Da die Inflation doch nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig ist, muss sich die Fed jetzt als beherzte Kämpferin gegen Preisdruck präsentieren. Zuviel geldpolitische Restriktion würde die kreditabhängige US-Konjunktur jedoch in eine Rezession führen. Gleichzeitig Preissteigerungen über Zinsanhebungen und Liquiditätsverknappung einzudämmen und Wirtschaftswachstum zu stabilisieren - also ein soft landing zu erreichen - ist ein Experiment, das auch scheitern kann.
Der massive Preisdruck beschert den für das Wohl und Wehe der US-Wirtschaft entscheidenden Konsumenten erhebliche Kaufkraft- und Wohlstandsverluste. Insofern hebt die Fed die Leitzinsen mit der kräftigsten Zinserhöhung seit 22 Jahren um 0,5 auf nun ein Prozent an und verkündet auch das Abschmelzen ihrer Bilanzsumme.
Doch auch wenn der Ukraine-Krieg und die umfangreiche Null-Covid-Strategie in China noch viele Preisrisiken bereithalten, könnte es laut Fed-Chef Powell in den kommenden Monaten doch zu einer Glättung der Inflationsspitzen kommen. Tatsächlich hat der Preisdruck in der US-Industrie für Vorprodukte zuletzt kein neues Zwischenhoch erklommen.
Ermutigend ist, dass ebenso die Preise für Containerverschiffung ihr hohes Niveau verlassen haben. Gleichzeitig hält sich der Anstieg der Frachtraten für Schüttgut in Grenzen.
Insgesamt setzt die Fed Vertrauen darauf, dass sich im Zeitablauf die Rohstoffpreise im Vorjahresvergleich immer weiter entspannen.
Ohnehin darf die Fed zinsseitig nicht überreizen, um aus dem angestrebten soft nicht ein hard landing werden zu lassen. Bereits jetzt hinterlässt der massive Anstieg der Durchschnittszinsen einer 30-jährigen Hypothek erste Bremsspuren auf dem US-Immobilienmarkt als einer der wichtigsten binnenwirtschaftlichen Triebfedern.
Schließlich verdeutlicht die überraschende Schrumpfung im I. Quartal, dass die US-Wirtschaft nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Die Stimmung bei Dienstleistern und in der Industrie bleibt zwar im Expansionsterrain, gibt aber in puncto Neuaufträgen deutlich nach.
Zudem ist sich die Fed der Folgen einer großen Zinswende für die Marktpsychologie bewusst. So ließen die markanten Zinserhöhungszyklen 1999/2000 und 2004 bis 2006 das Volumen der Wertpapierkredite als Impulsgeber der New York Stock Exchange dramatisch einbrechen. Mit Blick auf das heute deutlich höhere Kreditvolumen und das vergleichsweise niedrigere Zinsniveau ist die Fallhöhe und das damit verbundene Schadenspotenzial für die Aktienmärkte ungleich größer. Und negative Vermögenseffekte schmälern schließlich auch die Kauf- und Investitionsneigung von Verbrauchern und Unternehmen.
Angesichts der Angst vor einer harten Konjunkturlandung könnten die weiteren Zinserhöhungen der Fed wie folgt aussehen: Auf ihren Sitzungen im Juni und Juli dürfte sie den Leitzins jeweils erneut um 0,5 Prozent anheben. In der folgenden Sommerpause wird die Fed feststellen, ob sich der Inflationsgipfel bereits eingestellt hat. Wenn nicht, könnte Ende September die nächste Erhöhung in gleicher Größenordnung folgen. Anschließende Zinserhöhungen wird sie danach nach Datenlage vornehmen. Bei von ihr unterstellter Inflationsberuhigung ist im November bzw. Dezember mit Schritten von nur noch 0,25 Prozent zu rechnen.
Ohnehin hätte die Fed schon nach der September-Erhöhung ihren „neutralen“ Notenbankzins von ca. 2,4 erreicht, der das Wachstum weder anregt noch bremst. Auch die Finanzmärkte erwarten, dass die US-Notenbank spätestens 2024 zurückrudern wird und preisen dann Zinssenkungen um insgesamt 0,5 Prozent ein.
Grundsätzlich spricht wenig dafür, dass die Zinserhöhungen die Inflation einholen, geschweige denn übertreffen werden. Die Konjunktur hat Priorität.
