Die seit Jahresbeginn wieder beschleunigten Inflationsraten haben die US-Notenbank offensichtlich veranlasst, beim Kampf um Preisstabilität nicht nachzulassen. Auch die EZB kann aufgrund einer hartnäckigen Kerninflation, die auch Zweitrundeneffekte berücksichtigt, ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen. Diesem Ansinnen wirken jedoch die real existierenden Probleme der Konjunktur und Überschuldung entgegen, die eine klassisch restriktive Geldpolitik wie in den 80er Jahren nicht mehr zulassen.
Fed-Chef Powell hat auf seiner halbjährlichen Anhörung vor dem Bankenausschuss des US-Senats deutlich falkenhaftere Töne angeschlagen. Der - wenn auch nur leichte - Anstieg der US-Inflation zu Jahresbeginn zeigt, dass der Prozess der Desinflation kein Spaziergang im Park wird, sondern eher ein Lauf durch schwieriges Terrain ist.
Da die Fed vor allem dem Arbeitsmarkt eine hohe Bedeutung als Inflationsindikator beimisst, sind ihr seine Steherqualitäten ein Dorn im Auge. Noch immer befinden sich die Stellenausschreibungen auf hohem Niveau, wenngleich sie ihren Höhepunkt überschritten haben. Und die Anzahl der Arbeitslosen bewegt sich weiter auf Minimal-Niveau.
Daher betonte Fed-Chef Powell sogar die Bereitschaft, das zuletzt auf 0,25 Prozentpunkte gedrosselte Zinserhöhungstempo wieder zu erhöhen. Eine endgültige Entscheidung sei zwar noch nicht getroffen. Man agiere datenabhängig und entscheide auf jedem Treffen der Fed neu. Insofern richtet sich der Fokus auf die zukünftigen Arbeitsmarkt- und Inflationsberichte, die nach „Ausrutschern“ im Januar endlich einen eindeutigen Beruhigungstrend anzeigen sollen.
Grundsätzlich deutet Powell an, dass der Zinsgipfel höher ausfallen dürfte als die bislang von der Fed ins Auge gefassten 5,25 Prozent. Aktuell preisen die Finanzmärkte den Zinsgipfel bei rund 5,5 Prozent ein und damit 25 Basispunkte höher als vorher. Damit sind im Jahresverlauf weitere Zinsanhebungen um insgesamt 0,75 Prozentpunkte möglich. Anschließend dürften die US-Leitzinsen bis Jahresende 2023 auf diesem Niveau verharren. Für 2024 und 2025 rechnen die Finanzmärkte dann allerdings mit Zinssenkungen um jeweils 1,5 bzw. 1,25 Prozentpunkte.
Dem restriktiveren Kurs der Fed stehen allerdings die Risiken für eine „harte Landung“ der Wirtschaft entgegen. Dabei geht es zunächst um den schmerzhaften Anstieg der Kreditzinsen für Unternehmen und Private. Doch es kommen heftig gesunkene Zinsmargen der Banken hinzu. Die Zinsstrukturkurve ist so invers wie zuletzt 1981 und entschädigt damit immer weniger für Kreditausfallrisiken.
Darauf reagieren die Banken laut einer von der Fed durchgeführten Umfrage mit spürbar verschärften Kreditvergabestandards.
Dies alles führt unbestritten zu Bremseffekte auf eine extrem kreditlastige US-Wirtschaft.
Vor diesem Hintergrund wäre es gefährlich, wenn die Fed ihre restriktive Geldpolitik erst dann beendet, wenn die Inflation deutlich einknickt. Denn die Kombination aus schnellen und wuchtigen Zinsanhebungen bei gleichzeitiger Liquiditätsverknappung (Quantitative Tightening) kommt in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt erst mit Zeitverzug an. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Konjunktur-Kind längst in den Rezessions-Brunnen gefallen.
Längst sind erste Risse im US-Banksektor zu beobachten. Vor allem kleinere und mittelgroße US-Banken mit eher riskanten Kreditbüchern, die sich in den Boom-Zeiten der ultralockeren Geldpolitik in riskanten Finanzierungen im Tech- und Kryptobereich ausgetobt haben, geraten in Bedrängnis.
