Die Aktienmärkte kann scheinbar nichts erschüttern. Sie sind stabil wie Granit. Tatsächlich wirken zwei machtvolle Kraftquellen. Erstens vergrößern sich die globalen Wachstumschancen mit hoher Dynamik. Und zweitens sorgen diese Reflationsphantasien offenkundig nicht für nachhaltige Zinssteigerungen als typische Aktienfeinde. Ist das Aktien-Nirwana zu schön, um wahr zu sein? Wo könnten zumindest theoretische Risiken lauern?
Mit den geplanten Impfstofflieferungen des II. Quartals kann allein in Deutschland rund die Hälfte der Bevölkerung mindestens einmal geimpft werden. Damit rückte man der kritischen Schwelle zur Herdenimmunität ein großes Stück näher, die dringend erforderlich ist, um „Escape-Varianten“, Mutationen des intelligenten Corona-Virus entgegenzuwirken. Allerdings sind zu hohe Erwartungen schon öfter enttäuscht worden. Grundsätzlich machen andere Länder einen besseren Krisen-Job.
Und daher lockern diese Länder auch früher als Deutschland. Die steil aufwärtsgerichteten Umsatzerwartungen von US-Restaurants als Frühindikator der US-Wirtschaft auf dem höchsten Stand seit Anfang 2005 sprechen eine klare Sprache. Geht Amerikaner wieder ins Diner, geht es Amerika auch wieder gut.
Nicht zuletzt werden die geplanten großzügigen Infrastrukturinvestitionen von gut zwei Bio. Dollar über die kommenden Jahre mit starkem Fokus auf Logistik, Klimaschutz und digitalen Netzausbau die nachhaltige Erholung der Industrie und ihrer Arbeitsplätze stützen.
Vor diesem Hintergrund hellen sich die von der Investment-Beratungsfirma Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die kommenden sechs Monate über alle Weltregionen weiter auf. Dabei werden den USA im internationalen Vergleich die besten Wirtschaftsperspektiven bescheinigt. Dicht dahinter liegen die Schwellenländern Asiens mit Schwerpunkt China. Zwar lässt in China die Dynamik nach. Während das BIP-Wachstum im I. Quartal um 0,6 Prozent zum Vorquartal zulegte, waren es zuvor noch 2,6 Prozent. Von großer Bedeutung ist jedoch, dass China mit der Fokussierung auf die Binnenkonjunktur klar auf qualitatives und nachhaltiges Wachstum setzt. Auch davon wird das konjunkturzyklische und exportorientierte Deutschland profitieren.
Angesichts wachsender Reflationsphantasien halten sich an den Finanzmärkten Zinsängste. Laut Bank of America Global Fund Manager Survey betrachten Fondsmanager einen Kollaps der Rentenmärkte aktuell sogar als Hauptrisiko für die Finanzmärkte.
Eigentlich müsste die Fed bei absehbarem Corona-Ende ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Und Äußerungen vom Präsidenten der Fed of St. Louis, James Bullard, wonach die Impfung von drei Vierteln der Amerikaner Herdenimmunität signalisiert und damit geldpolitische Restriktion nahelegt, sind durchaus als Testballons zu verstehen, um die Marktreaktion zu prüfen. Insofern könnte die US-Notenbank bereits auf ihrer Sitzung am 16. Juni bei wiederholt angehobenen Konjunktur- und Inflationsprognosen die böse Tapering-Diskussion um Liquiditätsdrosselung anstoßen.
So linear funktioniert Geldpolitik aber nicht. Mögliche Kollateralschäden sind einzukalkulieren. 2013 dient als abschreckendes Beispiel. Damals wurde aus der Mücke einer möglichen Limitierung neuer Liquidität ein Elefant gemacht, der einen Wutausbruch - „Taper-Tantrum“ - losgetreten hat: An den Staatsanleihemärkten kam es zu überschießenden Zinsanstiegen, die Konjunktur und Finanzmärkte in Wechselbeziehung bedrohten.
