Europäische Aktien glänzten mit einem robusten Start in das Börsenjahr 2019. Doch wie sehen ihre längerfristigen Aussichten gegenüber der US-Konkurrenz aus? Aufgrund eines völlig sinnbefreiten Brexit, eines wenig gemeinschaftlichen Auftretens sowie wegen fehlender Reformpolitik und damit sukzessiver Standortverschlechterung ist Europa mit hausgemachten Problemen belastet. Als exportorientierte Region macht sich zusätzlich die verhaltene weltkonjunkturelle Entwicklung - vor allem wegen des amerikanisch-chinesischen Handelskonflikts, aber auch der Gefahr eines transatlantischen Auto-Kriegs - negativ bemerkbar. Tatsächlich, mit Blick auf die Eurosklerose heißt es bei internationalen Aktienanlegern: „America First“. Immerhin zeigen deutsche Aktien aus der zweiten Reihe Steherqualitäten.
Das US-Handelsministerium stuft selbstgerecht und heuchlerisch Autoimporte als Bedrohung für die nationale Sicherheit ein, so dass US-Präsident Trump innerhalb von 90 Tagen Zölle auf Autos und Autoteile bis zu 25 Prozent verhängen kann. Die aktuelle politische und konjunkturelle Schwäche Europas könnte Deal-Maker Trump mit Zolldrohungen gnadenlos ausnutzen, um ein für die USA besonders vorteilhaftes Handelsabkommen zu erzwingen. Dieses könnte in erhöhter europäischer und deutscher Autoproduktion in den USA, einem einseitig verbesserten EU-Marktzugang für US-Dienstleister, Agrar- und Gasproduzenten sowie einem gemeinschaftlichen Auftreten gegenüber den Feinden Amerikas bestehen.
Zwar hat die EU-Kommission bereits Vergeltungszölle auf Güter im Volumen von 20 Mrd. Euro angedroht. Eine sich gegenseitig hochschaukelnde Zollspirale, die auch auf andere Wirtschaftssektoren streut, würde Export-Europa allerdings schwer treffen.
Angesichts dieser Risiken hält sich das konjunkturelle Stimmungstief in der Eurozone hartnäckig. Zwar kann sich der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor in expansivem Terrain halten. Jedoch deutet die markante Stimmungsverschlechterung in der Industrie auf einen Wert von 49,2 und damit unter die Expansion anzeigende Schwelle von 50 auf eine zu erwartende Schrumpfung der Industrietätigkeit hin. Die Störmanöver des US-chinesischen Handelsdisputs und Sorgen vor einem ungeordneten No Deal-Brexit lassen sich nicht leugnen.
Besonders leidtragend ist die deutsche Wirtschaft aufgrund ihrer traditionellen Abhängigkeit vom Geschäftsmodell Außenhandel. Dies schlägt sich in einer Wertentwicklung des deutschen Leitindex DAX nieder, der Schlusslicht in Europa ist.
Diesem mittlerweile offensichtlich handelspolitischen Strukturdefizit schafft offenbar auch die Tatsache keine Abhilfe, dass deutsche Autohersteller von einer weiteren Produktionsausweitung in Amerika bei näherer Betrachtung kaum negativ betroffen wären. Im Gegenteil, deren Absätze in den USA würden handelspolitisch reibungsfrei verlaufen. Nicht zuletzt profitierte man von den im Vergleich günstigeren amerikanischen Unternehmenssteuern.
Im Gegensatz dazu würde jedoch der deutsche Wirtschaftsstandort durch einen Exodus der Kernbranche Automobile, vor allem aber durch den massiven Abbau von gut bezahlten Facharbeiterjobs, empfindlich getroffen. Lautes Klappern gehört sicherlich zum Handwerk, aber das ifo Institut rechnet bei dauerhaften US-Strafzöllen von 25 Prozent mit einer Halbierung deutscher Autoexporte.
Zwar gerät auch die US-Konjunktur wegen den Handelsstreitigkeiten in Bedrängnis. Im direkten Vergleich und auch wegen einer stärkeren Binnenkonjunktur präsentiert sich die „harte“ konjunkturelle Datenlage in den USA jedoch weniger enttäuschend als in der Eurozone. Die Citigroup veröffentlicht ökonomische Überraschungsindices, die jeweils die Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen messen. Demnach spricht das konjunkturelle Überraschungsargument im Trend für die US- und gegen die Euro-Wirtschaft.
Das kommt ebenfalls in einem seit 2018 anhaltenden Gewinnnachteil europäischer gegenüber US-Unternehmen zum Ausdruck. Dieses fundamentale Handicap schlägt sich wiederum in einer konsequenten Underperformance von Aktien der Eurozone (Euro Stoxx) zu amerikanischen Titeln (S&P 500 Index) nieder.
Selbst der sich im Trend gegenüber US-Dollar abschwächende Euro verleiht exportsensitiven Euro-Aktien keinen Rückenwind gegenüber der amerikanischen Konkurrenz. Die Unsicherheit über die weitere politische und Konjunkturentwicklung - Brexit, Europawahl im kommenden Mai und Handelsprotektionismus - überkompensiert den währungsseitigen Vorsprung. Erst bei nachhaltiger Beseitigung dieser politischen Risiken kann die Euro-Schwäche als Vorteil für eurozonale Aktien punkten. Grundsätzlich bleibt die freizügige Geldpolitik der EZB ein Pluspunkt für Titel aus dem gemeinsamen Währungsraum.
Bis dahin profitieren US-Aktien von den attraktiven Standortqualitäten in Form niedrigerer US-Unternehmenssteuern, Infrastrukturmaßnahmen und insbesondere durch einen gewaltigen Digitalisierungsvorsprung und damit Wettbewerbsvorteil.
