Bald wird in Rom weißer Rauch aufsteigen. Doch wie groß ist die Freude der Finanzwelt über die endlich gebildete neue italienische Regierung? Diese bizarre Koalition aus links- und rechtspopulistischen Parteien ist im Fell gefärbt Euro-kritisch, zeigt einen unverhohlenen Drang zum schuldenfinanzierten (Sozial-)Schlaraffenland und lehnt dringend erforderliche Maßnahmen zur Steigerung der italienischen Wettbewerbsfähigkeit ab. Kann Italien eine weitere politische Euro- und sogar Schuldenkrise verursachen, die aufgrund der Bedeutung des Landes die frühere griechische weit in den Schatten stellt und schließlich die Finanzmärkte einbrechen lässt?
Die neue römische Regierung aus der Fünf Sterne-Bewegung und der Lega Nord vertritt die verblüffende Wirtschaftstheorie, dass nur noch mehr Staatsschulden die Wirtschaftsmisere beenden. Jedoch hat Italien mit dieser Politik immer nur das Gegenteil bewiesen. Von 2008 bis aktuell hat sich der Schuldenstand um rund 38 Prozent erhöht. Der in diesem Zeitraum erzielte Wirtschaftszuwachs ist mit sechs Prozent allerdings ein Armutszeugnis: Für ein Euro mehr Wirtschaftsleistung werden mehr als sechs Euro neue Schulden benötigt.
Selbst von der allgemeinen Konjunkturerholung der Eurozone profitiert Italien nur unterdurchschnittlich. Das Land hat seine Wirtschaftsleistung von vor der Finanzkrise 2008 noch nicht annähernd wieder erreicht. Dagegen zeigen Spanien und selbst Portugal markante Erholungen.
Es fehlt die Wettbewerbsfähigkeit, die zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum führt. Neben Sparbemühungen sind jedoch auch zunächst schmerzhafte Strukturreformen beim italienischen Wahlvolk unbeliebt und finden daher bei beiden populistischen Regierungsparteien erst Recht keine Beachtung. Die Abwahl von Kanzler Schröder nach seiner Agenda 2010-Politik ist für alle europäischen Reformpolitiker ein „heilsamer Schock“ gewesen.
In Ermangelung einer reformistischen Trendwende droht die bereits zurückhaltende Investitionsneigung von Unternehmen völlig zum Erliegen zu kommen. Die italienischen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe befinden sich in einem klaren Abwärtstrend. Und Digitalisierung ist in Italien ein komplettes Fremdwort.
Dennoch ist die neue italienische Regierung beratungsresistent. Nach ersten Schätzungen werden sich die staatlichen Mehrausgaben u.a. für ein Grundeinkommen der Bürger unter der Armutsgrenze, Steuersenkungen durch die Einführung von Pauschalsteuern für Unternehmen und Privathaushalte und die angestrebte Rückabwicklung der Rentenreform auf jährlich ca. 100 Mrd. Euro summieren. Das Neuverschuldungskriterium, das maximal drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erlaubt, wird mit sieben Prozent deutlich verletzt.
Normalerweise müsste die der Stabilitätsunion verpflichtete EU-Kommission intervenieren. Doch hat Brüssel bereits zu vielen früheren Zeitpunkten in Verschuldungsfragen Schulden-Gnade vor Stabilitäts-Recht ergehen lassen. Die Priorität lag immer auf dem politischen Erhalt von EU und Eurozone, weniger auf Einhaltung finanzpolitischer Ordnungsmäßigkeit. So wurde Griechenland mit fragwürdiger, überflexibler Auslegung der Stabilitätskriterien in der Eurozone gehalten, um keine Nachahmereffekte bei Portugal, Zypern usw. zu riskieren. Ebenso soll der Ausstieg Großbritanniens aus der EU ein Einzelfall bleiben. Insofern wird die EU auch die massive Verletzung der Schuldenkriterien durch Italien mit politischer Großzügigkeit heilen. Damit kommt die EU im Übrigen römischen Erpressungsversuchen zuvor, die auch bei anderen überschuldeten Euro-Staaten schnell Schule machten. So könnte das große Euro-Land Italien ein Referendum über einen Euro-Austritt ausrufen. Angesichts hoher Arbeits- und Perspektivlosigkeit vor allem bei jungen Italienern wären EU und Deutschland als Spardiktatoren schnell als Sündenböcke ausgemacht. Ebenso könnte Italien geringere Beiträge zum EU-Haushalt fordern. Nicht zuletzt könnte Italien sich weniger kooperativ in der Flüchtlingskrise zeigen, wovon das Land aufgrund seiner geographischen Lage besonders betroffen ist. Italien verliert seinen europäischen Charakter.
Dennoch ist eine ausreichende Schuldenfinanzierung von Italien aufgrund seiner konjunkturellen und finanzpolitischen Misere nicht zu leisten. Das gleiche Unvermögen hatte bereits die letzte Schuldenkrise in Griechenland ausgelöst. Und wenn damals schon das kleine Griechenland die Eurozone aus der Fassung bringen konnte, könnte heute das bereits mit 2,3 Bill. Euro - das sind 130 Prozent der Wirtschaftsleistung - deutlich schuldenreichere Italien die Eurozone in eine Schuldenkrise mit finalem Exodus führen. Italien ist für Europa überlebenswichtig, systemrelevant.
Der von Vertretern der neuen Regierung geforderte Schuldenerlass Italiens seitens der EZB in Höhe von 250 Mrd. Euro war sicherlich wenig ernst gemeint, zumal er ein Loch in die Bilanz der italienischen Notenbank reißen würde, die der italienische Staat - der für 80 Prozent der Verluste einstehen muss - stopfen müsste. Eine in diesem Zusammenhang allgemein zunehmende Risikoaversion könnte auf andere prekäre Schuldenstaaten ausstrahlen und schließlich die europäischen Banken in Existenznöte bringen.
