Um keine Zweifel an ihrem Preisstabilitätsauftrag aufkommen zu lassen, hebt die EZB erneut ihre Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte an. Doch jetzt ist der Zinsgipfel erreicht. Die Risiken für die Konjunktur wären ansonsten viel zu groß.
Die EZB hat ihren Leitzins wieder um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent angehoben. Angesichts einer aktuell immer noch hohen Inflation wollte sie noch nicht die weiße Zins-Fahne hissen.
Aber das war es jetzt auch. Die EZB geht davon aus, dass die Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das, wenn es lange genug aufrechterhalten wird, einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert 2,0 leisten wird. Dabei betont EZB-Chefin Lagarde ebenso die deutlichen Verzögerungen, mit denen Zinserhöhungen auf Konjunktur und Inflation einwirken. Bremswirkungen der letzten Straffungen sind also noch unterwegs.
Die EZB weiß also, dass die Zeit für sie bzw. für eine Zinspause spricht. So kann sie freiheraus auf die jeweils konkrete Datenlage verweisen, auf deren Grundlage sie von Sitzung zu Sitzung über die weitere Zinspolitik entscheidet. Die Inflation hat sich innerhalb von 10 Monaten bereits auf 5,3 Prozent halbiert. Und der rasante Rückgang der Produzentenpreise, der mittlerweile sogar Deflationscharakter hat, deutet auch zukünftig auf abebbende Verbraucherpreise hin. Überhaupt ist der fortgesetzte Abwärtstrend der Kerninflation Wasser auf die Mühlen einer von nun an zinspausierenden EZB.
Die Erhöhung der EZB-Inflationsprognosen für 2023 und 2024 (5,6 nach 5,4 Prozent bzw. 3,2 statt 3,0 Prozent) sollte dabei nicht irritieren, da sie hauptsächlich auf höhere Energiepreise zurückzuführen sind. Mit der Senkung ihrer Prognose für 2025 auf 2,1 nach 2,2 Prozent zeigt sie jedoch, dass der Desinflationstrend grundsätzlich intakt ist.
Überhaupt, wenn sie von einer Durchschnitts-Inflation 2023 von 5,6 ausgeht, die für die Monate Januar bis August 6,7 beträgt, rechnet sie offensichtlich noch in diesem Jahr mit weiter sinkenden Preisraten.
Zinserhöhungen und Liquiditätsabschöpfungen wirken über stark steigende Finanzierungskosten - die sog. „geldpolitische Transmission“ - negativ auf die Konjunktur ein. Und diese wirtschaftliche Dämpfung sorgt eben auch für Dynamikverluste bei Preissteigerungen. Tatsächlich verlieren bei Betrachtung der gesenkten Wachstumsprojektionen (2023 0,7 statt 0,9 Prozent; 2024 1,0 statt 1,5 Prozent; 2025 1,5 statt 1,6 Prozent) die Argumente für Zinsrestriktionen noch weiter an Kraft.
Nicht zuletzt drohte bei weiteren Zinserhöhungen zusätzliches Konjunktur-Ungemach: Bei weiteren Inflationsrückgängen rückte dann der lange negative reale Notenbankzins zum Jahresende in positives Terrain vor. Kreditzinsverteuerungen lassen sich nicht mehr weginflationieren. Sie werden immer unattraktiver mit allen negativen Folgen für das Wirtschaftswachstum. Und dann nehmen auch die Schmerzen für die völlig überschuldeten Euro-Länder zu. Dazu gehört mittlerweile auch Deutschland.
Binnen Jahresfrist ist die Industrie in der Eurozone erheblich geschrumpft. Und Dienstleister schlittern jetzt wegen lohnbedingt gestiegenem Kostendruck bei gleichzeitigen Nachfragerückgängen geradewegs hinterher. Bei ihnen ist die Stimmung auf den tiefsten Stand seit der Corona-Pandemie 2021 gefallen. Die Eurozone geht in die Winter-Rezession.
