Die Weltkonjunktur verliert an Dynamik und auch die Corona-Varianten können die fundamentale Kraft von Aktien schmälern. Zudem spricht die Fed von eingeschränkter Liquiditätszufuhr und rüttelt so am entscheidenden Megaargument der Aktienhausse. Ebenso sorgt die Bundestagswahl für Anlegerverunsicherung. Folgt also im traditionell vergleichsweise schwachen September eine Aktienzäsur? Und lädt die bisherige Jahresperformance beim DAX mit verlockenden 15 Prozent nicht ohnehin zu Gewinnmitnahmen ein?
In China trüben Corona-Neuinfektionen, Regulierungswut der KP und verringerte Fiskalmaßnahmen die Stimmung bei Dienstleistern und in der Industrie. Als Taktgeber der Weltwirtschaft wirkt China damit hemmend auf den deutschen Export. Der gemäß ifo Geschäftserwartungen bislang große Wachstumsoptimismus verliert an Schwung.
Dieses weniger euphorische Stimmungsbild im Industrie- und vor allem Corona-sensitiven Dienstleistungssektor zeigt sich ebenso in Amerika.
Hintergrund ist vor allem, dass in den USA das verfügbare Einkommen in Ermangelung weiterer Konsum-Schecks und der im September auslaufenden Aufstockung der Arbeitslosenhilfen deutlich fällt. Das wird auf den Konsum als Haupt-Konjunkturstandbein unvermeidlich durchschlagen.
Zudem belasten zunehmende Preissteigerungen und die Delta-Variante des Corona-Virus die US-Konsumlaune. Laut University of Michigan ist sie insgesamt auf den niedrigsten Stand seit 2013 und damit noch unter ihr Corona-Tief gefallen.
Ein schwächeres konjunkturelles Umfeld verleiht der US-Notenbank mehr Beinfreiheit zur geldpolitischen Zurückhaltung. Daneben nimmt die Fed das Inflationsargument weniger ernst. Mit seiner Einschätzung auf dem virtuellen Notenbanker-Symposium in Jackson Hole, wonach die Inflation in den kommenden Monaten zwar erhöht bleiben, sich im nächsten Jahr aber abschwächen werde, hat Fed-Chef Powell den eigenen Handlungsdruck vermindert. Tatsächlich sprechen rückläufige Preise für Vorprodukte dafür, dass Lieferengpässe allmählich auslaufen und Preisüberwälzungen nicht epochal ausfallen.
Zwar hat Fed-Chef Powell zuletzt die Reduktion der Anleihekäufe (Tapering) gegen Jahresende in Aussicht gestellt. Doch scheint er es mit Blick auf Konjunkturernüchterungen, Delta-Variante und auch den verunsichernden Streit um die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze damit nicht eilig zu haben.
Beim Tapering-Zeitplan dürfte sich die Fed am Vorgehen im Jahr 2014 orientieren. Bei möglichem Beginn im November oder Dezember 2021 würde sie insofern noch bis Herbst 2022 Anleihen aufkaufen, wenn auch in zunehmend geringerem Volumen. Jedoch ist von einer Netto-Rückführung der Liquidität auf dann neuem Rekordstand keine Rede.
Als wirkende Beruhigungspille an den Märkten betonte Powell, dass mit dem Ende der Aufkäufe nicht automatisch eine Erhöhung der Leitzinsen einhergeht. Negative reale US-Notenbankzinsen als Ausdruck üppiger Leitzinspolitik bleiben fest verankert.
Nicht zuletzt wird die US-Notenbank mit Blick auf den Rekordbestand hoher Wertpapierkredite an der New York Stock Exchange kein scharfes Zinswende-Manöver vollziehen können. Die Folgen zuerst für die Aktienmärkte und dann die Realwirtschaft wären unkontrollierbar. Tatsächlich, trotz des leichten Rückgangs kreditfinanzierter Aktienkäufe im Juli von den vorherigen Rekordniveaus vertrauen die Finanzmärkte auf das Fingerspitzengefühl der US-Notenbank.
Auch die EZB bleibt eine geldpolitische Taube. Ihre Vertreter sprechen weiter von nur vorübergehender Preisbeschleunigung. Doch ist z.B. in Deutschland das Narrativ einer bald wieder fallenden Inflation heftigen Widersprüchen ausgesetzt. Zunächst ist die Produktion in China nicht mehr wie früher eine Quelle der Deflation. Mittlerweile hat sich die Entwicklung umgekehrt.
Und der Klimaschutz in Deutschland wird die Energiepreise langfristig deutlich ansteigen lassen. Nach der Bundestagswahl könnte sich zudem der Preis für Arbeit verteuern. Sollte sich der Mindestlohn von derzeit 9,60 auf 12 Euro erhöhen, werden dies die Unternehmen an die Verbraucher weitergeben. Ebenso wird das weiter sinkende Arbeitskräfteangebot die Lohnentwicklung anheizen.
Dennoch wird die EZB solche Entwicklungen links liegen lassen, weil sie ja nicht nur auf Deutschland schauen darf. Was für ein Alibi! Unabhängig davon haben die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit der Euro-Staaten sowie eine reibungsfreie Finanzierung der anstehenden umfangreichen Infrastruktur- und Kapitalschutzmaßnahmen über umfangreiche und zinsgünstige Liquidität oberste Priorität.