Bestes Beispiel ist aktuell die SVB Financial Group mit ihrer Tochter Silicon Valley Bank. Dort sorgen befürchtete Kreditabschreibungen für einen reflexartigen Einlagen-Abzug von Kunden. Zur Liquiditätssicherung muss die Silicon Valley Bank Anleihen aus ihren Beständen verkaufen, was auch aufgrund geldpolitisch gestresster Anleihemärkte nur mit herben Verlusten möglich ist.
Das setzt einen Teufelskreis in Gang. Zunächst brechen die Kurse anderer Finanzunternehmen ein, die auch mit ungebremster Kreditvergabe in Verbindung gebracht werden. Tatsächlich ist die Angst groß, dass die Silicon Valley Bank nur die Spitze des Eisbergs ist. Doch findet ebenso weltweit Sippenhaft statt. Auch europäische Banken werden misstrauisch beäugt. Diese Entwicklung erinnert fatal an 2008, als die Schieflage der Lehman-Bank, die definitiv kein big player an Wall Street war, fast den Systemcrash der Finanz-Welt einleitete.
So schlagen zwei Seelen in der Brust der Fed. Sie ist gezwungen, über den Tellerrand der Preisstabilität zu schauen. Die aktuelle Schieflage von SVB zu einem Vertrauensverlust gegenüber dem gesamten Bankensystem auswachsen zu lassen, der schließlich die Realwirtschaft torpediert und eine massive Finanzkrise heraufbeschwört, kann die bedeutendste Notenbank der Welt nicht riskieren. Trotz aller falkenhaften Rhetorik kommt die Fed aus ihrer Rolle des Kümmerers nicht heraus. An der Realität kommt man nicht vorbei.
Während in den USA die Kerninflation zwar langsam, aber einigermaßen stetig rückläufig ist, zeigt der Trend in der Eurozone - zuletzt 5,3 nach 5,2 Prozent - weiterhin keine Trendumkehr. So hat die EZB noch weniger Spielraum für ein Ende ihrer Zinsrestriktionen. Verbal klare Signale hierfür liefert EZB-Chefin Christine Lagarde, die zuletzt besonders falkenhaft bekräftigte, alles zu tun „was nötig ist, um die Inflation auf zwei Prozent zurückzubringen".
Tatsächlich rechnen die Terminmärkte mit weiteren Zinserhöhungen in diesem Jahr um insgesamt 1,5 Prozentpunkte. Nachdem sich die EZB bereits auf eine Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte in der kommenden Woche festgelegt hat, dürfte eine weitere Anhebung gleicher Höhe im Mai folgen. Danach preisen die Märkte eine Drosselung des Zinserhöhungstempos auf 0,25 Prozentpunkte jeweils im Juni und Juli ein mit anschließendem Ende des Zinserhöhungszyklus bei einem finalen Leitzins von dann 4,5 Prozent.
Grundsätzlich sieht sich die EZB jedoch einer gewaltigen Problemfront gegenüber. Europa hat mit Wachstumssorgen, Innovations- und Investitionsstau, internen Abstimmungsproblemen und einem Verlust an internationaler Geltungsmacht zu tun. Erschwerend kommt eine planwirtschaftliche Wirtschaftspolitik hinzu, die glaubt, mit Verboten die Welt retten zu können. Dringend notwendig ist es aber, mit marktwirtschaftlichen Anreizen zu arbeiten, die nicht zuletzt den Wirtschaftsstandort aufwerten. Tatsächlich ist Deutschland bei ausländischen Fachkräften nicht erste Wahl. Zukunft findet für sie eher in den USA statt, zumal sie dort mehr verdienen, weniger Steuern zahlen und eine Wohnung finden.
Vor diesem Hintergrund wird die EZB in die Rolle des Rettungsankers Europas gedrängt. So wird sie als Ausgleich für die restriktive Zinspolitik ihre laxe Haltung in der Liquiditätsfrage fortsetzen. Ohnehin hält sie mit ihrem „Transmission Protection Instrument“ (TPI) ein kraftvolles Werkzeug in der Hinterhand, um drohende Zinsschocks für stark verschuldete Euro-Staaten zu verhindern. Diese geldpolitische Absolution erklärt die im Trend unverdächtigen Risikoaufschläge von Staatsanleihen aus Italien & Co. zu deutschen.
Insgesamt ist der EZB keine Inflationsbekämpfungspolitik möglich, die den Namen verdient.
