Weltweit stabilisieren sich die Konjunkturaussichten. Vor diesem Hintergrund sorgen Äußerungen von Fed-Präsidentin Yellen, aber vor allem von EZB-Präsident Draghi, wonach zukünftig die Geldpolitik weniger expansiv ausfallen könnte, für Anlegerverunsicherung. Die EZB bemühte sich zwar umgehend um Schadensbegrenzung und relativierte Draghis Aussagen. Sie seien ein ausgewogenes Statement gewesen, das die Konjunkturerholung im Euroraum ebenso betonen sollte wie die grundsätzliche Beibehaltung einer freizügigen Geldpolitik. Dennoch zeigt die sprunghafte Aufwertung des Euros, dass schlafende Finanz-Hunde geweckt wurden. Inwieweit kommt es aber wirklich zu einem Paradigmenwechsel der Geldpolitik, der ohne Zweifel zu Kollateralschäden an den Aktienmärkten führen würde?
Die deutsche Wirtschaft setzt laut ifo Institut ihren Höhenflug fort: Setzt man Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung, arbeitet sich die deutsche Wirtschaft stimmungsseitig weiter in die Konjunkturphase „Boom“ hinein. So bestätigen die rund 7.000 vom ifo Institut befragten Unternehmen eine rekordhohe Geschäftslage. Weniger überschäumend zeigen sich die Geschäftserwartungen, auch wenn sie sich auf dem höchsten Stand seit Februar 2014 bewegen.
Nach der Abarbeitung der politischen Risiken ziehen die im Trend aufwärtsgerichteten ifo Geschäftserwartungen im Jahresvergleich auch wieder spürbare Kursgewinne beim DAX nach sich.
Denn da in der Vergangenheit verbesserte ifo Geschäftserwartungen mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten im Trend eine Erholung deutscher Unternehmensgewinne signalisieren, kommen deutsche Aktien endlich wieder in den Genuss einer fundamentalen Stärke.
Unterstützend für deutsche Aktien wirkt, dass die Ängste vor einem weltweit massiven Handelsprotektionismus abebben. Selbst die Wirtschafts-Intelligenzija der Trump-Administration sendet Entspannungssignale aus. Insgesamt berichten die ifo Exporterwartungen weiterhin von guten Geschäftsaussichten. Dies liegt auch an einem sich stabilisierenden Wirtschaftsraum Asien, der die Befürchtungen vor einem Konjunkturschock in China hinter sich gelassen hat. Das Importvolumen Asiens hat sich merklich stabilisiert.
Doch auch in Asien wachsen die konjunkturellen Bäume nicht in den Himmel. Dies belegt der ökonomische Überraschungs-Index für die Weltwirtschaft der Citigroup. Er misst positive bzw. negative Abweichungen der tatsächlichen von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen. Dieser Index hat seit Ende März sozusagen unterrascht. Diese negative Entwicklung bekommt auch das in die globale Wirtschaft stark eingebundene China zu spüren. Der Anteil neuer Kredite an der chinesischen Wirtschaftsleistung schrumpft im Trend weiter.
Selbst die US-Wirtschaft wächst trotz beispiellos freizügiger Geldpolitik nur verhalten, so dass sich der Internationale Währungsfonds (IWF) zu einer Kürzung seiner US-Wachstumsprojektionen für 2017 und 2018 (2,1 nach zuvor 2,3 bzw. 2,1 nach 2,5 Prozent) veranlasst sieht.
Und auch das Wachstum des Welthandels kann bislang überhaupt nicht an sein Niveau von vor der Finanzkrise 2009 anknüpfen. Es scheint sogar seinen vorläufigen Höhepunkt im März überschritten zu haben. Auch der Preisindex für die Verschiffung von Hauptfrachtgütern gibt wieder nach.
Sicherlich kommen Fed und EZB aufgrund der verbesserten Konjunktursituation allein schon zur Aufrechterhaltung ihrer Glaubwürdigkeit an einer restriktiveren Geldpolitik nicht vorbei. Von Hochkonjunktur kann aber nicht die Rede sein. Überhaupt sollte man nicht zu früh Entwarnung für die europäische Konjunktur geben. Ein Europa, das seine Reformhausaufgaben nicht ordentlich, sondern nur rudimentär erledigt, wird größte Schwierigkeiten haben, nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen. Und die Reformeuphorie, die man aktuell dem französischen Staatspräsidenten Macron unterstellt, muss sich erst noch bewahrheiten. Draghi hat betont, dass eine weniger üppige Zins- und Liquiditätspolitik nur stattfindet, wenn die Erholung von Konjunktur und Preisen hinreichend sicher sei. Mit diesem Gummiparagraph erkauft er sich viel Zeit.
