Nach einem fulminanten 1. Halbjahr zeigt sich der deutsche Aktienmarkt derzeit kränklich. Virusauslöser sind der exportfeindliche, vergleichsweise hohe Euro-Wechselkurs, die Diskussion um eine restriktivere Geldpolitik selbst der EZB und hausgemachte Probleme in der deutschen Vorzeigebranche Automobile. Überraschend gesund präsentieren sich dagegen US-Aktien. Und das, obwohl sich die US-Führung im Augenblick außen- und wirtschaftspolitisch verhält, als regierte sie einen Operettenstaat, nicht aber die führende Weltmacht und die US-Notenbank weiter zinspolitisches Säbelrasseln betreibt. Haben wir es mit einer nachhaltigen Negativeinschätzung deutscher Aktien zu tun?
US-Präsident Trump gelingt im Augenblick nichts. Seine Außenpolitik erinnert an eine Wundertüte: Man weiß nie, was darin ist. Will er Liebesgrüße nach Moskau senden oder Putin die kalte Schulter zeigen? So führt man nicht die Weltmacht Nr.1. Und wenn sich innenpolitisch das bei Republikanern ideologisch verhasste Obamacare weder abschaffen, noch abändern lässt, ist es unwahrscheinlich, dass sich politisch erst recht sensible Vorhaben wie Steuerreformen und Infrastrukturinvestitionen vernünftig umsetzen lassen. Was nutzt denn der US-Wirtschaft eine republikanische Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses, wenn republikanische Abgeordnete in Grabenkämpfen feststecken und mittlerweile sogar ihrem Präsidenten in der Öffentlichkeit hemmungslos widersprechen. Insgesamt ist Trump abseits seiner Personalwechsel ein sehr schwacher Präsident. In Amerika nennt man so etwas „lame duck“. Solange der desolate Zustand der US-Politik anhält, umso schwächer zeigt sich der US-Dollar gegenüber dem Euro. Der Devisen-Terminmarkt untermauert die Euro-Aufwertung mit einem deutlichen Anstieg der spekulativen Netto-Long-Positionen.
Dollar-abwertend wirkt auch die zukünftige Geldpolitik der Fed. Je größer die US-politische Verunsicherung, desto weniger restriktiv muss die US-Notenbank agieren, um wirtschaftspolitisch bedingten Überhitzungen und damit konjunkturellem Inflationsdruck zu begegnen.
Tatsächlich ist die US-Wirtschaft nicht so unerschütterlich wie dies die nackten Beschäftigungszahlen nahelegen. Verdeutlicht wird das auch an den durchschnittlichen Stundenlöhnen, die im produzierenden Gewerbe seit Ende 2016 nachgeben. Konsequenterweise lässt damit auch der lohnbasierte Preisdruck nach.
Und in puncto Inflation sieht die Fed rohstoffbasierte Preisbeschleunigung ohnehin nicht als nachhaltig an. Sie kennt die mangelnde Förderdisziplin der Opec aufgrund der finanzpolitischen Notlage ihrer Mitglieder und weiß, dass angesichts der Alternativfördermethode Fracking keine nachhaltige Preisbefestigung zu erwarten ist.
Die Euro-Stärke sorgt aufgrund von auf US-Dollar notierenden Rohstoffen für einen entspannten, rohstoffseitigen Preissteigerungstrend. Dies ist ein wesentlicher Grund, dass sich die Inflation in der Eurozone deutlich unterhalb des Zielwerts der EZB von zwei Prozent - zuletzt 1,3 Prozent im Juli - festgesetzt hat. Die EZB hat bei der geldpolitischen Wende keine Eile.
Die Fed könnte zukünftig einen Strukturwechsel ihrer restriktiven Geldpolitik vollziehen. Dabei geht es ihr weniger um die Erhöhung ihrer Notenbankzinsen, sondern mehr um die Entblähung ihrer durch Anleihekäufe massiv ausgeweiteten Bankbilanz. Damit könnte sie einerseits Glaubwürdigkeit zeigen. Andererseits würden zinspolitische Reibungsverluste für die Wirtschaft vermieden, wenn nicht sogar abgebaut. Wenn sich die Fed ab September tatsächlich zu einer Bilanzverkleinerung entschließt - es ist von graduellen, nicht massiven Aktionen auszugehen - bewegen sich die Renditen von Anleihen am langen Ende im Gegensatz zu Leitzinsen nach oben. Eine insofern steilere US-Zinsstrukturkurve würde amerikanischen Banken verstärkte Anreize geben, Fristentransformation zu betreiben: Geld wird zu günstigen Notenbankzinsen ausgeliehen und zu höheren Kreditzinsen weitergegeben. Tatsächlich hat seit Anfang des Jahres eine sich abflachende Zinsstrukturkurve zu nachgebendem Kreditwachstum mit konjunkturellen Verlusten geführt.
Übertriebene Angst vor der geldpolitischen Wende als Aktienmarktrisiko, die auch die Eurozone zuletzt belastet hat, ist grundsätzlich unangebracht.