Daher werden dieses Mal Flexibilität und Pragmatismus höchste Priorität eingeräumt. Die Fed wird weiterhin netto Anleihen in Milliardenhöhe aufkaufen, wenn auch im Zeitablauf und in homöopathischen Schritten laufend weniger. Und statt einem starren monatlichen Ziel für Anleihenaufkäufe wird sie bei zwischenzeitlich auftretenden Zins-Schmerzen sofort einhalten oder sogar kurzfristig vermehrt aufkaufen. Sollte es dann immer noch zu unerwünschten Renditebeschleunigungen kommen, wird die Fed nicht zögern und Zinskurvenkontrolle betreiben. Und selbst bei Aufkaufende würde der Rekordstand an Liquidität ohnehin durch Wiederanlage fällig werdender Anleihen konserviert. Zu wirklich restriktiver Geldpolitik wird es also auch mit Blick auf die US-Überschuldung gar nicht erst kommen.
Von steigenden US-Leitzinsen wegen Inflationsdruck ist ohnehin nicht die Rede. Die Fed betont Mantra-artig, dass die anstehenden Preissteigerungen nicht nachhaltig sind. Basiseffekte wegen steigender Rohstoffpreise und Preisaufschlägen aufgrund temporärer Lieferengpässe lässt sie links liegen, um bloß keine Störmanöver für Wachstum und Zinsmärkte zu riskieren.
Tatsächlich, trotz einer Preissteigerung im März von 2,6 Prozent bewegen sich die US-Inflationserwartungen zuletzt sogar im Abwärtstrend. Vertrauend auf das Feingefühl der Fed hat sich eine Renditeberuhigung bei US-Staatsanleihen eingestellt.
Dieser Renditerückgang erklärt im transatlantischen Anleihevergleich auch die Wiederabschwächung des Dollars zum Euro.
Übrigens gewinnen die Zinsmärkte auch deswegen nicht an Attraktivität gegenüber Aktien, weil sich die Realzinsen noch tiefer in negatives Terrain vorarbeiten und noch mehr als Aktien-Alternative ausscheiden.
Auch die EZB bleibt ein guter Aktien-Freund. Laut Vize-Präsident de Guindos wird sie "schädliche" Anstiege der Anleiherenditen unterdrücken. Auch auf der Sitzung nächste Woche wird sich die EZB erneut als Taubenschlag präsentieren.
Unsere Industrie- und Exportaktien profitieren von der weltweiten Konjunkturdynamik, die 2021 und 2022 so stark ist wie zuletzt nach dem II. Weltkrieg. Der unter Corona leidende Dienstleistungssektor ist dagegen deutlich weniger börsennotiert.
Konjunkturfreude zeigt sich nicht zuletzt in der Berichtssaison für das I. Quartal. Die US-Banken sorgen bereits für einen sehr überzeugenden Start. Bisher präsentierte Vorab-Zahlen einzelner DAX-Konzerne können im Ausblick auch überzeugen. Das geschätzte Gewinnwachstum gerade der zyklischen Branchen ist geradezu überwältigend.
Aktuell sind vor allem jene Branchen überzugewichten, denen konjunkturelle Nachholeffekte zugutekommen. Der Fokus liegt auf Automobilwerten, Banken sowie zyklischen Industrie- und Rohstoffwerten. Wegen dem Evergreen Digitalisierung bleiben daneben auch Technologiewerte gefragt. Insgesamt verleiht das Aktien deutliche Marktbreite und damit Stabilität.
Und angesichts des kollektiven Zinsverfalls bleiben Dividendentitel als Anlagealternative unverzichtbar. Der Zinseszinseffekt wird vom „Dividendendividendeneffekt“ ersetzt. Aktuell warten DAX und Euro Stoxx 50 mit ca. 2,5 und einige Branchen sowie ein reiner Euro-Dividendenindex mit knapp fünf Prozent Dividendenrendite auf. Im Vergleich müssen für 10-jährige deutsche Staatsanleihen Halteprämien bezahlt werden.
Überhaupt fällt die Dividendensumme im DAX von 34 Mrd. Euro im Vergleich zum Vorjahr mit 33,5 positiv auf. Nicht zuletzt bieten ausschüttungsstarke Aktien ein ordentliches Risikopolster gegen Kursschwankungen.
