Nach den anfänglich selbst für Fed und EZB revolutionären Hilfsaktionen kommt es aktuell zwar zu einer Verschnaufpause. Doch bereits geplante zusätzliche Konjunkturpakete machen mangels staatlicher Masse weitere geldpolitische „Durchfinanzierungen“ unumgänglich. Die Börsen haben längst ihren Frieden mit diesen Instabilitäten gemacht. Denn sie befeuern die Liquiditätshausse und fördern die nach-coronale Wiedergeburt von Konjunktur und Unternehmensumsätzen sowie -gewinnen.
Die Eurozone ist im I. Quartal 2020 mit minus 5,8 Prozent zum Vorjahr dramatisch geschrumpft. Eine Inflation von gerade einmal 0,4 Prozent für April spricht Bände. Auch Deutschland rutscht gemäß ifo Konjunkturmatrix - sie setzt Konjunkturerwartungen und -lage zueinander in Bezug - in eine Rezession, die gravierender als die während der Finanzkrise ist.
Zur Gegenwehr legen die Euro-Staaten beispiellos schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme auf. In diesem Jahr ist mit einer Staatsneuverschuldung für die Eurozone insgesamt von ca. 1,5 Bio. Euro zu rechnen. Dabei sind die dramatisch hohen nationalen Kreditgarantien noch gar nicht berücksichtigt, die sicherlich nicht nur theoretischer Natur bleiben werden.
Vor diesem Hintergrund tritt die EZB Verwerfungen des europäischen Finanzsystems mit aller Kraft entgegen. Eine mangelnde Nachfrage nach Schuldpapieren bzw. eine, die nur zu Zinssätzen absetzbar wäre, die die römische Schuldentragfähigkeit überlasten würde, will sie verhindern. So ist Italien de facto nicht mehr in der Lage, bonitätsgerechte Zinssätze zu bezahlen. Daher deckt die EZB den Schuldendeckel der Euro-Länder mit einer Liquiditätsoffensive, die die bisher schon üppige weit in den Schatten stellt.
Und tatsächlich zeigen die Zinsdrückungen der EZB Wirkung: Die jährlichen Zinskosten der Eurozone insgesamt, gemessen an der gewichteten 10-jährigen Staatsanleiherendite aller Euro-Staaten, bewegen sich auf historisch niedrigem Niveau.
Nach der geldpolitischen Mobilmachung der vergangenen Wochen hält sich die EZB vorerst zwar zurück. Sie will ungern in einen eskalierenden Überbietungswettbewerb mit der Fed und der Bank of Japan eintreten. Im Übrigen muss sie gemäß ihrem Auftrag einen gewissen Stabilitätsschein wahren. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, was Christine Lagarde mehrfach und mit Nachdruck betont hat.
Denn seit Jahresbeginn hat die EZB bereits Anleihen über rund 655 Mrd. Euro von bislang für 2020 insgesamt angepeilten 1,1 Bio. erworben. 750 Mrd. Euro davon kommen allein aus dem pandemischen Notprogramm (PEPP). Zunehmend geht der EZB also die Munition aus, was sofort wieder die Gefahr steigender Risikoaufschläge bei italienischen, spanischen, aber auch französischen Staatspapieren heraufbeschwört. Ein „Überschießen“ der europäischen Renditen und damit neue Finanznöte, die auch im Zuge der finanzpolitischen Streitigkeiten über die Einführung von Corona-Bonds stattfanden, sollen sich nicht wiederholen. Die EZB hat die Rolle des Ausputzers.
