Auch im nächsten Quartal wird die Ukraine-Krise ein stark bestimmendes Börsenthema sein. Doch ist eine Prognose über die Kriegsentwicklung und ihre Folgen für Konjunktur und Kapitalmärkte schwierig. Real ist aber die Gefahr einer „Rezflation“. Eine Rezession bei hohen Preisen stürzt die Geldpolitik in ein massives Dilemma. Da sie nicht gleichzeitig offensiv und defensiv handeln kann, wird sie sich entscheiden müssen.
Der Wunsch nach zumindest ein bisschen Frieden ist verständlich. Doch kollidiert er mit Putins erklärtem Kriegsziel: Die Zerstörung der Souveränität der Ukraine. Da gleichzeitig die Verteidigung der Ukraine mit westlicher Unterstützung robust ausfällt, ist ein schnelles Ende des Konflikts nicht in Sicht.
Folgerichtig schweben Sanktionen und Gegensanktionen weiter wie Damoklesschwerter über Konjunktur und Börse. Grundsätzlich weigert sich die EU, der vom Kreml geforderten Bezahlung von Gaslieferungen in Rubel nachzukommen, um die eigenen Sanktionen nicht aufzuweichen und Putin keinen moralischen Erfolg über den aus seiner Sicht dekadenten Westen zu gönnen.
Die russische Seite spielt Good und Bad Cop im permanenten Wechsel. Einmal will Russland die Rubel-Zahlung nicht sofort verlangen, sondern nur schrittweise umsetzen oder gar weiter Euro und Dollar akzeptieren. Dagegen spricht der russische Regierungssprecher davon, alle russischen Rohstoffe (Öl, Kohle, Düngemittel, Getreide, Speiseöl, Metalle und Holz) nur noch gegen Rubel zu verkaufen. Dann sollen westliche Abnehmer Konten bei der Gazprom-Bank als Vorbedingung für Öllieferungen eröffnen. Schließlich soll der russische Energieriese Gazprom einen möglichen Gaslieferstopp vorbereiten. Dieses schon von Stalin, Chruschtschow oder Breschnew angewendete Tricksen, Täuschen, Tarnen - russisch „Maskirovka“ genannt - soll den Gegner verwirren. Da insofern Aussagen russischer Politiker so wenig bindend sind wie Wetterberichte im April, tut der Westen gut daran, sie zu ignorieren. Hatten Putin und sein Außenminister nicht auch immer wieder beteuert, Russland werde niemals die Ukraine angreifen?
Wie auch immer, werden die russischen Gashähne tatsächlich zugedreht, wird sich Europa dem Ölembargo Amerikas und Großbritanniens vermutlich anschließen. Denn russisches Öl lässt sich vergleichsweise leichter ersetzen als Erdgas, zumal die USA planen, in den nächsten Monaten eine Million Barrel pro Tag aus den US-Ölreserven freizugeben. Langfristige Alternativen zu russischem Erdgas zu finden, ist aber eine weit größere Herausforderung. Zumindest kurzfristig fehlt es an Schiffen, Terminals und Förderkapazitäten und sind einige Lieferländer von lupenreinen Demokratien Lichtjahre entfernt.
Unabhängig davon, was Russland sagt und vor allem tut, hat Wirtschaftsminister Habeck die erste von drei Warnstufen des „Notfallplans Gas“ ausgerufen. Zum Glück ist die Gasversorgung für die kommenden Monate dank ausreichender Speicherstände und dank anderer kurzfristiger Bezugsquellen mit allerdings überschaubaren Volumina noch gesichert.
Das verschafft der Bundesregierung wertvolle Zeit, um sich von ideologischen Scheuklappen der Energiepolitik zu verabschieden. Die Stilllegung von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung hat man bereits ausgesetzt. Selbst die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke ist kein absolutes Tabu mehr. Ein Industriestandort ohne verlässliche Energiesicherheit ist international nicht wettbewerbsfähig. Reine Ideologie macht eben nicht satt. Pragmatismus ist gefragt.
Der schärfste Einbruch der ifo Geschäftserwartungen seit der Corona-Krise zeugt von den energieseitigen Unsicherheitspotenzialen und ihren möglichen wirtschaftlichen Streuwirkungen.
Naturgemäß trifft es die rohstoff- und exportabhängige Industrie. Aber auch die Baubranche schließt vielfältige Baustopps aufgrund fehlender Rohmaterialien nicht mehr aus. Und Handel sowie Dienstleister bekommen den Kaufkraft- und Stimmungsverlust der Verbraucher zu spüren.
Tatsächlich stürzen der GfK Konsumklimaindex und seine Subindices Konjunktur- und Einkommenserwartungen sowie Anschaffungsneigung ab.
Setzt man ifo Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Bezug, steuert die deutsche Wirtschaft auf eine Rezession im II. Quartal zu. Dazu passen auch die für dieses Jahr reihenweise gesenkten Wachstumsprognosen für Deutschland wie zuletzt der „Wirtschaftsweisen“ auf 1,8 von 4,6 Prozent, die sich noch weiter eintrüben könnten, weil sich die Streu- und Multiplikatoreffekte erst noch entfalten.
