Für eine eiskalte Rezession ist es zu warm: Sinkende Energiepreise und das Wiedererwachen Chinas sorgen für Tauwetter in der tiefgekühlten deutschen Exportwirtschaft. Jedoch leitet die aufgehellte Konjunkturstimmung auch den Zinsängsten wieder Wasser auf ihre Mühlen.
Die Stabilisierung der ifo Geschäftsklimazahlen zeigt, dass sich die deutsche Wirtschaft regeneriert. Der zweite Rückgang der ifo Geschäftslage signalisiert zwar eine jahresanfängliche Wachstumsdelle. Eine bessere Verfügbarkeit von Vorprodukten aus China, dort auch verbesserte Absatzmärke, milde Witterungsverhältnisse und entspannte Gaspreise verhindern aber eine heftige Wirtschaftsschrumpfung. Perspektivisch vielversprechend ist die mittlerweile fünfte Verbesserung der ifo Geschäftserwartungen in Folge. Für 2023 ist immerhin ein Mini-Wachstum zu erwarten.
Diese ifo Konjunkturzuversicht wird von optimistischen ZEW Konjunkturerwartungen flankiert.
Das sind nicht die typischen Zutaten für einen Aktiencrash.
Aktuell sind die Gas- und Strompreise auf den niedrigsten Stand seit September 2021 bzw. März 2022 gesunken. Das sorgt für nachlassenden Druck auf die Produzenten- und später ebenso auf die Konsumentenpreise, was dem Kaufkraftverlust entgegenwirkt.
Tatsächlich trägt die Beruhigung der Energiepreise, die auch bei Öl zu beobachten ist, über eine stabilisierte Verbraucherlaune zu einer Stimmungsverbesserung bei Dienstleistern bei. Selbst der Handel ist weniger pessimistisch. Das Angstsparen ist weniger dramatisch als befürchtet. Die Industrie kann mit verbesserter Materialverfügbarkeit die Aufträge abarbeiten. Zwar lassen Neuaufträge noch zu wünschen übrig. China hat seine Wirtschaftsschließung beendet, aber es wird noch Zeit brauchen, bis so viel Herdenimmunität erreicht ist, dass der Wirtschaftskreislauf dort wieder rund läuft. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Schlusslicht bleibt die Bau-Branche, der die hohen Baukosten und steigenden -zinsen schwer zusetzen. So hat Vonovia als Deutschlands größter Wohnungsbaukonzern sämtliche Neubauprojekte auf unbestimmte Zeit verschoben.
Insgesamt fällt der Abschwung gemäß ifo Konjunkturmatrix - Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung gesetzt - eher mild aus. Für ein Frühlingserwachen ist es aber noch zu früh.
Für Berlin gibt es keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Das deutsche Geschäftsmodell, Rohstoffe weltweit günstig zu beschaffen, zu attraktiven Produkten zu veredeln und schließlich zu exportieren, hat Risse. Zwar gelingt die Energieverfügbarkeit, doch sind wir gegenüber den Preisen in Amerika nicht konkurrenzfähig. Und das Outsourcing nach China hat zwar die deutsche Produktion hoch effizient gemacht. Doch zeigt die Wirtschaftsschließung die Risiken dieser Strategie auf, ganz zu schweigen von der dramatischen Abhängigkeit, in die wir uns begeben haben. Wenn China will, kann es uns z.B. bei geopolitischen Streitereien mahnend nahelegen, weniger Härte zu zeigen. Alternative Produktionsstätten in Asien aufzubauen, kostet Zeit. Und wenn Indien zum großen Ersatzspieler für China wird, begeben wir uns von der einen in die andere Abhängigkeit.
Das spricht theoretisch für Produktionsverlagerung nach Deutschland. Doch ist unser Standort in puncto Arbeitskosten, Steuern, Energiesicherheit und Infrastruktur derzeit nicht wettbewerbsfähig.
Praktisch ist die Frage an die deutsche Politik klar: Wie machen wir unseren Standort wieder fit? Unsere früheren Wirtschaftstugenden müssen wiederbelebt werden. Die daniederliegende Produktivität - früher ein deutsches Markenzeichen - muss wieder gesteigert werden. Alle Experimente haben unter dem strikten Vorbehalt der „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ zu stehen. Ansonsten Ablage Papierkorb. Vor allem muss die Energiewende, insbesondere auch im Übergang, nicht nur ideologisch, sondern vor allem als neue Wachstumsquelle betrachtet werden. Für unsere Unternehmen, auch aus dem einzigartigen deutschen Mittelstand, der hier oft Weltmarktführer ist, zählt bei der Standortwahl die Rendite bzw. das wirtschaftliche Überleben. Dabei werden sie in Amerika fündig, das knallhart nur an einen denkt, an sich.
Das käme auch dem zyklischen deutschen Aktienmarkt zugute, der trotz markanter Erholung immer noch gegenüber den Aktienmärkten in Frankreich, Spanien und Italien underperformt, wo Branchen wie (Luxus-)Konsumgüter, Versorger und Banken hoch gewichtet sind.