Insofern wird die EZB spätestens auf ihrer Sitzung am 4. Juni - „alibisiert“ durch dann aktualisierte, anhaltend eingetrübte Konjunktur- und Inflationsprognosen - eine Ausweitung ihres PEPP-Programms vornehmen. Und dabei ist eine Verdopplung nicht ausgeschlossen. Mit diesem „Vorschlaghammer“ könnte die EZB einerseits weiter planwirtschaftlich die Zinsen für Schulden-Länder drücken. So haben übrigens auch die Bonitätsherabstufungen von US-Rating-Agenturen wie Fitch, die Italien zuletzt auf die letzte Stufe vor „Ramsch“ gesetzt hat, keine negativen Folgen für die Kreditzinsen. Andererseits bleibt genug Masse übrig, um Anleiheaufkäufe in den Kernländern wie Deutschland nicht zu vernachlässigen.
Neu ist, dass die EZB eine neue längerfristige „pandemische“ Not-Refinanzierung („PELTROs“, d.h. pandemic emergency longer-term refinancing operations) einführt, um die Liquiditätsbedingungen der europäischen Banken noch mehr zu erleichtern.
Zukünftig könnte die EZB sogar Anleihen sogenannter Fallen Angels aufkaufen. Konkret sind das Unternehmen, die unverschuldet und nur wegen der Corona-Krise von Investment Grade auf „Ramsch“ herabgestuft wurden. Dies würde die Zinskosten krisengebeutelter Firmen erleichtern. Allerdings macht die EZB damit den nächsten revolutionären Schritt in das Instabilitäts-Gelände.
Der historisch längste Wirtschaftsaufschwung Amerikas wurde im I. Quartal 2020 mit einer Wirtschaftsschrumpfung um 4,8 Prozent abrupt beendet. Doch ist die Fed von Kopf bis Fuß auf konjunkturelle Rettung eingestellt. Neben Kreditprogrammen für nahezu jeden Wirtschaftsbereich befindet sich der Notenbankzins nahe null Prozent und werden unbegrenzt Staats- und Hypothekenanleihen aufgekauft. Ihr Ziel ist u.a. die Erreichung einer maximalen Beschäftigung. Angesichts des mittelfristig mit „erheblichen Risiken“ behafteten Wirtschaftsausblicks liegt dieses Ziel aber in weiter Ferne. In diesem Zusammenhang ist Powells Aussage, es sei aktuell nicht die Zeit, sich über die steigende Staatsverschuldung zu sorgen, als Ermunterung der US-Regierung zu weiteren Konjunkturprogrammen zu verstehen. Deren Finanzierung wird dann folgerichtig die Fed übernehmen. Entsprechend gelobt die US-Notenbank weiterhin „alle ihre Instrumente energisch, proaktiv und aggressiv einzusetzen, um sicherzustellen, dass die Erholung, wenn sie kommt, so robust wie möglich ist.“ Damit sind jegliche Zins- und Liquiditätswende-Phantasien für unbegrenzte Zeit vom Tisch.
Um angesichts einer staatlichen Neuverschuldung 2020 von ungefähr vier Bio. US-Dollar Bonitätsverschlechterungen und damit steigende Schuldzinsen im Keim zu ersticken, wird die Fed ihre Bilanzsumme bis Jahresende um gut drei Bio. US-Dollar auf einen neuen dramatischen Rekordwert von ca. 7,5 Bio. ausweiten. Von aktuell 6,5 Bio. Dollar wird die Bilanz der Fed laut Schätzungen des Finanznachrichtenanbieters Bloomberg bis Ende 2022 auf 10 Bio. anwachsen.
Auch die Bank of Japan stimmt mit einem zukünftig unbegrenzten Aufkauf von Staatspapieren in den Liquiditäts-Chor ein, um die Finanzierung des umgerechnet eine Bio. US-Dollar schweren japanischen Konjunkturpakets zu sichern. Ebenso trägt sie mit der Verdopplung ihrer jährlichen Aufkäufe von Unternehmensanleihen und Commercial Paper auf rund 190 Mrd. US-Dollar den Refinanzierungsschwierigkeiten japanischer Unternehmen Rechnung.