Insgesamt bleibt das Szenario negativer Realzinsen intakt. Damit ist die Nach-Inflations-Rendite 10-jähriger deutscher Staatspapiere von minus vier Prozent keine echte Alternative für Aktien. Wenn Inflation nicht bekämpft wird, ist sie kein Feind des Aktienmarkts, sondern ihr bester Freund.
Angesichts dieser Vermögensvernichtung spricht mittlerweile selbst der amerikanische Anleihe-Guru Bill Gross bei Staatsanleihen von Investment Garbage, von Anlage-Müll.
Allerdings sorgt eine weniger schwungvolle Industriestimmung auch für eine Verlangsamung der Gewinndynamik.
Da diese aber absolut dennoch stabil bleiben wird, hält sich der fundamentale Kraftverlust in Grenzen.
Ohnehin bleiben High-Tech-Titel eine Alternative. Sie profitieren vom ungebrochenen Digitalisierungstrend und wenig steigenden Anleiherenditen, die ihre absolute Überbewertung wenig strapazieren.
Europäische Aktien treten zunehmend aus dem Schatten von US-Titeln. Die Underperformance zu Amerika ist in puncto Gewinnen und Wertentwicklung ausgelaufen.
Doch sorgt die anstehende Bundestagswahl für Skepsis. Wahlergebnisse, die zu einer Jamaika-, Deutschland- oder Ampelkoalition führten, würden den deutschen Aktienmarkt kaum beeindrucken, der schon bislang wirtschafts- und finanzpolitisch nicht verwöhnt wurde.
Allerdings würde die Börse auf Rot-Grün-Rot, auf z.B. Steuererhöhungen oder staatsautoritäre Bevormundung und eine Einschränkung der sozialen Marktwirtschaft, allergisch reagieren. An den Finanzmärkten weiß man, dass diese Visionen am Ende immer grandios gescheitert sind, den Wirtschaftsstandort nachhaltig geschwächt und viel Wohlstand gekostet haben.
Zumindest gibt es nach der Bundestagswahl am 26. September eine Unabwägbarkeit weniger.
Beginnend mit dem Handelstag am 20. September steht der DAX-Familie die größte Veränderung ihrer Geschichte bevor, wenn die Mitgliederzahl des DAX um zehn bislang im MDAX vertretene Unternehmen von 30 auf 40 erweitert wird. Gleichzeitig schrumpft der MDAX um jene Werte auf dann 50 von bisher 60. Auf den ersten Blick ist der DAX dabei der große Gewinner. Schließlich erhält er jene Unternehmen, die den MDAX gegenüber dem DAX outperformen ließen. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der klassischen Old Economy ab, die in den letzten Jahren Handicaps aufwies: Banken, (Finanzkrise), Automobile (Dieselskandal) und die Versorger (fossile Energieträger). Jetzt kommen neue Wachstumssektoren wie e-Commerce oder Biotechnologie hinzu. Daher erhält der DAX eine Frischblutzufuhr.
Aber auch mit 40 Werten ist der Dax kein Eins-zu-Eins-Abbild der deutschen Wirtschaft. Das liegt auch daran, dass Deutschland eine echte Aktienkultur wie in den USA oder der Schweiz fehlt. So lässt BioNTech die Finger vom deutschen Kapitalmarkt und zieht es vor, in Amerika notiert zu sein. Und auch viele deutsche Weltmarktführer mit tollen Patenten denken gar nicht daran, aktiennotiert zu sein.
Daneben fehlen Deutschland die Aushängeschilder auf der Hightech-Ebene. Hier kann Amerika deutlich mehr punkten.
Der MDAX wird sich nach Abgabe seiner 10 größten Werte zunächst auf eine gewisse Durststrecke einstellen müssen. Zukünftig jedoch wird sich der Fokus auf (Mittelstands-)Werte mit größerem Wachstumspotenzial verschieben, um die uns die Welt immer noch beneidet. Gemeinsam mit einer steigenden Gewichtung von IT- und Kommunikationsdienstleistern sind die längerfristigen Aussichten durchaus vielversprechend.
Während US-Börsen neue Allzeithochs erklimmen ist der Fear & Greed Index von CNN Money aber binnen Monatsfrist von extremer Angst auf Gier umgeschwenkt und signalisiert frühherbstliches Korrekturpotenzial.
Laut Bank of America Global Fund Manager Survey werden auch große Kapitalsammelstellen aufgrund zunehmender Konjunkturskepsis immer vorsichtiger. Anleger müssen sich daher auf mehr Kursschwankungen nach den ruhigen Sommermonaten einstellen.
Doch bei Schaukelbörsen bewähren sich regelmäßige Aktiensparpläne als solides Anlageinstrument. Bei nachgebenden Kursen erhalten Anleger mehr Aktienanteile für ihr Geld. Und bei zukünftig wieder steigenden Kursen sorgt das für einen großen Hebel der Kapitalvermehrung.
Charttechnisch trifft der DAX auf der Unterseite bei 15.800 Punkten auf eine erste Unterstützung. Bei fortlaufender Korrektur bieten die Marken bei 15.761 und 15.701 Halt. Auf dem Weg nach oben trifft der Index zunächst auf Widerstand bei 15.875. Darüber liegen weitere Hürden bei 15.930, 15.995 und an der psychologisch wichtigen Marke bei 16.000 Punkten.