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Der Markt
unter der Lupe

 
12.04.2019

Die EZB bleibt ein Freund der Aktionäre und der Feind der Zinssparer

Auf ihrer letzten Sitzung hat die EZB ihren unbedingten Willen zu weiterer geldpolitischer Lockerheit unterstrichen. Als passende Begründung müssen zunächst das lange und konjunkturverunsichernde Warten auf einen Handels-Deal zwischen den USA und China sowie der sich abzeichnende transatlantische Handelskonflikt herhalten. Hinter vorgehaltener Hand spielen aber auch Euro-Skeptizismus und Schuldenprobleme wie in Italien große Rollen, die mit viel und billigem Geld sozialverträglich gemildert werden sollen.

Konjunkturschwäche + Transatlantischer Handelskrieg = Ultralockere Geldpolitik

Die schwache Konjunkturentwicklung in der Eurozone bringt der von der Citigroup veröffentlichte Economic Surprise Index - er misst die positiven und negative Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von den Vorab-Schätzungen der Analysten - gut zum Ausdruck. Während Italien nahezu jegliche Wachstumshoffnung für 2019 aufgegeben hat, kämpft Deutschland mit der Schwäche seiner (Export-)Industrie. Laut EZB erhalten die Abwärtsrisiken durch den sich verbal zuspitzenden Handelskonflikt zwischen Amerika und der EU weiter Nahrung.

Auf die von US-Präsident Trump zuletzt angedrohten Strafzölle auf EU-Waren im Volumen von 11 Mrd. US-Dollar als „Kompensation für den Schaden, der den USA jährlich durch EU-Subventionen für den europäischen Flugzeugbauer Airbus“ entsteht, hat die EU-Kommission bereits Vergeltungszölle in noch unbekanntem Umfang angekündigt. Spätestens Ende Mai wird Trump den handelspolitischen Druck über die Androhung von Autozöllen erhöhen. Dabei wird Trump die aktuelle politische und konjunkturelle Schwäche Europas gnadenlos ausnutzen, um ein für Amerika möglichst vorteilhaftes Handelsabkommen zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund bleiben Leitzinserhöhungen in der Eurozone reine Utopie. Wer die Zinsen nicht in guten Konjunktur-Zeiten erhöht, erhöht sie auch nicht in schlechten.

NLF - Null Leitzins Forever?

Der seit Sommer 2018 anhaltende Abwärtstrend der Inflationserwartungen in Europa geht in die Verlängerung. Da die EZB für die nächsten Monate weiter sinkende Preissteigerungen erwartet, betont sie sehr zweifelsfrei, alle verfügbaren auch unkonventionellen Instrumente einzusetzen, um Deflationstendenzen zu bekämpfen.

Grafik der Woche

Zunächst sollen die Leitzinsen gemäß EZB-Kommuniqué vorerst „mindestens bis Ende 2019 und in jedem Fall so lange wie erforderlich auf ihrem aktuellen Niveau“ bleiben. Da Rezessionsängste vor allem Kopfsache sind, will Draghi keine mental schlafenden Hunde mit noch deutlicheren Lockerungsbekundungen wecken. Dennoch, auf den Vorschlag des finnischen Zentralbankpräsidenten Olli Rehn angesprochen, die EZB solle zu einer Strategie der temporären Preisniveausteuerung übergehen, zeigte sich Draghi bemerkenswert offen. Demnach würde die EZB ihren Leitzins erst dann anheben, wenn die Inflation über einen längeren Zeitraum über zwei Prozent liegt, um so die vorherig ebenso lange Phase zu niedriger Inflation auszugleichen. Bei Anwendung dieser Strategie entledigte sich die EZB ihres bisherigen regelbasierten Zwangs, Leitzinsen bereits bei Annäherung an eine Inflation von zwei Prozent erhöhen zu müssen. Es wäre ein Gummiparagraph, der den Zeitpunkt der ersten Erhöhung zunächst mühelos um fünf Jahre verzögern würde. Doch nachdem „Zinserhöhung“ bereits während der Amtszeit Mario Draghis ein Fremdwort gewesen sein wird, dürfte auch sein Nachfolger ab November keinen restriktiven Handlungsdruck verspüren. Denn dieser wird kein Deutscher sein, um „Konjunkturrisiken wegen Bundesbank-ähnlicher Stabilitätspolitik“ unbedingt ausschließen zu können. Nullzinsen dürften zum Evergreen werden.