Gemessen an der Bilanzsumme ist die Geldversorgung der Notenbanken aus den USA, Europa und Japan eindrucksvoll. Das honorieren die Aktienmärkte mit einer bemerkenswerten Stabilisierung, die sich Liquiditätshausse nennt. Anlagezinsen sind keine Alternative.
Wirtschaftlich gute Nachrichten kommen aus China. Auch wenn Beschönigungen nicht ausgeschlossen sind, ist die Verstetigung der offiziellen Konjunkturstimmung in der Industrie und bei Dienstleistern im expansiven Bereich auch weltkonjunkturell positiv zu wirken.
Angesichts einer allmählichen Lockerung der (Wirtschafts-)Einschränkungen in vereinzelten US-Bundesstaaten in Verbindung mit epochalen Konjunkturmaßnahmen hat sich auch die von der Federal Reserve Bank of New York ermittelte Rezessionswahrscheinlichkeit in Amerika in den nächsten 12 Monaten deutlich zurückgebildet.
In Europa hoffen Anleger darauf, dass die für Mai geplante vollständige Aufhebung der Abschottungsmaßnahmen in Österreich als Blaupause auch für andere Euro-Staaten dient. Je früher der Shutdown beendet wird, desto stärker kann sich die Weltkonjunktur zum fundamentalen Wohle der Aktien erholen.
Die intakte Vision des Lichts am Ende des dunklen Corona-Tunnels ist von größter anlagepsychologischer Bedeutung. Immerhin gibt es nennenswerte Fortschritte bei Corona-Medikamenten. Laut einer ausgedehnten klinischen Studie verkürzt das antivirale Mittel „Remdesivir“ die Genesungsdauer von Corona-Patienten. Alles entscheidend ist, ob sich die Virusepidemie noch einmal verschärft und ob und inwieweit die wirtschaftliche Wiedereröffnung ins Stocken gerät.
Allerdings werden negative Wirtschaftsnachrichten wie eine zunehmende Arbeitslosigkeit und eine Welle von Unternehmenspleiten für zwischenzeitliche Eintrübungen an den Aktienmärkten sorgen.
Insgesamt ist mit einer grundsätzlich schwankungsintensiven Börse zu rechnen. Dennoch sind klare Kursstabilisierungen unverkennbar. Das Schlimmste liegt hinter uns.
Aus Sentimentsicht zeugt die zuletzt angestiegene Investitionsquote unter US-Fondsmanagern von der Bereitschaft institutioneller Investoren, zunehmend die Positiveffekte der schrittweisen Lockerungen aller Art einzupreisen. Im harten Wettbewerb um Kundenvermögen wollen sie keine unnötig lange Kassenhaltung riskieren.
Dass sich der Fear & Greed Index von CNN Business aus dem Bereich „Angst“ in „Neutral“ herausgearbeitet hat, deutet auf eine allmähliche Bodenbildung hin, die auch gegen ein erneutes Abtauchen der Aktienmärkte - insbesondere auf neue Tiefs - spricht.
Charttechnisch liegt auf der Unterseite eine erste Haltelinie bei 11.025 Punkten. Weitere Unterstützungen folgen bei 10.820 und schließlich 10.555. Bei einer fortgesetzten Erholung liegen erste Widerstände bei 11.111 sowie 11.390. Es folgen Barrieren bei 11.447 und 11.542. Darüber nimmt der Index Kurs auf die Marke bei 11.561 sowie 11.679 Punkten.
In China schreitet die Konjunkturstabilisierung gemäß den von der Finanzmediengruppe Caixin ermittelten Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe in Trippelschritten voran.
In den USA werden einbrechende Industrieaufträge und ein starker Verfall des ISM Index für Dienstleistungen von einem dramatischen Einbruch der monatlichen Arbeitsmarktdaten flankiert.
In der Eurozone werden die vom Finanzanalyse-Haus Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate wieder schlechter ausfallen.
In Deutschland unterstreicht das Trio Infernale aus Industrieaufträgen, -produktion und Exporten das Ausmaß der Konjunkturmisere.