Die EZB hebt ihre Leitzinsen zum ersten Mal nach 11 Jahren an. Doch ist mit Blick auf die Energiekrise mit drohenden schweren Konjunkturschäden, Überschuldungs- und politischen Risiken im Süden der Eurozone nicht von einem Beginn leidenschaftlich steigender Zinsen auszugehen. Und schon haben die „Währungshüter“ bereits das nächste Rettungsinstrument aus der Taufe gehoben, um ihre grundsätzlich offensive Geldpolitik beibehalten zu können.
Anstatt der von ihr zuvor signalisierten Leitzinserhöhung um 0,25 Prozent, hebt die EZB ihre Zinsen nun um 50 Basispunkte auf 0,5 Prozent an. Nachdem sie die Inflationsbekämpfung zu lange hat schleifen lassen, will die EZB vor der Sommerpause wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen.
Dabei geht es ihr nicht zuletzt darum, den bislang abwertenden Euro zu kräftigen und so der „importierten“ Inflation von z.B. Rohstoffen, die auf US-Dollar lauten, entgegenzutreten.
Auch das Experiment negativer Einlagenzinsen - nun bei null Prozent - ist beendet. Mit der Abschaffung des Strafzinses auf bei der EZB geparktes Kapital entlastet die EZB vor allem die europäischen Banken, die angesichts der Konjunkturrisiken ohnehin bereits auf anfällige Kreditbestände blicken.
Aufgrund der sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten werden Anhebungen um 0,5 Prozent nicht der neue Normalzustand bei der EZB werden. Die drohende Energiekrise mit großem Wohlstandsverlustpotenzial, die Regierungskrise in Italien sowie die unsichere Null-Covid-Strategie in China will die EZB mit markanten Zinssteigerungen nicht noch verstärken. Insofern ist im September eine Drosselung des Zinserhöhungstempos auf 0,25 Prozent zu erwarten. Doch verkennt sie, dass steigende Inflationsraten über Kaufkraft- und Margenverlust ebenso konjunkturschädlich sind.
Immerhin nehmen die Rohstoffmärkte der EZB einen kleinen Teil der restriktiven Arbeit ab. Zwar erleben Öl und Gas weiterhin eine „Sonderkonjunktur“. Markantere Ölrückgänge wird die OPEC+ förderseitig kompensieren. Ihr Trauma von an den Terminmärkten negativen Ölpreisen wirkt nach. Und bei Gas hat der russische Staatspräsident die Hand am Preishebel, was weitere Inflationsrisiken schürt. Dennoch schreitet angesichts von u.a. Konjunkturverlangsamungen die Preisentspannung im Rohstoffsektor ansonsten voran, was den relativen Preisdruck ab Herbst hemmt.
Insofern dürfte die EZB auch im Oktober und Dezember die Zinsen nur um jeweils 0,25 Prozent anheben. Aus heutiger Sicht dürfte der Leitzins zum Jahresende bei 1,25 Prozent liegen. Eine klare Inflationsbekämpfungspolitik bleibt aus, denn den Vorsprung der Inflation holt die EZB nicht annähernd ein. Der reale Leitzins bleibt weiter dramatisch negativ. Die Zeche der Geldpolitik zahlen die Zinssparer.
Von einer Fed-ähnlichen, preisstabilisierenden Zinspolitik „mit Biss“ ist die EZB meilenweit entfernt. Tatsächlich geht es der EZB einzig und allein um die Stabilität der Eurozone, konkret die Verhinderung einer neuen Staatsschuldenkrise, die leicht in eine Euro-Krise 2.0 münden kann.
Dazu passen die Verteidigungslinien gegen eine Ausweitung der Risikoaufschläge von Staatsanleihen der Euro-Südzone zu deutschen. Bei der ersten werden im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) fällig werdende Staatsanleihen wie bisher wieder flexibel angelegt, wobei stark überschuldete Länder bevorzugt werden. Das Gesamtvolumen ist jedoch auf schätzungsweise 1,7 Bill. Euro begrenzt.
Um einen potenziellen Zinsschock für stark verschuldete Euro-Staaten zu verhindern, führt sie als zweite Verteidigungslinie ihr neues, in puncto Aufkaufvolumen unbegrenztes De-Fragmentierungs-Instrument „Transmission Protection Instrument“ (TPI) ein. Um jeder finanzpolitischen Misere in der Eurozone vorzubeugen, wird sich die EZB nicht nur um den italienischen, sondern um alle Schulden-Kranken kümmern. Wie bei PEPP sollen die Risikoaufschläge von Staatsanleihen von Euro-Süd zu Euro-Nord bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten. Den Anleihemärkten wird unmissverständlich signalisiert, dass Spekulationen gegen einzelne Schuldenländer nicht toleriert werden.
Die EZB wird immer mehr zu einer politischen Notenbank, die die von den Einzelstaaten verursachten Krisen lösen soll. Ihre frühere Aufgabe als Korrektiv des über die Stränge schlagenden Staates hat sie verloren.
Insgesamt bleiben die renditesteigernden Folgen von Leitzinserhöhungen auf Staatsanleihen begrenzt.
Konkrete Hinweise über den genauen Umfang des Aufkaufprogramms und seine Umsetzung verschweigt die EZB bislang. Sie will sich größtmögliche Flexibilität einräumen.