Vor diesem Hintergrund ist auch die passive Entwässerung der US-Notenbankbilanz zu sehen. Dabei tritt die Fed nicht als aktiver Verkäufer von Anleihen auf, sondern verzichtet ab Juni zunächst auf die Wiederanlage fällig werdender Anleihen über 47,5 Mrd. US-Dollar. Diese Verknappung soll nach drei Monaten auf monatlich 95 Mrd. US-Dollar - verteilt auf 60 Mrd. US-Staatsanleihen und 35 Mrd. Immobilien besicherte Anleihen - verdoppelt werden.
Was sich aufaddiert bis Juni 2023 mit rund 1,1 Mrd. US-Dollar zunächst dramatisch anhört, führt bei genauer Betrachtung aber nur zu einer Verringerung der Bilanzsumme um 12 Prozent. Mit dann rund 7,8 Bio. US-Dollar läge die Bilanzsumme der Fed immer noch weit über jener zu Beginn der Corona-Pandemie von ca. 4 Bio. Dollar. Die Nothilfen werden nicht annähernd normalisiert.
Überhaupt muss die Fed darauf achten, dass sie die Zinsstrukturkurve nicht zu sehr verflacht. Ansonsten lohnt sich für die Banken die Kreditvergabe immer weniger, was die ökonomische Stabilität der kreditdrogenabhängigen Wirtschaft bedrohte.
Fed-Chef Jerome Powell beherrscht das „Spiel ohne Ball“. Zwar hat die US-Notenbank keinen konkreten Fahrplan für ihre Geldpolitik vorgelegt und auch die Gefahr weiterer Inflationsrisiken betont. Doch mit einer ausgewogenen Mischung aus Bedenken und Hoffnungen und dem de facto-Ausschluss von Zinserhöhungsschritten von 0,75 Prozent hat sie der Wirtschaft mehr Klarheit gegeben.
Die Zinserhöhungsängste sind bei der EZB noch geringer ausgeprägt. Selbst wenn es im Juli zu einer ersten Zinserhöhung der EZB käme, ist dies nicht der Beginn eines konsequenten Zinserhöhungszyklus. Aufgrund der vielen Baustellen und Strukturproblemen muss sie im Fürsorgemodus bleiben.
Dennoch, trotz aller rationalen Argumente halten sich die Zinserhöhungsängste hartnäckig wie Kaugummi am Schuh. In Amerika sind die Rufe nach strammeren Zinserhöhungen nicht leiser geworden.
Immerhin gibt dem Aktienmarkt die Fortsetzung der umfangreichen Rückkaufprogramme Unterstützung. Nach Angaben der US-Bank Goldman Sachs haben US-Unternehmen allein bis Mitte Juni Rückkäufe im Umfang von insgesamt 150 Mrd. Dollar geplant.
In puncto Ukrainekrieg blicken die Börsen gespannt auf den 9. Mai. Am „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland kann der russische Staatspräsident de facto keinen Sieg verkünden. Zur Ablenkung dürfte er seine Aggression und sein Säbelrasseln noch verstärken.
Ohnehin dreht sich das Sanktionskarussell weiter. Die EU verhängt mit sechsmonatiger Vorlaufzeit ein vollständiges Embargo auf russische Ölimporte mit anschließendem SWIFT-Ausschluss von drei weiteren russischen Banken. Zwar haben sowohl Russland als auch der Westen Zeit, sich darauf vorzubereiten. Doch könnte ein in die Enge getriebener Wladimir Putin, der seine Ziele offensichtlich nicht erreicht, auch die Beendigung von Gaslieferungen anordnen. Vor allem für die mittelständische deutsche Wirtschaft wäre dies der GAU.
Da zunächst keine nachhaltige Erholung der Aktienindices zu erwarten ist, lautet das Anlegerzauberwort für die nächste Zeit Branchen- und Einzelwertselektion. Die kurzfristig interessante Story bringt die Rendite.
Aus Sentimentsicht hält die Verunsicherung an den Börsen an. Die Anlegerstimmung bewegt sich gemessen am Fear & Greed Index von CNN Money im Bereich der Angst. Als Kontraindikator spricht dies immerhin für eine Bodenbildung.
Sobald die Flut an Negativnachrichten nachhaltig abebbt, würde sich auch das vergleichsweise hohe Verhältnis von Put- zu Call-Optionen am US-Terminmarkt umkehren und damit klare Aufwärtsimpulse an den Aktienmärkten herbeiführen. Soweit sind wir aber noch nicht.
Zunächst bleibt die Volatilität wegen der Unsicherheit über Zinsentwicklung und das weitere Geschehen in der Ukraine hoch.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 14.025 und 14.080 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 14.122 sowie 14.246. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 13.887, 13.600 und 13.566. Werden sie unterschritten, folgen weitere Haltelinien bei 13.544 und 13.388 Punkten.