl (Nicht-Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato bei Gewährung von Sicherheitsgarantien und unabhängigem Status der russisch besetzten Gebiete) und Wehe (Kompromisslosigkeit der russischen Seite, keine Waffenruhe).
Um aus den Bärenmarkt-Rallyes nachhaltige Aufwärtsbewegungen zu machen, müsste der schädliche Kreislauf aus Sanktionen und Gegensanktionen durchbrochen werden. Da sind wir noch nicht.
Im internationalen Vergleich sind Europas Aktienbörsen mit einem Bewertungsabschlag zur US-Konkurrenz von gut 30 Prozent besonders gebeutelt.
Europas Unternehmen sind aufgrund der geographischen Nähe, Rohstoffabhängigkeit und zyklischen Natur stärker vom Ukraine-Konflikt betroffen als Firmen aus Übersee. Gegenüber diesem auch anlegerpsychologischen Handicap verblasst die Tatsache, dass sie im Durchschnitt etwa zwei Drittel ihrer Umsätze auf anderen Kontinenten erzielen. Immerhin, bei Befriedung des Konflikts sind sie bei Anlegern erste Wahl.
Die Volatilität als ein Risikomaß für den DAX bewegt sich auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Corona-Krise 2020.
Der Macro Risk Index der Citigroup dokumentiert mit einem Absturz auf 0,88 - ein Wert auf dem Niveau der Lehman-, Euro- oder Corona-Krise - die dramatische Risikoaversion institutioneller Anleger wie z.B. Fondsmanagern. Werte größer als 0,5 signalisieren zunehmende Risikoabneigung, Werte kleiner als 0,5 Risikofreude. Jedoch spricht der aktuelle Extremwert für eine Bodenbildung.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 13.630, 13.690, 14.027, 14.207, 14.222 und 14.815 Punkten. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 13.390, 13.200 und 13.150. Werden diese unterschritten, drohen Verluste bis 12.832, 12.758 und 12.273 Punkten.
Der zunächst sprunghaft angestiegene Goldpreis hat sich zuletzt etwas beruhigt. Angesichts der grundsätzlich bestehenden Kriegs-, Inflations- und Rezessionsängste bleiben sichere Anlagehäfen jedoch grundsätzlich gefragt. Eher kurzfristig orientierte Spekulanten an den Terminmärkten untermauern die aktuell gute Gold-Stimmung durch einen seit Anfang Februar zunehmenden Aufbau von Netto-Long Positionen.
Auch Langfrist-Investoren greifen wieder zu: Der seit Frühjahr 2021 festzustellende Abbau physisch gehaltener Goldbestände börsengehandelter Fonds zeigt seit Anfang Februar eine erkennbare Trendwende.
Denn eine die Inflation nicht einholende Geldpolitik verhindert, dass Zinsvermögen als größte konkurrierende Anlageform zu Edelmetallen an Attraktivität gewinnt. Die Fed zeigt sich zwar restriktiver, bleibt aber auch grundsätzlich konjunktur- und finanzmarktfreundlich.
Selbst der starke US-Dollar, zu dem Gold historisch typischerweise im Wechselverhältnis steht, kann dem gelben Edelmetall aktuell wenig anhaben.
Damit erfährt der Goldpreis auf Euro-Kurs weitere Unterstützung und befindet sich im Bereich des Allzeithochs.