Die Rezessionssignale gehen entgegen der wirtschaftlichen Lehrmeinung mit galoppierendem Inflationsdruck seitens der Rohstoffe einher. Es herrscht „Rezflation“.
Aufgrund der Preisexplosion rechnen die Finanzmärkte in diesem Jahr mit US-Zinserhöhungen etwa bis zum Niveau von 2,5 Prozent, die erste Anhebung um 25 Basispunkte im März miteingerechnet. Da es nur noch sechs Notenbanksitzungen 2022 gibt, müsste also bei drei Terminen jeweils ein großer Schritt von 0,5 Prozent vollzogen werden.
Was vor dem Inflationshintergrund folgerichtig erscheint, ist konjunkturell jedoch mit Skepsis zu betrachten. Eine Volkswirtschaft wie die amerikanische, die wie keine andere kreditfinanziert und ohnehin überschuldet ist, kann nicht strikte Preisstabilität befolgen. Daher spricht viel dafür, dass spätestens bei Erreichen des sogenannten „neutralen“ Notenbankzinses - den die Fed bei 2,4 Prozent schätzt und der das Wachstum weder anregt noch bremst - Schluss mit Zinsrestriktionen ist. So war es bereits beim letzten Zinserhöhungszeitraum zwischen 2015 und 2019. Allerdings wirkte schon damals dieses Leitzinsniveau zu restriktiv, so dass sich die Fed gezwungen sah, mit drei aufeinander folgenden Zinssenkungen Abhilfe zu schaffen. Tatsächlich erwarten die Finanzmärkte, dass die Fed spätestens 2024 zurückrudern wird und preisen dann sogar Zinssenkungen um 0,5 Prozent ein.
Zwar wird die Fed auf ihrer kommenden Sitzung am 4. Mai erwartungsgemäß mit der Abschmelzung ihrer Bilanzsumme beginnen. Doch aus konjunkturellen Gründen ist auch hierbei von mehr Schein als Sein auszugehen.
Von der EZB ist zur Konjunkturstützung ohnehin maximal mit einer Anhebung ihres Einlagenzinses zu rechnen. Insgesamt laufen EZB und Fed damit der Inflationsentwicklung auch zukünftig hinterher. Denn eine Inflation, die oberhalb der Kreditzinsen und Anleiherenditen liegt, erlaubt, Staatsverschuldung aufzufressen. Und diese nimmt angesichts umfangreicher Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben auf beiden Seiten des Atlantiks weiter zu.
Weiterhin sind negative Realzinsen eine Realität an den Finanzmärkten.
Insofern stellen Nach-Inflations-Renditen 10-jähriger Staatspapiere aus der Eurozone, den USA und Japan auch zukünftig keine attraktive Alternative zu Aktien dar.
Grundsätzlich, solange Nachrichten zur Ukraine die Live-Ticker dominieren, wird die wirtschaftliche Unsicherheit intakt bleiben und müssen Aktienmärkte mit erhöhten Kursschwankungen rechnen.
Auch die bevorstehende US-Berichtssaison für das I. Quartal 2022 wird sich vermutlich zur fundamentalen Stimmungsbremse entwickeln. Es zeichnet sich eine deutliche Verlangsamung des bislang euphorischen Gewinnwachstums ab. Schätzungen von Zacks Investment Research zufolge pendelt sich das Gewinnwachstum auf ein mittleres einstelliges Niveau ein. Bei den Ausblicken steht im Fokus, inwiefern rohstoffseitig steigender Kostendruck von abnehmenden Corona-Risiken kompensiert werden kann.
Allerdings schlägt sich die geopolitische Großwetterlage und ihre Konsequenzen unterschiedlich in der Wertentwicklung der Aktienbranchen nieder. Da die große Zinswende ausbleibt, werden Technologietitel nicht gemieden, zumal sie vergleichsweise weniger kriegs- und konjunkturanfällig sind als typisch zyklische Werte. Naturgemäß sind aber Old Energy-Werte und Titel aus dem Bereich Erneuerbare Energien und Umwelt Profiteure.
Die anfänglich extreme Negativstimmung ist gewichen. Die Aktienbörsen haben die Hälfte der Kursverluste seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wieder aufgeholt. Die schrittweise Erhöhung der Investitionsquote unter US-Fondsanleger signalisiert eine zunehmend stabile Seitenlage, die auch in einem neutralen Fear & Greed Index von CNN Money zum Ausdruck kommt.
Mittlerweile sind die Anleger über Absicherungen am Terminmarkt auch für weitere Eskalationen im Ukraine-Krieg gewappnet. Und bei Kurserholungen müssen Anleger zuvor eingegangene Absicherungspositionen auflösen, was einer Rallye Impulse verleiht.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 14.517 und 14.553 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 14.815 und 14.958. Auf der Unterseite liegen Unterstützungen bei 14.110, 14.100 und 13.974 Punkten.