Erhöhungen des Einlagenzinses wirken auf Banken wie Leitzinssenkungen

Im Gegenzug für eine Zustimmung der stabilitätsorientierten Euro-Staaten wie Deutschland und den Niederlanden zu einer „ewig“ anhaltenden Nullleitzins-Politik will die EZB den negativen Einlagenzins überdenken. Immerhin entfällt auf deren Banken ein Großteil der bei der EZB gelagerten Überschussliquidität.

Gemäß einem zukünftigen Staffelsystem müssten Banken dann nur noch auf einen Teil der bei der EZB geparkten überschüssigen Liquidität Strafzinsen zahlen. Tatsächlich kostet der Strafzins allein die großen europäischen Banken jährlich 7,5 Mrd. Euro, was auch Wettbewerbsnachteile zur US-Konkurrenz bedeutet. Denn amerikanische Institute erhalten für ihre bei der Fed geparkte Liquidität jährlich etwa 40 Mrd. US-Dollar Zinsen.

Die EZB ersäuft weiter alle (sozial-)politischen Probleme in Liquidität

Ebenso bleibt die Liquiditätspolitik der EZB expansiv. Zunächst beabsichtigt sie weiter „die vollständige Reinvestition fällig werdender Anleihen aus ihrem Kaufprogramm über einen längeren Zeitraum auch nach dem Datum, an dem sie die Leitzinsen erhöht und in jedem Fall so lange wie erforderlich“. Heute kann niemand mehr ausschließen, dass „längerer Zeitraum“ ähnlich wie bei Japans Notenbank ewig heißt. Auf der nächsten EZB-Sitzung am 6. Juni will Draghi daneben das Thema quartalsweiser Langfristkredite präzisieren. Es wird bereits über negative Kreditzinsen als Anreiz zur Mittelaufnahme spekuliert. Banken könnte so auch über Zinsgeschenke die zukünftige Neuverschuldung der Euro-Staaten decken. Konjunktur- und Sozialprogramme auch zur Milderung von Euro-Skeptizismus sind angesichts einer dann insgesamt noch üppigeren Mittelausstattung weiter reibungslos darstellbar. Damit bleibt die EZB auch indirekt das Sozialamt, das für den Zusammenhalt der Eurozone zuständig ist.

Marktstimmung - Aktienmärkte im II. Quartal 2019

Grundsätzlich präsentieren sich die Aussichten für Aktien im II. Quartal 2019 durchaus freundlich.

Zunächst wird die internationale Bruderschaft der lockeren Geldpolitik alles dafür tun, um Schaden von der Weltwirtschaft abzuwenden. So unterstreicht das Protokoll ihrer letzten Sitzung die taubenhafte Neigung der Fed. Damit scheidet Zinssparen als ernstzunehmende Anlageform auch morgen und übermorgen aus. Die intakte Liquiditätshausse federt ebenso die noch mangelnden Fundamentalqualitäten an den Aktienmärkten ab, die auch in diesem Jahr mit hohen Dividendenrenditen aufwarten. Die Angst, wonach die Ausschüttungen zukünftig geringer ausfallen, ist unbegründet. Die Unternehmen fahren einen stabilen Dividendenkurs, zumal Dividenden heute angesichts ausbleibender Zinsen eine Ersatzbefriedigung für große Kapitalsammelstellen darstellen.

Der EU-Sondergipfel hat bewiesen, dass die Briten und die EU einen No Deal-Brexit unter allen Umständen vermeiden werden. Mit einem typisch europäischen Polit-Kompromiss - „Brextension“ bis Halloween am 31. Oktober - spielt man wie üblich in schwierigen Zeiten, siehe Griechenland-Krise, auf Zeit. Gibt es zwischenzeitlich doch eine Einigung im britischen Unterhaus, kann das Land zum Ersten des Folgemonats aus der EU austreten. Eine Teilnahme an der Europawahl bliebe Großbritannien erspart, wenn der Brexit bis zum 22. Mai erfolgt.  

Mit einer geplanten Überprüfung der Austritts-Fortschritte nach der Europawahl im Juni öffnet Brüssel ohnehin die Hintertür für weitere Fristverlängerungen. Abseits öffentlich zur Schau gestellter Härte verbirgt sich dahinter der Wunsch der EU, dass die Insel doch noch in der EU bleibt und diese so geostrategisch stärkt, indem im weiteren Zeitablauf entweder die britische Regierung das Rücktrittsgesuch zurücknimmt oder ein zweites Referendum für Bremain votiert. Da in jedem Fall ein für beide Seiten wirtschaftsschädliches No Deal-Abkommen vom Tisch ist, hat der Brexit seinen Schrecken für die Aktienmärkte verloren.

