Auf den hartnäckigen Preisdruck reagiert die EZB mit einer weiteren Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte und sendet sogar weitere Zinserhöhungssignale. Doch lässt sie sich Hintertürchen offen. Dagegen hat die Fed mit Blick auf nachgebende Inflationsraten, vor allem aber auf immer dunklere Konjunkturwolken sowie einen angeschlagenen Bankensektor ihren Zinserhöhungszyklus beendet.
Erwartungsgemäß hebt die Fed ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 5,25 Prozent an. Zwar schließt sie Erhöhungen weiterhin nicht kategorisch aus. Angesichts einer absolut immer noch hohen Inflation kann sie nicht plötzlich die weiße Zins-Fahne schwenken. In einem der Glaubwürdigkeit geschuldeten Balanceakt zwischen falken- und taubenhafter Rhetorik hat sie aber immerhin Hinweise auf weitere Zinsanhebungen aus ihrem Statement gestrichen. Zudem betont sie die Verzögerungen, mit denen die Zinsstraffung auf Konjunktur und Inflation wirkt.
Übrigens, mit der Aussage, auf der Grundlage jeweils vorliegender Daten von Sitzung zu Sitzung geldpolitische Entscheidungen zu treffen, hat die Fed das Tor für die Wende der Zinswende aufgestoßen. Sie weiß, dass die zukünftigen Inflationsraten fallen und sich die Konjunkturaussichten verschlechtern.
Grundsätzlich verläuft die Desinflation zwar zäh und verringert sich die Kerninflation nur langsam. Doch setzt sich die Preisentspannung weiter fort.
Konjunkturell geht der US-Wirtschaft zunehmend die Puste aus. Der ISM Subindex für Neuaufträge im Verarbeitenden Gewerbe zeigt eine starke Investitionszurückhaltung, was im Vorjahresvergleich erstmals seit Dezember 2020 schrumpfende Industrieauftragseingänge bestätigen.
Und die mittlerweile positiven realen Notenbankzinsen werden die konjunkturellen Reibungsverlust noch verstärken.
Überhaupt ist eine seit 40 Jahren nicht mehr so inverse Zinsstrukturkurve wachstumsfeindlich, da sich Banken aufgrund schwacher Zinsmargen bei ihrer Kreditvergabe zurückhalten. Ohnehin werden sich konjunkturell verschlechternde Kreditportfolios Aufsichtsbehörden sowie Banken veranlassen, bei Krediten strengere Maßstäbe anzulegen.
Tatsächlich ist die von der New York Fed ermittelte Wahrscheinlichkeit für eine harte Landung innerhalb der nächsten 12 Monate zuletzt auf rund 57 Prozent gestiegen. Ein derartiges Niveau hat die letzten beiden Rezessionen 2001/2002 und 2008/2009 treffsicher vorhergesagt. Auch Powell schließt zumindest eine milde Rezession nicht aus.
Das wird sich schließlich auch am noch stabilen US-Arbeitsmarkt niederschlagen, dem von der Fed eine hohe Bedeutung als Inflationsindikator beigemessen wird. Historisch hat eine eingeschränkte Kreditvergabe in der Folge zu steigender Arbeitslosigkeit geführt.
Und wenn sich Konjunktur und Arbeitsmarkt verschlechtern, wird die Fed die punktgenaue Erreichung ihres Inflationsziels weniger ernst nehmen. Ohnehin folgte mit einem Abstand von maximal sechs Monaten nach der letzten Zinserhöhung die erste -senkung. Demnach wäre spätestens im November der Zinsentspannungszyklus eingeleitet. Die Terminmärkte sind sogar noch optimistischer und preisen zwei Senkungen in Höhe von jeweils 25 Basispunkten im Juli und Dezember ein.
Nicht zuletzt muss festgestellt werden, dass der Stress im US-Bankensystem, speziell bei Regionalbanken, nicht beendet ist. Die mittlerweile sehr attraktiven Kurzfristzinsen werden viele Kunden weiter veranlassen, ihre wenig zinsattraktiven Bankeinlagen abzuziehen und sie z.B. in Geldmarktfonds zu parken. Die daraus resultierenden Liquiditätsnöte wird die Fed nicht links liegen lassen können. Ihrer Zinserhöhungspolitik werden von der Realpolitik Zügel angelegt.
Die EZB schwächt ihre Inflationsbekämpfung ab und drosselt ihr Zinserhöhungstempo auf jetzt nur noch 0,25 Prozentpunkte. Insgesamt liegt der Leitzins jetzt bei 3,75 Prozent.
Offenkundig zieht auch die EZB schädliche Nebenwirkungen ihrer bisherigen Straffungspolitik in Betracht. Daher will sie ähnlich wie die Fed zukünftig die jeweils konkrete Datenlage heranziehen, um von Sitzung zu Sitzung über die weitere Zinspolitik zu entscheiden. Dabei sind laut EZB drei Einflussfaktoren maßgeblich: „Der Inflationsausblick im Lichte der eingehenden Wirtschafts- und Finanzdaten, die Dynamik der zugrundeliegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission". Wenn das mal keine Hintertürchen für zukünftig weniger restriktive Geldpolitik sind.