Zwar will die EZB den Einsatz ihrer neuen Aufkäufe an die Einhaltung von Schuldenregeln knüpfen. Doch zeigt das bisherige geldpolitische Tun, dass Regeln dafür da sind, gebrochen zu werden. Leider ist zu vermuten, dass europäische und nationale Gerichte ihre bisherige Praxis der antiautoritären Duldung von Regelverletzungen weiter praktizieren.
Grundsätzlich gilt: Würden die Euro-Staaten ihre wirtschaftlichen Hausaufgaben erledigen, was ebenso die Erfüllung der Verschuldungskriterien erleichtert, wäre Krisenintervention seitens der EZB weit weniger nötig. Doch gerade ihre ziemlich bedingungslosen Rettungsmaßnahmen verhindern Reformpolitik und Standortverbesserungen, was zu weiteren Konjunkturschwächen und insofern zu noch mehr geldpolitischer Alimentierung führt.
Unter diesen Umständen ist eine spürbare Euro-Aufwertung nicht zu erwarten, zumal die langfristige Zukunftsfähigkeit Europas diskutiert wird.
Trotz der Inflation an Krisen tut sich Gold aktuell schwer und fiel zuletzt auf den tiefsten Stand seit Frühjahr 2020. Gegenwind kommt von der vermeintlichen Zinserhöhungsangst, was dem Killerargument, dass physisches Gold keine Zinsen zahlt, wieder Bedeutung verleiht. Tatsächlich haben Anleihen mit Negativzinsen - maßgeblich für die Gold-Rallye zwischen 2018 und 2021 - heute Seltenheitswert.
Ein weiteres Handicap für Gold ist der starke US-Dollars. Gold bewegt sich aus Absicherungsgründen gegensätzlich zum Greenback, der handelsgewichtet auf das höchste Niveau seit fast 20 Jahren gestiegen ist. Euro-Anlegern kommt aber unsere Weichwährung zugute, da Gold in Dollar notiert.
Ebenso nach Inflation massiv negative Realzinsen können Gold derzeit nicht heben. Aber selbst wenn der Realverlust über nachgebende Inflationsraten abnimmt, sorgen vergleichsweise zins-zahme Notenbanken dennoch dafür, dass die nach-inflationäre Renditemisere ein klares Argument für Gold ist.
Und in einer geopolitisch verunsicherten Welt mit Rezessionspotenzial, in der Stabilitätskriterien mit Füßen getreten werden, bleibt Gold aufgrund seiner Werterhaltungsfunktion ein bedeutender Vermögensbestandteil. Es geht um langfristigen sachkapitalistischen Vermögenserhalt, nicht um kurzfristige Rendite. Übrigens, was kann an Gold falsch sein, wenn Notenbanken ihre Bestände seit 2009 kontinuierlich aufstocken? Vor allem Länder wie z.B. China und Russland wollen sich vom amerikanischen „Klassenfeind“ und seinen Staatspapieren unabhängig machen.
An den Aktienbörsen hat sich in puncto negativer Nachrichten mittlerweile ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt. Dabei sorgen schon kurzlebige Live-Ticker-Meldungen für Aufhellungen, wie z.B., dass Moskau weiter Gas nach Europa durch die Pipeline Nord Stream 1 liefert.
Zwar beträgt die Liefermenge zuletzt wieder rund 40 Prozent und liegt damit höher als zunächst erwartet. Dennoch wird Russland versuchen, die von Berlin selbst verschuldete Gas-Abhängigkeit weiter gnadenlos auszunutzen, um über Deutschland als das bedeutendste Wirtschaftsland ganz Europa zu destabilisieren. Eine Gaskrise als Damoklesschwert auch für die europäischen Aktienmärkte ist nicht vom Tisch.
Laut monatlicher Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern haben die Anleger ihr Engagement in Aktien auf ein Niveau gesenkt, das zuletzt im Oktober 2008 zu beobachten war. Die Kassenhaltung ist auf den höchsten Stand seit 2001 gestiegen. Das kommt einer „Kapitulation“ gleich, die einer Bodenbildung Vorschub leistet.
Dafür spricht auch der hohe Anteil der Pessimisten am US-Aktienmarkt, der nach langer Verweildauer im Bereich von extremem Pessimismus auf eine leichte Beruhigung hindeutet.
Anleger scheinen den Sommerurlaub mit seinen Entwicklungen abzuwarten, bevor sie größere Aktienanlagen tätigen wollen. Doch sollten die teilweise sehr günstigen Aktienkurse in den konjunkturreagiblen Branchen, aber auch im High-Tech-Bereich für erste, allmähliche Zukäufe genutzt werden. Auch wenn es ein Kalauer ist, aber an der Börse wird zum Einstieg nicht geklingelt.
Charttechnisch liegen auf dem Weg nach oben die ersten Widerstände bei 13.400 und 13.450 Punkten. Darüber befinden sich weitere Hürden bei 13.539, 13.565 sowie 13.600. Nimmt der DAX seine Korrektur wieder auf, liegen die nächsten Unterstützungen bei 13.129 und 13.062. Darunter folgen weitere Haltelinien bei 13.019, 12.917, 12.902 und 12.828 Punkten.