Ebenso zeugt der bereits jetzt enorme Anstieg der Insolvenzen vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen von Rezession. Vor diesem Hintergrund verlieren übertriebene Forderungen nach einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich bei zusätzlichen -steigerungen drastisch an Umsetzungswahrscheinlichkeit.
Im Dilemma zwischen Preisstabilität und Konjunkturstabilisierung wird die EZB keine Zinserhöhung mehr vornehmen, zunächst bis ins nächste Jahr eine Zinspause einlegen und danach den ersten Zinssenkungsschritt durchführen. Diese Einschätzung wird ebenso von einem schwächeren Euro geteilt. Die Finanzmärkte werden diese Perspektive frühzeitig einpreisen und den Wirtschaftsakteuren über wieder sinkende Kreditzinsen unter die Arme greifen.
In den USA verliert die Desinflation aufgrund zuletzt höherer Benzinpreise zwar an Kraft. Doch setzen andere Inflations-Subkomponenten wie Nahrungsmittel, Waren, Dienstleistungen und vor allem die Kerninflation ihren fallenden Trend fort.
Ebenso verliert der amerikanische Arbeitsmarkt an Stärke. Die Lücke zwischen Stellenausschreibungen und der Arbeitslosenanzahl verringert sich zunehmend, was für ein abschwächendes Lohnwachstum spricht und die Lohn-Preis-Spirale bremst.
Gemäß Einschätzung der Terminmärkte ist die US-Notenbank mit ihren Zinsanhebungen durch. Allerdings dürfte wie die EZB ebenso die Fed ihre verbale Zinsdrohkulisse zunächst aufrechterhalten, um Inflationserwartungen künstlich zu begrenzen. Zinssenkungen werden ab Juli 2024 erwartet, könnten aber auch früher erfolgen.
Überhaupt droht kein radikaler Bruch mit der grundsätzlich ultralockeren Geldpolitik der japanischen Notenbank. Mit Blick auf Überschuldung und Überalterung in Japan sind ihr die Hände gebunden. Sie wird also ihre Funktion als einer der wichtigsten Liquiditätsschleudern der Welt weiter ausüben.
Daher bleibt der massive Vorsprung der Gewinnrendite von Aktien vor den Renditen 10-jähriger Staatsanleihen in Japan ungefährdet und dient weiterhin als wichtige Stütze für die Tokioter Börse.
Angesichts allmählicher Entspannungen bei Inflations- und Zinsangst richten Anleger den Blick wieder auf Wachstumswerte. Insbesondere Tech-Aktien aus der zweiten Reihe sind nach ihrer Korrektur seit Ende Juli von zwischenzeitlich rund 20 Prozent günstiger zu haben.
Bis zuletzt zeigte sich die Börsenlaune zwar eher zurückhaltend. Abebbende Inflations- und Zinsangst sorgt bei großen institutionellen Investoren laut Umfrage der Bank of America jedoch für Entspannung.
Dass die Börsen- aber auch High-Tech-Stimmung grundsätzlich stabil ist, zeigt nicht zuletzt die starke Nachfrage nach dem Börsengang des britischen Chip-Designers ARM. Nach dem Horror-Jahr 2022 nimmt das Investoreninteresse nach IPOs wieder zu und unterstreicht insgesamt die größere Risikobereitschaft an den Börsen.
Auch der Anteil der Optimisten abzüglich der Pessimisten am US-Aktienmarkt signalisiert abnehmende Risikoaversion. Von Extremwerten sind wir aber noch weit entfernt, so dass sich das zwischenzeitliche Korrekturpotenzial an den Aktienbörsen in Grenzen hält.
Charttechnisch liegen im DAX die ersten Widerstände bei 15.990, 16.000 und 16.040 Punkten. Darüber liegen weitere Barrieren bei 16.060, 16.125 und 16.140. Bei einer Korrektur wird der DAX durch Haltelinien bei 15.765, 15.660, 15.500 und 15.482 Punkten abgesichert.