Der Bitcoin ist momentan der Popstar an den Finanzmärkten.
In der Tat, mit dem Börsengang von Coinbase als größter US-Handelsplattform für Kryptowährungen erhält das Geschäft mit Digitalwährungen noch mehr mediale Aufmerksamkeit. Das verdeutlicht ebenso der Börsenwert von Coinbase von zwischenzeitlich rund 85 Mrd. US-Dollar, womit die Krypto-Börse annähernd so wertvoll ist wie die etablierte Wall Street-Größe Goldman Sachs.
Seinen Nimbus als knappes Gut, das langfristig im Wert eigentlich nur steigen kann, erhält der Bitcoin, weil er technisch auf ein Maximum von 21 Millionen Coins beschränkt ist. Das ist angesichts der wundersamen Geldvermehrung Stabilität pur.
Für die weitere Entwicklung ist wichtig, inwiefern der Bitcoin unter die Räder der Regulierung kommt. Gegenüber einer Parallel- oder gar Konkurrenzwährung zum US-Dollar und Euro gilt (geld-)politisch naturgemäß eine Zero Tolerance-Haltung, denn nur unbegrenzte Gelddruckerei erlaubt unbegrenzte Neuverschuldung. Konkret könnte die Börsennotierung von Coinbase ein Reglementierungsfenster öffnen. Denn alles, was Aktien-orientiert ist, unterliegt in den USA der Spanischen Inquisition, der Börsenaufsicht SEC. Da der Bitcoin aber eine globale Größe ist, müsste seine Eindämmung weltweit einheitlich passieren. Daran ist z.B. in Asien und speziell in China wenig zu denken. Dort werden Kryptos auch als willkommenes Instrument betrachtet, der Weltleitwährung US-Dollar einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Für die weitere Entwicklung von Kryptos kommt es nicht zuletzt auf die operative Anwendung an. Doch im Gegensatz zu Aktien umgibt sie der Nebel der Intransparenz. Dies erklärt ja gerade seine Schwankungen, die praxisrelevanten Anwendungen zuwiderlaufen.
Insgesamt ist der Bitcoin sicherlich aus der „Schmuddelecke“ der Finanzmärkte entkommen. Allerdings bleiben digitale Währungen zunächst Paradiesvögel unter den Anlageklassen. Als Spekulationsobjekt treffen sie vor allem den Zeitgeist jüngerer Kleinanleger, die sich für den Klassiker Gold weniger erwärmen können. Diejenigen, die risikobereit sind, können Kryptowährungen als Anlagebeimischung nutzen. Ein Ersatz für Aktien sind sie aber definitiv nicht.
Ebenso sollte erwähnt werden, dass die Bitcoin-Gier fast auf Rekordniveau liegt. Ein wenig neue Sachlichkeit tut Not.
Aus Sentimentsicht sind kaum Wolken am blauen Aktien-Himmel zu entdecken. Der Fear & Greed Index von CNN Money für den US-Aktienmarkt notiert im neutralen Bereich und lässt kein hohes Konsolidierungspotenzial erwarten.
Auch der DAX hat sich aus seinem Überhitzungsstatus herausgearbeitet.
Dennoch, nach den vielen, das Anlegerpublikum verwöhnenden Show Acts von Geldschwemme bis Konjunkturprogramme kann das Warten auf den nächsten Höhepunkt zu zwischenzeitlicher Ermüdung führen. Darauf deutet auch der Anteil der Optimisten gegenüber den Pessimisten am US-Aktienmarkt als Kontraindikator hin, der sich auf sehr hohem Niveau befindet.
Charttechnisch setzt sich die Aufwärtsbewegung im DAX bei Überschreitung des Widerstands bei 15.282 Punkten fort. Darüber liegen weitere Barrieren bei 15.298 und 15.312. Werden auch diese überschritten, treten Widerstände bei 15.326 und 15.430 in den Vordergrund. Auf der Unterseite liegen im Falle von Gewinnmitnahmen Unterstützungen bei 15.171, 15.115 und 15.111 Punkten.