Die aktuell schwache Weltkonjunktur offenbart schonungslos die tiefgreifenden Strukturprobleme in Deutschland und in Europa. Dagegen zeigt Amerika Steherqualitäten. Inwiefern wird sich die schwächere Konjunktur Europas auch in einer schwächeren Performance seiner Aktien niederschlagen?
Da die Weltwirtschaft schwächelt, können die europäischen Nationen ihre Strukturdefizite nicht mehr hinter starken Exportzahlen verstecken.
Diese schlagen jetzt umso negativer zu Buche. Besserung ist nicht in Sicht. Aufgrund der Beziehungskrise der Ampelregierung, die Handlungsfähigkeit kostet, nimmt die wirtschaftspolitische Verunsicherung weiter zu. So werden weder Investitionen der Unternehmen noch die Konsumlust der Verbraucher angeregt, die zuletzt aus Angst vor Arbeitslosigkeit wieder verstärkt Angstsparen betreiben.
Angesichts der beharrlichen Stimmungseintrübungen in Industrie, Dienstleistungssektoren und beim Konsum schlittert die deutsche Wirtschaft laut ifo Institut - die Geschäftserwartungen haben sich das dritte Mal in Folge verschlechtert - zunehmend in die Krise. Auf absehbare Zeit ist bestenfalls Stagnation zu erwarten.
Auch auf europäischer Ebene fehlt die wirtschaftliche Dynamik. In Frankreich werden die konjunkturellen Einmaleffekte der Olympischen Spiele in Ermangelung von Strukturveränderungen bald Geschichte sein. Besonders bemerkenswert ist jedoch die Germanosklerose.
Offensichtlich ist der wirtschaftliche Nährboden in Amerika besser gedüngt. Auch wenn die Wachstumsdynamik nachlässt, zeigt sich die US-Wirtschaft robuster. Zwar hat auch Amerika Problemfelder, wie das atemberaubende Haushaltsdefizit von 6,6 Prozent, bei dem Besserung weder unter Harris noch unter Trump zu erwarten ist. Doch werden neue Schulden vor allem für die Stärkung des Standorts ausgegeben, u.a. zur nachhaltigen Re-Industrialisierung und Sicherung strategisch wichtiger Lieferketten z.B. bei Halbleitern. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in Asien erkennen.
Im Übrigen sollte Europa bei einem Wahlsieg von Kamala Harris kein Mitleid erwarten. Amerika wird seine Wettbewerbsvorteile auch zum Nachteil Europas und Deutschlands konsequent ausbauen.
An der Stelle muss man die deutsche Schuldenbremse ansprechen. Sie sollte spürbar gelockert werden, aber nur unter sehr klaren Bedingungen. Das Geld darf nur für die Standortverbesserung nach marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgegeben werden. Ein No Go ist es, wenn der Staat planwirtschaftlich oder ideologisch bestimmt, in was investiert wird. Bessere Verkehrswege, höherer Bildungsgrad und höhere Netzqualität, Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen und Steuersenkungen sowie Entbürokratisierung werden die Deindustrialisierung Deutschlands und die schlechte Wirtschaftspsychologie umkehren.
Tatsache ist, dass wir in einem international brutalen Wettbewerb stehen: Wenn die ganze Welt ihre Standorte mit neuen Schulden saniert bzw. aufbaut, können wir nicht zuschauen.
Trotz der schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung gehen die europäischen Aktienmärkte nicht in Sack und Asche. Der DAX konnte sogar ein neues Allzeithoch ausbilden. Wirtschaftsstandort ist eben nicht gleich Börsenplatz.
Zunächst sind die Unternehmen immer weniger auf Deutschland und Europa angewiesen. Und auch der europäische Mittelstand wird immer flügger, die zweite und dritte Aktien-Reihe. Europäische Firmen sind nicht nur umsatzseitig, sondern auch in puncto Produktion international gut aufgestellt und nutzen geschickt die Standortvorteile in wichtigen Absatzmärkten wie den USA oder China.
Abgesehen davon hat Europa im industriellen Bereich immer noch großartiges Know-How, das weltweit nachgefragt wird. Und wenn Amerika seine Infrastruktur verbessert und das Gleiche vielfach in den Schwellenländern passiert, profitiert davon auch die europäische und deutsche Industriegüterkultur. Tatsächlich erzielen börsennotierte europäische Unternehmen im Durchschnitt rund 70 Prozent ihrer Umsätze auf anderen Kontinenten.