In puncto Inflationsdynamik ist zwar keine zügige Besserung zu beobachten. Da die im Vorjahr ergriffenen Maßnahmen zur Dämpfung der Energiepreise an Bedeutung verlieren, hat die Inflationsrate zuletzt zwar sogar von 6,9 auf 7 Prozent leicht zugenommen. Doch ist insgesamt ein Entspannungstrend erkennbar. So haben die Erzeugerpreise im März im Vorjahresvergleich deutlich nachgegeben. Ermutigend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Kerninflation - wenn auch nur leicht - erstmals seit Anfang 2022 gefallen ist. Und laut EZB wird die für ihre Verhältnisse rasante Zinswende ihre volle Wirkung auf die Inflation erst noch entfalten.
Die geldpolitische Transmission - also wie schnell Zinserhöhungen und Liquiditätsverknappung wirken - zeigt sich bereits in einem spürbar abgeschwächten Kreditwachstum in der Eurozone. Und Banken erwarten laut einer Umfrage der EZB eine weitere Verschärfung der Kreditstandards, was in der Folge das -wachstum zusätzlich bremst.
Trotz Verbesserung der Stimmung bei Dienstleistern ist die EZB tatsächlich über die hartnäckige Moll-Stimmung in der Industrie besorgt. Der Einbruch der Auftragseingänge in der deutschen Industrie im März - mit minus 10,7 Prozent zum Vormonat so ernüchternd wie zu Beginn der Pandemie im April 2020 - ist ein Alarmsignal, das übrigens auch einer ideologisch betriebenen Wirtschaftspolitik zu denken geben sollte.
Das alles verschafft der EZB Beinfreiheit für ein Zinserhöhungsende im Sommer. Konkret ist damit zu rechnen, dass sie ihren Leitzins bis September zweimal um jeweils 0,25 Prozentpunkte anhebt. Final wird er dann bei maximal 4,25 Prozent liegen.
Doch selbst dann wird die EZB den Vorsprung der Inflation immer noch nicht einholen. Im Vergleich zur früheren Bundesbank-Politik haben bei der EZB die strukturelle und die wirtschaftliche Stabilität der Eurozone und damit die Verhinderung einer Eurosklerose Vorrang vor Preisstabilität.
Zwar setzt die EZB ab Juli auf verstärkten Liquiditätsabzug. Offensichtlich ist dies der Ausgleich für das bevorstehende Ende der Zinswende. Konkret will die EZB ab Juli vollständig auf die Wiederanlage fälliger Staatsanleihen aus ihrem konventionellen Anleiheaufkaufprogramm (APP) verzichten. Im Durchschnitt erhöht sich die monatliche Entwässerung von 15 auf 25 Mrd. Euro. Insgesamt handelt es sich jedoch weiterhin um ein „maßvolles und vorhersehbares Tempo“. Ohnehin, die Wiederanlage aus ihrem pandemischen Aufkaufprogramm (PEPP) setzt sie vollständig fort. Und um potenzielle Zinsschocks für stark verschuldete Euro-Staaten zu verhindern, hält sie mit ihrem „Transmission Protection Instrument“ (TPI) ein kraftvolles Werkzeug in der Hinterhand. Süd-Euro-Länder können in der Not weiter auf das inoffizielle Motto der EZB vertrauen: „Patronin voller Güte, uns allezeit behüte.“
Die Konjunktur- hält die Zinsangst in Schach. So signalisiert das seit Ende Februar im Trend fallende Kupfer-Gold-Verhältnis als valides Konjunkturbarometer eine Abschwächung der Wachstumskräfte. Das spricht in den kommenden Monaten für weiter nachlassenden Inflationsdruck, der sich in einer Entspannung an den Zinsmärkten zum Wohle der Aktien niederschlagen wird.
Sicherlich sind die Finanzmärkte vom Showkampf zwischen Republikanern und Demokraten über die Anhebung der US-Schuldengrenze irritiert. Finanzministerin Yellen gießt Öl ins Feuer und sieht die Gefahr, dass bei ausbleibender Einigung bereits am 1. Juni eine Staatspleite der USA bevorsteht. Zu diesem Super-Gau wird es das politische Amerika aber nicht kommen lassen. Niemand will für den Untergang Amerikas verantwortlich sein. Zwischenzeitliche Markteintrübungen sind aber einzukalkulieren.
Fundamental sendet die Berichtsaison in den USA und Deutschland für das I. Quartal 2023 bislang eher positive Signale. Die Großbanken bereiten wenig Sorgen. Bei Big Tech sorgen konsequent vorangetriebene Kosteneinsparungen und Phantasien rund um die künstliche Intelligenz trotz Konjunkturschwäche für überraschend solide Ergebnisse. Und in den Ausblicken kommt langsam Optimismus auf.
Insgesamt hat die Inflation an Krisen - Konjunktur, Energie, Inflation, Zinsen, Banken - an Schadenspotenzial verloren.
Aus Sentimentsicht zeigen sich die Aktienbörsen stabil. Gemessen an dem von CNN Money ermittelten Fear & Greed Index bewegt sich die Anlegerstimmung im neutralen Bereich.
Schließlich sind die Krisen bekannt und abgesichert. Sobald die Flut an Negativnachrichten nachhaltig abebbt, wird sich auch das zuletzt wieder ansteigende Verhältnis von Put- zu Call-Optionen am US-Terminmarkt umkehren und damit Aufwärtsimpulse für Aktien senden.
Charttechnisch liegen beim DAX auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 15.815 und 15.889 Punkten. Darüber folgen Barrieren bei 15.916 und 15.934. Im Falle einer Konsolidierung liegen erste Haltelinien bei 15.743 und 15.734. Darunter folgen weitere Unterstützungen bei 15.731, 15.707, 15.678 und 15.659 Punkten.