Sicherlich ist ein starker Euro ein gewisses Handicap für die deutsche und europäische Exportwirtschaft mit Auswirkung auf deren Aktien zugunsten Amerikas.
Die aktuelle Euro-Stärke ist jedoch fundamental nicht gerechtfertigt. Das unterstreicht die Zinsdifferenz 10-jähriger deutscher zu US-Staatsanleihen als eine wesentliche Bestimmungsgröße für die Wechselkursentwicklungen. Der Renditevorsprung Amerikas hat sich zwar zurückgebildet, doch ist die Aufwertung des Euros übertrieben.
Allerdings können sich Trends an den Devisenmärkten hartnäckig halten, so dass eine unmittelbare Trendwende zu einem schwächeren Euro nicht zu erwarten ist. 1,20 als eine von Währungsspekulanten grundsätzlich beliebte runde Zahl sind zwischenzeitlich zu erwarten.
Daneben leidet der DAX unter hausgemachtem Ungemach. Angesichts der Diesel-Krise und vermeintlichen Kartellabsprachen drohen den Autoherstellern Reputationsschäden und wirtschaftliche Verluste, die momentan fundamental nur schwer abzuschätzen sind. Immerhin machen Automobil- und Zuliefererindustrie rund 25 Prozent der Dividendenausschüttungen und knapp 15 Prozent der Marktkapitalisierung des DAX aus, was im europäischen Vergleich hoch ist (Stoxx 600, Stoxx 50 und Euro Stoxx 50 mit 3,0, 1,7 und 4,7 Prozent).
Euro-Stärke und stimmungsseitige, wenn auch vorübergehende Irritationen im Automobilsektor sprechen zunächst für verhaltene Aktienaussichten.
Perspektivisch zeichnen sich aber fundamentale Aufhellungen ab. Denn immerhin zeigt der Mittelstandsindex MDAX gegenüber dem Leitindex DAX eindeutige relative Stärke. Dies bekräftigt, dass die deutsche Industriekultur, die sich mehrheitlich im MDAX vorfindet, für ausländische Investoren weiterhin einen exzellenten Ruf genießt. Diese Stärke des Mittelstands zeigt sich nicht zuletzt in äußerst robusten ifo Geschäftserwartungen. Zahlreiche mittelständische Werte besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur die Position als Weltmarktführer auch in Nischenmärkten. Da zudem Problembranchen wie Banken und Zulieferer mit vergleichsweise geringen Indexgewichtungen vertreten sind, sollte sich die Stabilität des MDAX fortsetzen.
Fundamentale Stärke ist aber auch für DAX-Titel vorhanden. Die deutsche Berichtsaison entwickelt sich bislang positiv, eben auch hinsichtlich der gegebenen Ausblicke. Erfreulich ist die bestätigte Jahresprognose von BMW trotz der anhaltenden Diskussion um Diesel-Fahrverbote. Auch adidas hat dank einer robusten Nachfrage aus Nordamerika seine Umsatz- und Gewinnziele für dieses Jahr angehoben. Fresenius hält im Ausblick an den vorab angehobenen Wachstumszielen fest. Für einen Wermutstropfen sorgt allerdings Siemens, dass im Ausblick zwar seine Jahresprognose bestätigt, zuletzt aber mit einem rückläufigen Auftragseingang zu kämpfen hat.
Insgesamt ist zu erwarten, dass sich die Erholung deutscher Unternehmensgewinne - wenn auch in abgeschwächter Form - fortsetzt. Der fundamentale Nährboden für eine stabilisierte Entwicklung auch von DAX-Titeln ist weiterhin vorhanden.
Für die deutsche Wirtschaft fundamental förderlich ist der Einkaufsmanagerindex für die Weltwirtschaft, der zumindest eine stabile weltkonjunkturelle Entwicklung signalisiert.
Die aktuelle relative Stärke von US-Aktien gegenüber deutschen überrascht. Mit Blick auf die markanten wirtschaftspolitischen Ladehemmungen der Trump-Administration müssten die Vorschusslorbeeren der Trump-Rallye zügig welken und eine massive Konsolidierung folgen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Eben weil Trump außenpolitisch schwach auftritt, konjunkturelle Stimulanz nicht entfalten kann und damit auch US-geldpolitisch keine wirklich harte Hand nötig ist, schwächt sich der Dollar ab und beflügelt die amerikanische Exportindustrie.
Und sollte sich die Fed eine steilere Zinsstrukturkurve zum Ziel setzen, werden über die generierten konjunkturellen Impulse natürlich auch die fundamentalen Argumente für US-Aktien umsatz- und gewinnseitig gestärkt.
Auch die Sentimentindikatoren bedeuten kein Unheil für US-Aktien. Trotz der zuletzt sehr positiven Aktienentwicklung zeigt sich der Anteil der Optimisten am amerikanischen Aktienmarkt minus Anteil der Pessimisten in einem neutralen, nicht überhitzten Bereich, der dann erst als Kontraindikator drohende Konsolidierungen anzeigt.
Insgesamt bleibt es dabei: Konsolidierung ja, Crash nein!