Neben der konjunkturellen ist für die Notenbanken auch die finanzwirtschaftliche Betrachtung von Bedeutung. Nachdem Fed-Chefin Yellen kürzlich die Entblähung der durch Anleihekäufe fett gewordenen Bilanz der US-Notenbank skizzierte, warnt sie nun vor zu hohen Bewertungen an den Finanzmärkten. Und ausgerechnet die seit mindestens 2012 allumsorgende EZB spricht davon, prinzipiell zu einer etwas weniger expansiven Geldpolitik bereit zu sein und durch „temporäre Faktoren“ hindurchzuschauen, die einen Anstieg der Inflation verhindern. Haben wir es etwa mit einer konzertierten Aktion der Notenbanken zu tun, die das Ende der ultralockeren Geldpolitik und damit das Ende der Liquiditätshausse einläutet?
Natürlich sind die Befürchtungen bei Frau Yellen oder Herrn Draghi angesichts der Übertreibungen bei Anleihen oder Immobilien groß: Ihre fortgesetzte Aufblähung macht sie immer anfälliger für ein Platzen aufgrund eines plötzlichen Ereignisses. Absurderweise könnte aber gerade eine deutliche Trendwende der bisherigen Geldpolitik das Bersten von Anlageblasen auslösen. Im Extremfall könnte ein Zinsschock crash-artige Entwicklungen an den Finanzmärkten auslösen, die über eine galoppierende Risikoaversion zu einer Déjà vu-Rezession wie 2008/2009 führen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Verschuldung der Welt, die sich weiter auf- und nicht abbaut, nicht mit Zinssteigerungen vereinbar, die eine Refinanzierung erschweren. Die geldpolitische Unterstützung ist auch zur Bankenrettung wie kürzlich in Italien erforderlich. Es ist anzunehmen, dass in der Eurozone weitere Notlagen der Banken auftreten werden. Immerhin sind in Italien immer noch knapp 20 Prozent der ausgeliehenen Kredite notleidend. Direkt ist die EZB zwar nicht an Rettungsaktionen von Kreditinstituten beteiligt. Das übernimmt z.B. der italienische Staat, auch wenn gemäß Regeln der Europäischen Bankenunion die Gläubiger und Einleger der Banken primär haften sollen. Doch dann käme es zu einem Bank Run nicht nur in Italien, sondern vorsichtshalber auch von Sparern in der ganzen Eurozone mit im Extremfall verheerenden Schäden für die Bankenindustrie. Dann keimte auch wieder ein politisches Risiko auf. Enteignete Bankgläubiger könnten bei der geplanten italienischen Nationalwahl im März 2018 für ein Europa-feindliches Abstimmungsverhalten sorgen. Insofern bleibt die EZB in der Rolle des „Schutzengels“, der für eine zinsgünstige Finanzierung von Neuschulden sorgt, mit denen der Staat die Banken und vor allem ihre Gläubiger rettet.
Die Zuversicht, dass keine sich verschärfende italienische Bankenkrise zugelassen wird, die in eine Systemkrise der gesamten europäischen Finanzbranche münden würde, bleibt in der Tat ungebrochen. Sie findet Niederschlag in wieder deutlich sinkenden 5-jährigen Risikoaufschlägen europäischer Banken zu deutschen Staatsanleihen und einer entsprechend stabilisierten Entwicklung von Bankaktien zum Aktienindex der Eurozone.
Die internationale Geldpolitik ist ein großes politisches Kunstwerk geworden. Ja, die Notenbanken werden restriktiver werden. Aber auf die Definition kommt es an. Die Fed könnte zwar schon ab September auslaufende Anleihen im Besitz der Notenbank nicht wieder vollständig neuanlegen. Allerdings schweigt sie sich zur Frage, wie lange dieser Entzug dauert und welche Größenordnung er annimmt, aus. Die Fluchttüren bleiben also offen.