Der zunehmende Konjunkturoptimismus vor allem bei Dienstleistern in der Eurozone und damit verbundene Lohnerhöhungen - siehe Tarifforderungen in Deutschland - befeuern erneut Befürchtungen vor einer Lohn-Preis-Spirale und damit vor geldpolitischem „Falkentum“.
Weiteres Öl ins Feuer gießt EZB-Direktorin Isabel Schnabel, wonach eine breite Desinflation angesichts der weiter steigenden Kerninflation in der Eurozone - zuletzt 5,3 nach 5,2 Prozent - noch nicht einmal begonnen habe.
Auch in Amerika fallen die Fed-Mitglieder vermehrt mit harter Inflationsbekämpfungs-Rhetorik auf. Gemäß Protokoll der vergangenen US-Notenbanksitzung (Fed Minutes) ist der bisherige Inflationsrückgang noch nicht ausreichend für ein Ende der Zinserhöhungen.
Vor diesem Hintergrund fassen die Staatsanleihemärkte in den USA und der Eurozone im Trend bereits ihre Renditehochs des vergangenen Jahres ins Auge.
Dass die Industriestimmung eher verhalten bleibt und das volle Ausmaß der EZB-Zinserhöhungen erst noch Wirkung zeigen wird, findet an den Finanzmärkten derzeit keinen Niederschlag. Grundsätzlich versuchen die Notenbanken mit verbaler Schocktherapie einen markanten Teil der verbleibenden Zinsstraffung bereits vorwegzunehmen. Sie sind sich der Wirkung strammer Zinsrestriktionen auf die Schuldentürme der Welt bewusst.
Sollten Fed & Co. mit ihrer „Spiel ohne Ball-Methode“ erfolgreich sein, wird das eine Entspannungs-Rallye lostreten. An diesem Punkt sind wir aber noch nicht. Vorerst bleiben die Zinsängste ein hartnäckiger Belastungsfaktor für Aktien.
In der Tat, beim Vergleich der Gewinn- mit Staatsanleiherenditen setzt sich der Abbau des Attraktivitätsvorsprungs der Aktien zugunsten von Zinspapieren fort. Besonders betroffen sind US-Aktien, deren Renditevorsprung auf den tiefsten Wert seit 2007 geschrumpft ist. Dieser Abwärtstrend ist auch für Deutschland und die Eurozone zu beobachten, allerdings deutlich weniger intensiv.
Insofern besitzen europäische Aktienmärkte gegenüber Zinsängsten einen Puffer und sind vergleichsweise stabiler.
Immerhin, mit ihren Gedankenspielen über weitere Leitzinsanhebungen unterstreichen die Notenbanken auch konjunkturelle Zuversicht.
Tatsächlich kann die Weltkonjunktur gemäß des von der Citigroup ermittelten Economic Surprise Index - er misst die Abweichung veröffentlichter Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen - zuletzt zunehmend überraschen. Diese Fundamental-Gewinne können die zinsseitigen Verluste zumindest abfedern.
Dieses eher versöhnliche Fundamentalbild unterstreicht auch die sich dem Ende zuneigende US-Berichtssaison für das IV. Quartal 2022. Trotz großer Unsicherheit bilden sich die negativen Gewinnerwartungen für Corporate America für die nächsten 12 Monate weiter zurück. Mit einem dramatischen Gewinneinbruch und viel Gegenwind für US-Aktien ist daher nicht zu rechnen.
Zum Jahrestag von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich an den Finanzmärkten ein Gewöhnungseffekt eingestellt. Putins verbale Aufrüstung - siehe Aussetzung des Atom-Abrüstungsvertrags New Start - gegenüber dem Westen nach US-Präsident Bidens Blitzbesuch in Kiew perlt insbesondere an den Energiemärkten ab, die so keine unmittelbaren Negativ-Effekte auf die Aktienmärkte auslösen. Eine Lösung des Konflikts entspricht zwar der Quadratur des Kreises. Doch solange schwere Eskalationen ausbleiben wie z.B. Waffenlieferungen Chinas an Russland, bleiben auch Schocks an den Finanzmärkten aus. Anderenfalls betritt ein neuer schwarzer Schwan die Börsenbühne. Grundsätzlich ist China in einem Dilemma. Im Außenhandel will man es sich nicht mit dem Westen verscherzen. Ein geopolitisch komplett geschwächter russischer Partner würde aber auch die eigene Position im Wettstreit mit den USA schwächen.
Die Anlegerstimmung bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen einer sanften Konjunktur-Landung und Zinsängsten. Nach den Jahreshochs befindet sich der DAX in einer stabilen Seitenlage.
Aktuell hält sich der von CNN Money veröffentlichte Fear & Greed Index zudem stabil im Bereich der „Gier“. Als Kontraindikator spricht auch dies für zwischenzeitliche Kursrückgänge.
Doch angesichts der aktuell verhaltenen Volatilität beobachten Anleger die Lage nicht mit Sorge.
Charttechnisch liegen auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 15.555, 15.650 und 15.660 Punkten. Darüber folgen die nächsten Barrieren bei 15.730, 15.815 und 15.830. Kommt es zu einer Konsolidierung, bieten zunächst die Marken bei 15.495, 15.445 und 15.430 Halt. Darunter liegen weitere Unterstützungen bei 15.400, 15.365, 15.350, 15.282 sowie 15.270 Punkten.