Seit Ende Januar stehen die weltweiten Renten- und Aktienmärkte unter der Knute massiver Inflations- und damit Zinserhöhungsangst. Doch sind die Zinsbefürchtungen wirklich stimmig und Aktien folgerichtig nachhaltig angeschlagen? Oder haben wir es eher mit einer emotionalen Paranoia zu tun, die nach einem zweiten Nachdenken über das tatsächlich realistische Zinserhöhungspotenzial erfolgreich zu behandeln ist und die Aktienmärkte wieder stabilisiert? Und jetzt zerren auch noch die handelspolitischen Irrfahrten der Trump-Administration an den Nerven der Exportaktien.
Der neue US-Notenbankchef Jerome Powell hat bei seinem ersten Kongressauftritt jede Festlegung auf seine zukünftige Geldpolitik vermieden. Warum soll er sich auch frühzeitig in eine Ecke drängen lassen, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsverlust herauskommt? Kein (Geld-)Politiker will schon zu Amtsbeginn seinen Handlungsspielraum einschränken. Ebenso wollte er deutlich machen, dass er kein Fed-Chef von Trumps Gnaden ist, der seinem obersten Dienstherrn den Wirtschaftsaufschwung finanziert.
Im Grunde genommen sprach Powell wie schon seine Vorgängerin Janet Yellen von „graduellen“ Zinserhöhungen. So etwas nennt man Kontinuität. Und dennoch wurden alle seine Aussagen zu Arbeitsmarkt, Inflation und Fiskalpolitik einseitig falkenhaft interpretiert. Auch das zeigt, dass die Zinsangst in den USA die Finanzmärkte fest im Griff hat. Alles, was dagegen spricht, wird konsequent herausgefiltert.
Und dabei konnte man bei Powell zwischen den Zeilen durchaus taubenhafte Äußerungen hören. Er betonte, dass das Inflationsziel der Fed „symmetrisch“ sei. D.h., wenn die Inflation in der Vergangenheit unter dem Zielwert von zwei Prozent gelegen hat, kann man umgekehrt auch ein temporäres Überschießen zulassen. Die Fed wird also inflationstoleranter.
Der rückläufige Economic Surprise Index der Citigroup für die USA - er misst positive bzw. negative Abweichungen tatsächlich erschienener Konjunkturdaten von den Vorabschätzungen der Analysten - signalisiert nicht nur eitel Sonnenschein, sondern auch konjunkturelles Enttäuschungspotenzial. Vor diesem Hintergrund sind die geschürten Ängste vor mehr als drei Leitzinserhöhungen in den USA überzogen.
Selbst das zuletzt immer wieder gehörte Argument, dass die amerikanischen Steuersenkungen, Infrastrukturinvestitionen und ebenso ein enger Arbeitsmarkt die Kapazitätsauslastung massiv erhöhen und damit die Inflation antreiben, überzeugt auf den zweiten Blick wenig. Dieser bis in die 80er-Jahre hinein klare Zusammenhang zeigt sich heute nicht mehr. Denn auch amerikanische Unternehmen lassen weltweit produzieren. Zudem stärkt die voranschreitende Digitalisierung die Produktivität und wirkt daher deflationierend.
Daneben wird sich die US-Konjunktur von den zuletzt gestiegenen Kreditzinsen beeindruckt zeigen. Weniger günstige Bauzinsen werden ihren Tribut auf dem Immobilienmarkt fordern.
Angesichts der erneut rückläufigen Inflation in der Eurozone auf 1,2 Prozent - niedrigster Stand seit Dezember 2016 - gibt es für die EZB keinen Grund für geldpolitische Umkehr. U.a. ist die Arbeitslosigkeit in den Euro-Südländern nach wie vor so hoch, dass an inflationstreibenden Lohnkostendruck noch lange nicht zu denken ist. Auch die Kerninflationsrate - ohne Berücksichtigung von Energie- und Nahrungsmitteln - dokumentiert keine Aufwärtsdynamik. Sie ist weit davon entfernt - wie von der EZB gefordert - selbsttragend zu sein. Die EZB kann ihre Hände weiter in zinspolitischer Unschuld waschen.
Allerdings könnte sich im kommenden Sommer wegen im Vorjahr gefallener Ölpreise eine gewisse Beschleunigung der Preissteigerungsrate einstellen. Doch da sich ab September 2017 deutliche Preisbefestigungen zeigten, wächst sich zum Jahresende hin der Preisschub im Vorjahresvergleich - unter der realistischen Annahme nicht weiter steigender Energiepreise - aus. Insofern wird die EZB auf diesen vorübergehenden Preiserhöhungseffekt nicht reagieren.
Insgesamt bleibt in Amerika und Europa das Inflationsumfeld verhalten. Eine diesbezügliche Zinserhöhungsangst, die Aktienmärkten nachhaltig zusetzen würde, ist nicht gerechtfertigt.
Das bedeutet, dass die Zinsarmut noch für lange Zeit erhalten bleibt. Dagegen schlagen Dividenden - auch wenn es mittlerweile langweilig klingt - Zinsen klar. Der DAX wartet mit knapp drei, der Euro Stoxx 50 mit weit über drei und einige Branchen sowie ein reiner Euro-Dividendenindex mit knapp fünf Prozent Dividendenrendite auf.