Statt Hinhalte-Taktik ist der tatsächliche Abschluss eines Handels-Deals zwischen den USA und China eine Bringschuld, um Weltkonjunktur und Aktienmärkte nachhaltig zu stimulieren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) quittiert die wirtschaftlichen Reibungsverluste des Handelsstreits in seinem World Economic Outlook bereits mit der Senkung seiner Wachstumsprojektionen auf den tiefsten Stand seit der Finanzkrise 2009: 3,3 statt 3,5 Prozent für die Weltwirtschaft 2019.

Der kritischen, teilweise auch tendenziösen Nachrichtenlage zum Trotz festigt sich die weltwirtschaftliche Stimmung unter großen Anlegern. So haben sich die vom Finanzdatenanbieter Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate klar aufgehellt. Größter Lichtblick ist Asien, insbesondere China. Von den dortigen Wirtschaftsstimulierungen profitiert nicht nur China selbst, sondern über Zweitrundeneffekte auch Japan und die Exportländer Europas, in denen sich die Konjunkturerwartungen im April zumindest weniger negativ zeigen. In den verbesserten Stimmungswerten kommt auch die Annahme eines früher oder später zustande kommenden Handels-Deals zwischen Washington und Peking zum Ausdruck.

Zwar werden im Rahmen der US-Berichtsaison für das I. Quartal 2019 noch Gewinnrückgänge erwartet. Dabei kann das starke Gewinnwachstum der Finanzbranche die Ertragsrückgänge in der Auto-, Rohstoff- und Technologiebranche nicht kompensieren. Diese Vergangenheitsbewältigung tritt jedoch hinter die Ausblicke der Unternehmen zurück. In der Tat läuft laut Zacks Investment Research die Wachstumsdelle der Unternehmenserträge aus und nimmt das Gewinnmomentum im weiteren Jahresverlauf Fahrt auf.

Im Übrigen werden deutsche und europäische Unternehmen mit verstärkter Produktion und Dienstleistungen in den USA möglichen Verwerfungen im transatlantischen Handelsverkehr entgegentreten.

Aktiensentiment - Konsolidierungspotenzial, aber…

Auf Sentimentebene hat sich die Neutralität der Vorwochen aufgelöst. Institutionelle Anleger haben sich für weitere Kursanstiege positioniert, was u.a. in einem starken Anstieg der Investitionsquote von US-Fondsmanagern zum Ausdruck kommt. Die euphorische Stimmung birgt jedoch das Risiko vorübergehender Gewinnmitnahmen, sobald es zu Lösungen vor allem im US-China-Handelskonflikt kommt. So liegt der Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt abzüglich des Anteils der Pessimisten mittlerweile oberhalb der ersten Standardabweichung und signalisiert als Kontraindikator daher kurzfristiges Konsolidierungspotenzial.

Danach jedoch wird die handelspolitische Entspannung eine fundamental freundliche Aktienentwicklung über verbesserte Unternehmenskennzahlen begünstigen.

Charttechnik DAX - Bloß nicht unter 11.800 Punkte fallen

Auf der Oberseite trifft eine Erholung zunächst bei 12.029 Punkten auf einen ersten Widerstand. Kann dieser überschritten werden, sind Kursgewinne bis zu den Barrieren bei 12.121 und 12.403 möglich. Darüber nimmt der Leitindex Kurs auf die Marke bei 12.457. Bei zwischenzeitlichen Gewinnmitnahmen findet der DAX zunächst an den Marken bei 11.864 und 11.823 Unterstützung. Entscheidend ist die Haltelinie bei 11.800. Wird diese wichtige Marke unterschritten, geben die Marken bei 11.721 und 11.624 Punkten Halt.

Der Wochenausblick für die KW 16 - Für Konjunkturentwarnung ist es noch zu früh

In Asien schlagen sich die Reibungsverluste des US-chinesischen Handelskonflikts in vergleichsweise schwächeren BIP-Zahlen für das I. Quartal in China nieder. Maue Zahlen zu Industrieproduktion, Exporten und Inflation dokumentieren eine schwierige Konjunktursituation auch für Japan.

In den USA senden positive Zahlen zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen stabilisierende Signale, die ebenso vom Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) bestätigt werden. Gemäß Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed wachsen die Bäume aber nicht in den Himmel. Schließlich zeugt auch die Seitwärtsbewegung bei Baubeginnen und -genehmigungen von keinem starken US-Immobilienmarkt.

In der Eurozone liegen die schwachen finalen Inflationszahlen weit entfernt vom Inflationsziel der EZB. Immerhin, in Deutschland signalisieren die ZEW Konjunkturerwartungen weiter abnehmenden Pessimismus.