Draghi erklärte kürzlich, bei einer sich fortsetzenden Konjunkturerholung könne die EZB ihre Maßnahmen etwas zurückfahren, ohne die Geldpolitik dadurch restriktiver zu machen. Das heißt „Wasch mir den Pelz, aber mache mich nicht nass!" Er will eine Überreaktion der Finanzmärkte vermeiden. Er will nur eine graduelle Anpassung. Zwar dürfte die EZB das planmäßige Ende ihrer Anleihenkäufe ab Anfang 2018 einleiten. Da der Inflationsdruck selbst bis dahin nicht deutlich zunehmen dürfte, wird sie diese aber nur in Trippelschritten zurückfahren, so dass sie wohl noch bis Ende 2018 Anleihen kaufen wird. Und selbst dann ist von Netto-Liquiditätsabzug keine Rede. Insgesamt verhalten sich Fed und EZB mit ihrer vorgetäuschten Entzugstherapie wie wahre Politiker zurückhaltend bis nichtssagend und bewahren die Anlagemärkte vor Schäden ähnlich wie Kleidung beim Schonwaschgang. Die Notenbanker wissen, dass sie nie mehr zur guten alten Zeit einer normalen Geldpolitik zurückkehren können.
Insofern ist nach den kurzfristigen Irritationen am Rentenmarkt nur mit einer begrenzten Einengung der Renditedifferenz deutscher zu amerikanischen Staatsanleihen zu rechnen. Und da Renditeunterschiede ein wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen sind, ist auch nicht von einem markanten Aufwärtspotenzial des Euros zum US-Dollar auszugehen.
Das Klischee, wonach ein stabiler Euro schlecht für die eurozonale bzw. deutsche Exportindustrie ist, sollte ohnehin wenig Beachtung finden. Die Exportunternehmen schon deutlich höhere Euro-Wechselkurse mühelos ausgehalten. Zudem produzieren viele von ihnen im Ausland für das Ausland.
Dennoch, zwischenzeitlich reinigende Gewitter am Aktienmarkt durch Äußerungen der Notenbankvertreter sind in den Sommermonaten einzukalkulieren. Die Geldpolitik ist die Achillesferse der Finanzmärkte.
Beim DAX verläuft die erste Unterstützung bei 12.391 Punkten. Darunter folgt bei 12.313 eine weitere Haltelinie. Kann der Index auf der Oberseite den Widerstand bei 12.483 zurückerobern, liegen die nächsten Barrieren bei 12.511 und knapp darüber bei 12.524. Anschließend stößt der Index bei 12.621, 12.762 und letztlich bei 12.700 Punkten auf weitere Widerstände.
Der SDAX trifft bei einer fortgesetzten Konsolidierung bei 10.642 Punkten auf eine erste Unterstützung. Weitere Haltelinien liegen darunter bei 10.589 und 10.497. Werden auch diese durchbrochen, geben die Marken bei 10.250 sowie 10.180 Punkten Halt. Erobert der Index auf dem Weg nach oben den Widerstand bei 11.270 zurück, können Anschlusskäufe den SDAX bis zum bisherigen Allzeithoch bei 11.338 Punkten tragen.
Am Devisenmarkt stößt der Euro zum US-Dollar am langfristigen Abwärtstrend bei 1,15 auf eine wichtigen Widerstand. Wird dieser nicht nachhaltig überwunden, sind Rückschläge im Euro/US-Dollar-Wechselkurs bis zur Unterstützung bei 1,13 möglich. Darunter liegen weitere Barrieren bei 1,083 und 1,071 sowie 1,05.
In Japan deutet der von der Bank of Japan veröffentlichte Tankan Index für japanische Großunternehmen zwar auf eine Verbesserung der Konjunktursituation hin, die allerdings nicht so positiv ausfällt, um die japanische Notenbank aus ihrer lockeren Geldpolitik entkommen zu lassen. In China stabilisiert sich der vom Finanznachrichtendienst Caixin veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe knapp unterhalb der Expansion anzeigenden Schwelle.
In den USA signalisieren die ISM Indices für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor ebenso eine konjunkturelle Stabilisierung wie der quantitative Stellenaufbau. Stagnierende Auftragseingänge in der Industrie deuten jedoch auf eine nicht rund laufende US-Konjunktur hin. Insgesamt werden Anleger das Sitzungsprotokoll der Fed bezüglich näherer Details in puncto Bilanzverkleinerung und weiterer Zinserhöhungen durchleuchten.
In Deutschland unterstreichen solide Zahlen zu Industrieaufträgen und -produktion die gute Konjunktursituation.