Sicher, mit Technologie besetzt Amerika unangefochten den zukunftsträchtigsten Wirtschaftssektor. Da kommt Europa nicht heran. Doch liegt bei uns der Schwerpunkt auf substanzstarken Value-Aktien mit ertragreichen Geschäftsmodellen und stabilen Cashflows.
Konkret sind Industriewerte u.a. aus den Bereichen Elektrotechnik und Transport wegen der absehbaren weltkonjunkturellen Erholung attraktiv. Banken profitieren von einer gesteigerten Rentabilität und Aktienrückkäufen. Aber auch im Sektor Gesundheit finden sich Perlen mit stabil hohen Margen, die teilweise deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Gleichzeitig können sie solide Bilanzen mit geringem Verschuldungsgrad vorweisen. Dabei profitieren sie von Wachstumsperspektiven im Biotechnologiesektor sowie von Innovationen, Fusionen und Übernahmen.
Noch liegen aufgrund der schlechten Wirtschaftsnachrichten die Bewertungsabschläge der Eurozone und vor allem deutscher Aktien zur US-Konkurrenz mit rund 40 bzw. 45 Prozent auf bzw. in der Nähe ihrer Rekordstände.
Das gleiche Bild zeigt sich bei den durchschnittlichen Gewinnrenditen in Europa und Deutschland, die jeweils abzüglich Staatsanleiherenditen weit über denen der USA liegen. Insgesamt spricht dies für weitere Kurschancen europäischer Aktien und Nachholpotenzial zu US-Titeln, nicht zuletzt zur Risikodiversifizierung gegenüber High Tech-Titeln, die grundsätzlich weiter attraktiv sind, aber realistischer betrachtet werden.
Nicht zuletzt profitieren sowohl europäische als auch US-Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe von der Zinssenkungsfantasie dies- und jenseits des Atlantiks, da sie wesentlich finanzierungsabhängiger sind als großkapitalisierte Blue Chips.
An den Börsen können europäische Titel durchaus mit der US-Konkurrenz mithalten, zumal diese aus Sicht eines Euro-Investors durch die jüngste Aufwertung der Gemeinschaftswährung Gegenwind erfahren.
Eine bekannte Börsenweisheit rät Anlegern, im Mai Aktien zu verkaufen und im September - quasi pünktlich zur Herbst-Rallye - wieder an die Börsen zurückzukehren. Zwar hat diese Regel in der heutigen Zeit an Bedeutung verloren. Doch stehen die Chancen für einen goldenen Aktien-Herbst gut.
Viele große Investorengruppen haben sich nach dem „Black Monday“ Anfang August an die Börsen zurück gewagt und für eine V-förmiger Erholung gesorgt. Die allgemeinen Risikofaktoren - Konjunktur, Geopolitik, US-Wahl - sind bekannt und verunsichern weniger. Dass der Ausblick des größten US-Chip-Entwicklers trotzt „Wow“-Faktor die haushohen Erwartungen nicht wie zuletzt übertrifft, sorgt lediglich für ein Schlagloch auf dem gut geteerten US-Aktien-Highway.
Sollten sich die Zinserwartungen jedoch als zu euphorisch entpuppen, ist erneut mit höherer Volatilität zu rechnen.
Grundsätzlich macht sich aber die verblassende Zinsangst im Volumen der Wertpapierkredite an der New York Stock Exchange bemerkbar, das weiter ansteigt und zur Aktienstabilisierung beiträgt.
Unter Anleger macht sich FOMO („fear of missing out“) breit. Aus Angst, der Rallye hinterherzulaufen, geben sie ihre defensive Haltung auf. Dabei fahren sie ihre Absicherungen an den Terminmärkten gegen fallende Kurse herunter. Erneute Rücksetzer würden die optimistischen Anleger auf dem falschen Fuß erwischen und könnten so ruckartig für Kursrücksetzer sorgen. Dieses „Luftloch“ würde jedoch - wie in letzter Zeit üblich - schnell bereinigt.
Als Kontraindikator dient der signifikante Überhang von Optimisten unter Kleinanlegern am US-Aktienmarkt, der zur Vorsicht vor zwischenzeitlichen Gegenbewegungen mahnt.
Setzt der DAX seine Aufwärtsbewegung fort, trifft er bei 18.893, 19.000 sowie 19.125 Punkten auf Widerstände. Bei einer Korrektur liegen Unterstützungen bei 18.856, 18.779, 18.680 und 18.662 Punkten.