24 der im deutschen Leitindex gelisteten Unternehmen werden ihre Ausschüttungssumme erhöhen. Insgesamt werden damit ca. 14 Prozent mehr und mit 36,1 Mrd. Euro ein neuer Rekord an Dividenden ausgeschüttet. Bei deutschen Einzelaktien lassen sich sogar Dividendenrenditen von bis zu sechs Prozent erzielen. Ausschüttungsstarke Aktien bieten auch ein ordentliches Risikopolster gegen Kursschwankungen.
In den USA dürften sich die Aktienrückkaufprogramme wie bereits in der Vergangenheit als Aktienstütze erweisen. US-Unternehmen finanzieren mit immer noch günstigen Zinsen Aktienrückkäufe, um sich von der Dividendenzahlung freizukaufen.
Ohnehin ist der positive Aktien-Fundamentalismus intakt. Das insgesamt stabile Konjunkturumfeld lässt weiterhin Gewinnsteigerungen bei Unternehmen erwarten.
Und nicht zuletzt hat sich die lange überschwängliche Stimmung am US-Aktienmarkt als Kontraindikator für weitere Kurskorrekturen abgebaut. Der Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt abzüglich des Anteils der Pessimisten hat sich in neutralem Terrain eingependelt. Der Überdruck im Aktienkessel hat nachgelassen.
Der Aktien-Frieden wird momentan jedoch durch die politische Großwetterlage gestört. Deutschland mag demnächst wieder eine ordentliche Regierung haben. Doch diese GroKo 3.0 unter Angela Merkel entfacht mit Blick auf den Koalitionsvertrag keine wirtschaftlichen Jubelstürme. Für deutsche Aktienunternehmen ist diese Entwicklung zwar weniger gravierend, denn sie können ja „auswandern“. Für die zukünftigen deutschen Standortqualitäten und den Arbeitsmarkt sind sie jedoch ein herber Rückschlag.
Die italienische Nationalwahl wird vermutlich keine klaren Mehrheitsverhältnisse schaffen. Es wird also zu bunten Regierungsbündnissen kommen, die die Finanzmärkte vorübergehend irritieren können. Doch steht ein Euro-Austritt Italiens nicht mehr zur Debatte, so dass eine neuerliche Aktien schädliche systemische Euro-Krise nicht zu befürchten ist. Allerdings wird die neue römische Regierung im Schulterschluss mit Frankreich eine europäische Schuldenunion anstreben und dem europäischen Wirtschaftsstandort weiteres Potenzial rauben.
Besonders bedenklich sind die Strafzölle, die Amerika auf Stahl und Aluminiumimporte verhängen will. Diese sind den politischen Interessen der Trump-Administration geschuldet. Man schielt bereits auf die Kongresswahlen im November. Leider wird die EU schon aus Gründen der eigenen Gesichtswahrung mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren müssen. Von einem gegenseitigen Hochschaukeln würde aber keine Seite profitieren. Die global hoch effizienten Lieferketten würden auch zulasten amerikanischer Produzenten gestört. Im Extremfall könnte ein abnehmendes Weltwirtschaftswachstum mit weniger Beschäftigung die Folge sein. Tatsächlich schneidet sich Trump in das eigene Wirtschafts-Fleisch, weil z.B. in Amerika mehr Stahl- und Aluminiumverarbeiter als -produzenten zuhause sind.
Von Handelskriegen ist kaum ein Land so negativ betroffen wie das exportlastige Deutschland. Deutschland hängt an der Weltwirtschaft wie ein Insekt am Fliegenfänger. Die bereits eingesetzte Underperformance des deutschen Aktienmarkts im Vergleich zu denen anderer europäischer Länder würde sich fortsetzen. Es ist zu hoffen, dass das freihandelspolitische Hirn gegenüber der rein polit-taktischen Hirnlosigkeit die Oberhand behält.
Charttechnisch liegen im DAX auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 12.489 und 12.722 Punkten. Werden diese nachhaltig überschritten, liegen weitere Hürden schließlich bei 12.951 und 13.063. Darüber liegt die nächste Barriere bei 13.152. Kommt es zu weiteren Gewinnmitnahmen, liegt eine erste Unterstützung an der Marke bei 12.067. Wird diese unterschritten, ist mit Kursverlusten bis zur Unterstützung bei 11.930 Punkten zu rechnen.
Auf ihrer Sitzung wird die Bank of Japan die Fortsetzung ihrer beispiellos lockeren Geldpolitik bekanntgeben. In China zeichnen der vom Finanznachrichtendienst Caixin veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor sowie die Im- und Exportdaten ein stabiles Konjunkturbild.
In den USA verdeutlichen der ISM Index für das Dienstleistungsgewerbe gemeinsam mit schwächeren Industrieaufträgen eine nicht reibungslose Lage der Industrie. Zwar fallen die quantitativen Daten vom US-Arbeitsmarkt erneut freundlich aus, qualitativ weist ein wieder schwächerer Lohndruck aber nicht auf Inflationsdruck hin. Den Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) werden Anleger auf Hinweise zur zukünftigen Zinspolitik abklopfen.
In Deutschland signalisieren die „harten Konjunkturfakten“ aus Industrieaufträgen, -produktion und Exportzahlen einen soliden konjunkturellen Jahresstart.
Auf ihrer Sitzung dürfte sich die EZB noch nicht zu einem Ende ihrer Anleiheaufkäufe bekennen.