Die Aktienmärkte starten verunsichert in das Jahresschlussquartal: Den USA droht wieder einmal der Sturz von der Fiskalklippe und die Evergrande-Krise in China schwelt weiter. Steigende Energiepreise sorgen für Inflationsdruck, der Zinsängste der Notenbanken über angedrohte Liquiditätsdrosselungen schürt. Und das alles geschieht vor dem Hintergrund einer derzeit weniger dynamischen Weltwirtschaft. Da gerät die börsenversöhnliche Bundestagswahl zur Nebensache. Stehen die Aktienmärkte vor einer Zäsur?
Das Drama um die Erhöhung der US-Schuldengrenze spitzt sich zu. Zwar hat man sich auf eine Überbrückungsfinanzierung einigen können, die eine Teilschließung der öffentlichen Verwaltung zunächst abwendet. Die Einigung auf eine Erhöhung der US-Schuldenobergrenze steht allerdings noch aus, ohne die Amerika ab dem 18. Oktober theoretisch der Bankrott und eine Rezession droht.
Praktisch wird es nicht dazu kommen. Zwar würden öffentliche Investitionsprojekte gestoppt und die Verabschiedung des 1,2 Bio. schweren Infrastrukturplans wurde bereits erneut verschoben. Zunächst aber können im Rahmen einer Vorrangeinräumung Zinszahlungen auf Staatsschulden für einige Wochen noch beglichen werden.
Ohnehin sähen sich die Republikaner mit ihrer Verweigerung eines höheren Schuldenlimits - um das 3,5 Bio. Dollar schwere Sozial-Paket von Präsident Biden zu stoppen - einem immer stärkeren öffentlichen Druck ausgesetzt. Für ein erneutes Einlenken im regelmäßig inszenierten Budgetkonflikt sprechen nicht zuletzt die Zwischenwahlen 2022. Die Republikaner werden den Demokraten nicht die Munition liefern, sie seien „Staatsbankrotteure“ und „Konjunkturkiller“. Übrigens, auch wenn die Demokraten es bislang noch ablehnen und der Sachverhalt politisch brisant ist, könnten sie zur Not mit dem Gesetzgebungstrick „Reconciliation“ eine Anhebung der Schuldenobergrenze auch im Alleingang beschließen.
Ein Szenario wie im August 2011, als der S&P 500 innerhalb von rund zwei Wochen um ca. 17 Prozent einbrach, ist also nicht zu erwarten.
In China trüben die Regulierungswut der KP zur Sicherung ihrer alleinigen Macht, verringerte Fiskalmaßnahmen und hohe Energiepreise die Industriestimmung. Sicher trägt auch Evergrande zu Irritationen bei. Die Stützung heimischer Banken durch bevorzugte Zinszahlungen trägt allerdings zur Krisenentschärfung bei. Auch die People’s Bank of China ist hinter vorgehaltener Hand längst im Rettungsmodus. Peking hat doch kein Interesse an einer schweren Finanzkrise, die wirtschaftliche Schäden und soziale Schieflagen bei chinesischen Bürgern erzeugt. Dann würde China auch im Wettstreit mit Amerika zurückfallen. Ohnehin wirkt die V-förmige Stimmungserholung bei Dienstleistern der Industrieschwäche entgegen. China droht keine harte Landung.
Die Stimmung in der deutschen Exportindustrie zeigt sich stabil. Laut ifo Institut erwarten deutsche Autobauer, die Elektroindustrie und Chemiebranche steigende Auslandsumsätze.
Der dritte Rückgang der ifo Geschäftserwartungen in Folge aufgrund verschärfter Beschaffungskrisen bei Vorprodukten deutet zwar auf eine zunächst weniger schwungvolle Wirtschaft hin. Prall gefüllte Orderbücher und eine anhaltende Erholung bei Einzelhändlern und Dienstleistern beugen aber einem Abschwung vor. Ab Frühjahr, wenn nach heutiger Einschätzung die technischen Reibungsverluste nachlassen, ist mit einer wirtschaftlichen Beschleunigung zu rechen. Gemäß ifo Konjunkturmatrix bleibt die deutsche Wirtschaft in der „Boom“-Phase.
Dennoch ist der Wunschzettel der Wirtschaft an eine zukünftig regierende Dreier-Koalition groß. Schlüsselthemen wie Digitalisierung, Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltschutz sollen mit marktwirtschaftlichen mitteln beherzt angegangen werden.
Eine standhafte Weltkonjunktur sorgt für steigende Rohstoffpreise. So bewegen sich Öl- und Gaspreise auf Mehr-Jahres-Hochs. Folgerichtig steigen im Trend auch die Inflationserwartungen in den USA und der Eurozone.
Da sich der Inflationsdruck hartnäckig hält, sieht sich die Fed mittlerweile gezwungen, mit der Ankündigung von Tapering stabilitätspolitische Verantwortung zu zeigen. Dennoch wird sie weiterhin real- und finanzwirtschaftlich schmerzhafte Zinsirritationen verhindern und Liquiditätsdrosselung nur in Trippelschritten betreiben. Dabei hilft ihre oft wiederholte These vom „transitorischen“ Inflationsschub. Tatsächlich ist „vorübergehend“ ähnlich wie ein Gummiband ein sehr dehnbarer und damit sehr dankbarer Begriff ist. Überhaupt ist von Liquiditätsentzug oder gar Zinserhöhungen keine Rede.