Die europäischen Staatsanleihemärkte hatten bereits ein Finanzkrisen-Déjà-vu. Zwischenzeitlich führten aufwärtsgerichtete Risikoaufschläge 10-jähriger italienischer gegenüber deutschen Staatsanleihen zu bereits früher beobachtbaren Ansteckungseffekten in der Euro-Peripherie.
Um nachhaltige Renditesteigerungen am italienischen Anleihemarkt mit der Gefahr eines allgemeinen Schuldenkollapses in der Eurozone zu verhindern, kann die EZB ihre Rolle als Stiefelknecht Italiens nicht ablegen. Die Alternative wären Eurobonds, die die deutschen Wähler aber nicht akzeptieren würden. Abseits kurzfristiger Irritationen in Italien ist insofern nicht mit einer nachhaltigen Stimmungseintrübung an den Finanzmärkten zu rechnen. Der italienische Erpressungsdruck über Schulden ist einfach zu hoch. Man kann sich leicht ausrechnen, was eine auch nur einprozentige Erhöhung der dann eigentlich immer noch historisch günstigen italienischen Kreditzinsen für die Bedienbarkeit der italienischen Staatsverschuldung von 2,3 Bill. Euro bedeutet.
Von den weiterhin löchrigen Stabilitätshüllen der EZB profitieren insbesondere die Aktienmärkte der Euro-Südzone. Seit Jahresbeginn ist im Trend ohnehin eine allgemeine Outperformance zu deutschen Aktien zu beobachten, die speziell Italien zeigt.
Sicherlich ließe sich angesichts der globalen Inflation an Krisen ein striktes Moll-Szenario für Aktien herleiten. Dies gilt im Hinblick auf die mögliche Absage des geplanten Gipfeltreffens von Nordkoreas Machthaber und dem US-Präsidenten. Doch hat sich an den Finanzmärkten ein gewisser Krisengewöhnungseffekt eingestellt. Natürlich stellen die zuletzt wieder steigenden Anleiherenditen in den USA potenzielle Störfaktoren für Aktien dar. Sehr ermutigend ist es jedoch, dass selbst ein Ölpreisanstieg von über 50 Prozent binnen Jahresfrist keinen entsprechenden Niederschlag in Inflationsraten, schon gar nicht in Europa, gefunden hat.
Selbst trotz Handelsstreit seitiger Konjunkturdelle wachsen Weltwirtschaft und Unternehmensgewinne grundsätzlich weiter. Absurderweise hat das konjunkturbremsende Krisenpotenzial die Aktienmärkte sogar gestützt, da es die EZB zum Eingreifen zwingt, um Kollateralschäden zu verhindern. Eine wesentliche Änderung geldpolitischer Verhaltensmuster ist nicht zu erwarten.
Exportsensitiven Unternehmen der Eurozone kommt immerhin der schwächere Euro zugute, der perspektivisch noch weiter abwertet.
Ein freundliches Aktienbild vermittelt auch der Market Risk Indicator der Bank of America Merrill Lynch. Er misst Erwartungen am Terminmarkt bezüglich Kursschwankungen an den globalen Aktien-, Währungs- und Rohstoffmärkten und signalisiert bei Werten über null zunehmende Marktrisiken und bei Werten unter null Risikoentspannung. Nicht nur liegt der aktuelle Risikowert deutlich im negativen Terrain, sondern ist von seinem zwischenzeitlichen Jahreshoch dramatisch abgerückt.
Zwar ist die Börsenverfassung aufgrund von Zins- und Zollangst schwankungsanfällig. Auch müssen die Finanzmärkte bis zur Kongresswahl in den USA im November noch einiges an wahlpopulistischen Tönen Trumps aushalten. In diesem Umfeld ist mindestens die Fortsetzung der Aktiensparpläne oberste Anlegerpflicht. Grundsätzlich zeigt sich die Aktienstimmung aber bemerkenswert stabil, was bei Befestigung der unsicheren Gemengelage noch weiter stimuliert.
Charttechnisch liegt der erste Widerstand beim DAX bei 13.301 Punkten. Überschreitet der Index diesen nachhaltig, folgt das nächste Kursziel bei 13.443. Darüber nimmt der Index die wichtige Marke bei 13.500 in Visier, bevor das Allzeithoch bei 13.526 Punkten in den Fokus tritt. Kommt es zu Gewinnmitnahmen, wird die Marke bei 13.033 getestet. Werden schließlich die Unterstützungen bei 12.951 und 12.828 unterschritten, ist mit weiteren Kursverlusten bis zu den Marken bei 12.722, 12.651 und 12.524 Punkten zu rechnen.
In Japan zeigt sich die Konjunktursituation gemäß Export und Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe weiter unbeständig. Die Bank of Japan setzt daher ihre ultralockere Geldpolitik fort.
In den USA untermauert das stabile Konsumentenvertrauen der University of Michigan die gute Binnenkonjunktur. Vor dem Hintergrund zuletzt rückläufiger Auftragseingänge langlebiger Güter werden Anleger das Protokoll der letzten geldpolitischen Sitzung der Fed kritisch auf Details zur zukünftigen Zinserhöhungspolitik prüfen.
In der Eurozone signalisiert der handelsseitige Sinkflug der Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor weiter Gegenwind, wenn auch keinen Wirtschaftseinbruch. In Deutschland deuten die ifo Geschäftsklimadaten auf eine nüchternere Wirtschaftseinschätzung hin. Immerhin zeigt sich die Binnenkonjunktur laut GfK Konsumklimaindex stabil.