Immerhin scheinen die vom ZEW unter Finanzanalysten ermittelten Konjunkturerwartungen auf niedrigem Niveau ihren Boden gefunden zu haben, was zur Stabilisierung deutscher Aktien beiträgt.
Dass an sechs Absichtserklärungen zwischen den USA und China selbst in kontroversen Streitthemen - u.a. geistiges Eigentum, Dienstleistungen, Technologietransfer, Landwirtschaft, Währung - gearbeitet wird, nährt zwar Hoffnungen auf eine Beilegung des Handelskonflikts. Allerdings lehrt die „Streiterfahrung“, dass Absichtserklärungen noch keinen Vertrag darstellen. Ob man sich bis zum 1. März geeinigt haben wird, ab dem neue Zölle auf chinesische Importe drohen, ist zwar fraglich. Allerdings könnte man die Frist verlängern, was Trump bereits angedeutet hat. Rational betrachtet müssen beide Seiten ein Interesse an friedlicher Handels-Koexistenz haben. Der Handelsstreit tut beiden weh. Eine Einigung verleiht auch Phantasien für eine anschließende Befriedung des transatlantischen Handelsstreits, auch wenn diese noch viele Nerven kosten wird.
Insgesamt befinden sich deutsche Aktien gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis aktuell auf dem günstigsten Bewertungsniveau seit Anfang 2016, vor allem gegenüber Titeln aus Amerika aber auch der Eurozone. Das verleiht ihnen Nachholpotenzial, sobald die Themen Handels- und Autokrieg an Bedeutung verlieren.
Auf deutscher Branchenebene (Basis CDAX) bietet sich ein geteiltes Bild. Banken klebt die stramme Regulierung und die dadurch erschwerte Umsetzung belastbarer Alternativstrategien wie Kaugummi am Schuh. Neben weltwirtschaftlichen Reibungsverlusten und Zollangst bekommen Autowerte und Zulieferer den Dieselabgasskandal weiter zu spüren, da die Politik mit der Debatte um Feinstaub-Grenzwerte und Fahrverbote aktive Konsumentenverunsicherung betreibt.
Im Gegensatz dazu profitieren Konsumwerte von der stabilen Verbraucherlaune, auch aufgrund anhaltender Unattraktivität von Zinssparen. Die Fintech- und Software-Branche wird nach den Manipulationsvorwürfen bei Wirecard von Anlegern offensichtlich nicht umfänglich stiefmütterlich behandelt. Und nach der langen Durststrecke wegen der Energiewende können die Versorger trotz vergleichsweise eingetrübter Ertragslage und Schmalkost bei Dividenden offensichtlich von ihren noch vorhandenen Defensivqualitäten profitieren. Dies gilt auch für Versicherungen.
Im Gegensatz zu deutschen Standardwerten scheinen die Anleger der zweiten Aktien-Reihe höhere Attraktivität zu bescheinigen. Diese Titel besetzen tatsächlich mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur Positionen als Weltmarktführer in zahlreichen Nischenmärkten und machen sich damit etwas unabhängiger von der wirtschafts- und finanzpolitischen Großwetterlage. Ihnen kommt auch viel Übernahmephantasie zugute. Das gilt speziell für Technologietitel aus dem TecDAX, die vom Megathema Digitalisierung profitieren.
Auf Sentimentebene zeigen sich deutliche Hoffnungsschimmer. Die Panik verwandelt sich in wachsende Zuversicht. Das unterstützt Kursanstiege, auf die viele Anleger angesichts ihrer noch vorsichtigen Positionierung nicht vorbereitet sind. Um sich die Aktien-Performance nicht entgehen zu lassen, sind sie gezwungen, den Kursen hinterherzulaufen, was wie ein Kurs-Katalysator wirkt.
Charttechnisch trifft der DAX bei fortgesetzter Erholung auf den nächsten Widerstand bei 11.570 Punkten. Kann dieser überschritten werden, trägt die Erholung zunächst bis zur Barriere bei 11.696. Oberhalb der Marke bei 11.600 verlässt der DAX den Abwärtsmodus. Kommt es zu erneuten Rücksetzern, liegen die ersten Haltelinien bei 11.309 und 11.218. Darunter befinden sich die nächsten Unterstützungen bei 11.022 und 10.929 Punkten.
In Asien zeichnen sowohl der offizielle chinesische als auch der von der Finanznachrichtenagentur Caixin veröffentlichte Einkaufsmanagerindex ein darbendes Bild der Industrie. In Chinas Dienstleistungssektor zeigt sich die Stimmung noch vergleichsweise robust. In Japan verschaffen die schwächelnde Industrieproduktion sowie die anhaltend niedrige Inflationsrate der Notenbank das passende Alibi für eine weiterhin ultralockere Geldpolitik.
In den USA kommt die Wachstumsdelle - auch über den government shutdown - in schwächeren BIP-Daten für das IV. Quartal und verhaltenen Industrieaufträgen zum Ausdruck. Der Rückenwind vom Immobiliensektor flaut laut Baubeginnen und -genehmigungen ab. Der sich festigende ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe verspricht immerhin konjunkturelle Stabilisierung. Und auch die Privatnachfrage hat sich laut Konsumentenvertrauen der University of Michigan gefestigt.
In der Eurozone leiten die Inflationsschätzungen für Februar Wasser auf die Mühlen einer freizügigen EZB. Das von der EU-Kommission veröffentlichte Wirtschaftsvertrauen signalisiert eine Konjunkturstabilisierung auf niedrigem Niveau.
In Deutschland deuten stabile Einzelhandelsumsätze sowie ein grundsätzlich freundlicher GfK Konsumklimaindex auf eine gesunde Binnenkonjunktur hin.