Die EZB steht erst Recht nicht im Verdacht, wirklich restriktive Geldpolitik zu betreiben. Die Erhaltung „vorteilhafter Finanzierungskonditionen“ hat angesichts der vielfältigen Aufgaben der EZB höchste Priorität. Neben der Bekämpfung der coronalen und strukturellen Konjunkturschwäche müssen ebenso der Klimaschutz, Infrastrukturmaßnahmen und die Wettbewerbsfähigkeit finanziert sowie der politische Euro-Frieden bewahrt werden. Das sind ebenso Killerargumente gegen eine geldpolitische Umkehr wie die kürzlichen Aussagen von Notenbankpräsidentin Christine Lagarde, wonach die EZB angesichts steigender Inflationsraten und temporärer Angebotseinbrüche nicht überreagieren darf. Da scheint es auch nicht ins Gewicht zu fallen, dass die Inflation in Deutschland erstmals seit Anfang der 90er-Jahre vier Prozent überschreitet. Schließlich betreibt man Geldpolitik für alle Euro-Staaten, wo die Preissteigerung vielfach geringer ist.
Eine absolut nicht Angst einflößende, aber im relativen Vergleich zur EZB weniger freizügige Fed spricht für anhaltende Euro-Schwäche. Genau dieses Bild zeichnen die Devisenterminmärkte.
Grundsätzlich betreiben die Notenbanken eine freundliche Zins- und damit Aktienpolitik. Schließlich werden Zinssteigerungen von der Inflation nicht mehr ausgeglichen.
Und wenn Inflation nicht bekämpft wird, ist sie kein Feind, sondern ein Freund von Aktien.
Leichte Renditesteigerungen von Anleihen lassen zwar Wachstumsaktien aus dem High-Tech-Bereich leiden, die aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Bewertung besonders zinssensibel sind. Tatsächlich gibt die Wertentwicklung von Nasdaq und TecDAX dieses Bild wieder.
Auch nimmt die Umschichtung in zyklische Werte wieder leicht zu. Dabei liegt der Fokus auf Sektoren wie Industrie, Energie und Grundstoffe, denen zukünftig die weltkonjunkturelle Beschleunigung nach Wegfall der Lieferengpässe zugutekommt. Ebenso profitieren Finanzwerte, deren Ertragsperspektiven durch steigende Zinsen nicht belastet, sondern verbessert werden.
Mit Blick auf die neue deutsche Regierung können Aktien aus dem Bereich erneuerbarer Energien mit einer gewissen Sonderkonjunktur rechnen. Profitieren werden auch Industrie- und Infrastrukturwerte, die in den Genuss staatlicher Förderung kommen. Hierbei ist insbesondere die zweite deutsche Aktien-Reihe mit ihren „Talenten“ begünstigt.
Selbst wenn Value wieder gefragt ist, ist Growth langfristig nicht out. Die Digitalisierung samt Automatisierung von Industrieprozessen, künstliche Intelligenz, die Quantenkommunikation und -informatik bleiben Megathemen, die, da sie noch Beschleunigung erfahren, nachhaltige Gewinnquellen bleiben. Die dramatisch hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben der US-High-Tech-Werte zeigen, dass man an eine vielversprechende Zukunft denkt.
In der bevorstehenden US-Berichtsaison für das III. Quartal 2021 zeichnet sich nach der Abarbeitung der Basiseffekte und der Lieferpässe eine Normalisierung des euphorischen Gewinnwachstums ab.
Da die Gewinnperspektiven gemäß der Unternehmensausblicke absolut aber stabil bleiben, hält sich der fundamentale Reibungsverlust in Grenzen.
Aus Sentimentsicht stellen Unsicherheitsfaktoren wie die Evergrande-Krise oder das Tapering in den USA zwar mögliche Handicaps dar, die zu volatileren Aktienmärkten führen. Für einige Marktteilnehmer sind Aktien der Realwirtschaft auch zu weit vorgelaufen und immer noch zu teuer.
In Ermangelung eines euphorischen Überschwangs gibt es jedoch kein nennenswertes Potenzial für deutliche Stimmungseintrübungen. Viele Anleger dürften zwischenzeitlich sinkende Kurse für Zukäufe nutzen.
Auch angesichts der vergleichsweise geringen Kursschwankungsbreite bei US-Staatsanleihen ist mit keinem drohenden Ungemach zu rechnen. Panik oder Crashgefahr sehen völlig anders aus.
Der Fear & Greed Index von CNN Money notiert mit einem Wert von 25 im Bereich der „extremen Angst“ und deutet als Kontraindikator auf ein Ende der Konsolidierung an den US-Börsen hin.
Aus charttechnischer Sicht verläuft im DAX auf dem Weg nach oben der erste Widerstand bei aktuell 15.527 Punkten. Wird dieser überschritten, treten die Marke bei 15.727 und 15.792 in den Vordergrund. Schließlich nimmt der Index Kurs auf die Marke bei 15.807. Tritt der DAX allerdings wieder den Weg nach unten an, verlaufen erste wichtige Unterstützungen bei 15.233, 15.195 und darunter 14.980. Werden diese unterschritten, verlaufen die nächsten Haltelinien bei 14.804 und 14.423 Punkten.