Immerhin, im nach der Finanzkrise kaputtregulierten europäischen Bankensektor wecken Zinsanhebungen auch des Einlagenzinses - aktuell 2,5 Prozent - wieder Lebensgeister. Das Brot und Butter-Geschäft ist wieder da und die in den vergangenen Jahren eingeführten Gebührenerhöhungen bleiben offensichtlich erhalten. An den Börsen schlägt sich das in einer klaren Outperformance des Bankensektors der Eurozone gegenüber dem Gesamtmarkt nieder.
Chinas Wirtschafts-Comeback nimmt angesichts abklingender Corona-Infektionen zwar Gestalt an. Flankiert von zuversichtlichen Dienstleistern zeigt sich die Stimmung gemäß offiziellen Einkaufsmanagerindices vor allem in der Industrie so optimistisch wie zuletzt im Frühjahr 2012.
Dennoch fällt das auf dem jährlichen Nationalen Volkskongress der KP selbstverordnete Wachstumsziel für die Wirtschaft mit „um die fünf Prozent“ trotz coronaler Nachholeffekte und verstärkten Kredithilfen für Unternehmen bescheiden aus.
Vor allem der Immobiliensektor bleibt eine Wachstumsbremse. Zudem betreibt die KP keinen wirtschaftlichen Vertrauensaufbau bei internationalen Investoren. Nach dem „Tech-Crackdown“ übt sie jetzt ebenso repressive Kontrolle auf den Finanzsektor aus, die Top-Banker über einen „Banken-Crackdown“ ähnlich „kaltstellt“ wie zuvor z.B. Alibaba-Gründer Jack Ma.
Größter Hemmer für Entwicklung und Wachstum sind jedoch die US-Lieferverbote und -beschränkungen für Halbleiter sowie entsprechende Produktionsanlagen. Und der Technologie-Streit mit China - s. weitere Einschränkungen für Huawei - findet zunehmend auch in Europa statt.
Aufgrund der Bedeutung Chinas bleibt die weltkonjunkturelle Situation also zunächst fragil. Die vom Finanzdatenanbieter Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen zeigen einen Dämpfer über alle Regionen hinweg. Für ein vollumfängliches weltkonjunkturelles Frühlingserwachen ist es noch zu früh. Zumindest werden somit auch aktienschädliche Inflations- und Zinsängste begrenzt.
Eine willkommene Sorgenpause bietet die bevorstehende Dividendensaison. Insgesamt dürften die im DAX gelisteten Unternehmen ihre Ausschüttungssumme kräftig anheben, so dass gut acht Prozent mehr und mit 54,5 Mrd. Euro ein neuer Rekord an Dividenden zur Auszahlung kommt. Damit bietet der DAX eine durchschnittliche Dividendenrendite von 3,6 Prozent. Bei deutschen Einzelaktien lassen sich sogar Dividendenrenditen von bis zu rund acht Prozent erzielen.
Mit 3,4 Prozent und bei einem reinen Dividendenindex mit 3,6 Prozent sind sie in der Eurozone ähnlich hoch wie im DAX. Auch haben dividendenstarke Aktien eine kursstabilisierende Wirkung.
An Wall Street dominieren gemäß Umfrage der American Association of Individual Investors mittlerweile die Pessimisten. Das ist durchaus als Kontraindikator gegen markante Rücksetzer an den US-Börsen zu interpretieren. Bis Klarheit über das Ausmaß weiterer Zinsrestriktionen herrscht, sind Aktien grundsätzlich anfällig für Kursschwankungen.
Jedoch wird die Marktstruktur mit jedem Rücksetzer robuster, da Anleger die Gelegenheit für günstige Zukäufe nutzen. Überhaupt sind insbesondere deutsche Topmanager so optimistisch wie seit Sommer 2022 nicht mehr. Dass entsprechende „Insiderkäufe“ über unterschiedliche Branchen hinweg stattfinden und zuletzt kaum -Verkäufe stattfanden, unterstreicht die insgesamt stabile Stimmung.
Charttechnisch bieten auf dem Weg nach unten die Marken bei 15.395, 15.375, 15.360, 15.330 und 15.270 Punkten Halt. Kommt es zu einer Gegenbewegung nach oben, liegen Widerstände bei 15.480, 15.525, 15.535 und 15.660 Punkten.