Nach langer Verbalakrobatik hat die Fed endlich die Leitzinsen um 25 Basispunkte erhöht sowie eine Reihe weiterer Steigerungen und auch noch ein Abschmelzen der Liquiditätsversorgung angekündigt. Da scheint sich ein radikaler geldpolitischer Strukturbruch mit zukünftig epochal höheren Zinsen und Renditen anzubahnen. Doch geht es vor allem um die Betrachtung nach Inflation.
Die seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich angestiegenen Rohstoffpreise verschärfen den bereits hohen Inflationsdruck zusätzlich. Nach jetzt 7,9 ist im weiteren Jahresverlauf durchaus eine US-Inflationsrate von neun Prozent möglich.
Zudem werden die Lieferketten, die sich zwischenzeitlich stabilisierten, wieder brüchiger. So behindern die chinesischen Null-Covid-Maßnahmen die Verschiffung von Vorprodukten. Lieferausfälle aus der Ukraine und Russland kommen aktuell hinzu. Insgesamt verharren die Preise für Containerverschiffung nahe ihren Rekordständen, während die Frachtraten für Schüttgut von niedrigem Niveau aus erneut ansteigen.
Auf den bestehenden und wachsenden Preisdruck reagiert die Fed mit einer drastischen Anhebung ihrer Inflationsprojektionen für 2022 (4,3 nach 2,6 Prozent). Allerdings schätzt sie den Preisdruck mittelfristig als wenig bedrohlich ein: Für 2023 (2,7 nach 2,3 Prozent) und 2024 (2,3 nach 2,1 Prozent) erwartet sie eine klare Inflationsentschleunigung.
Auch die Gefahr von Zweitrundeneffekten über z.B. Lohnerhöhungen sieht sie offensichtlich als begrenzt an. Insbesondere vertraut die Fed darauf, dass sich der aktuell sprunghafte Preisanstieg bei Rohstoffen im Zeitablauf entspannt. Der Vergleich mit dem Vorjahr macht es möglich.
Zur Dokumentation von Glaubwürdigkeit musste die Fed dennoch ein Stabilitätszeichen senden und hat mit einer Leitzinsanhebung um 0,25 Prozentpunkte die Zinswende eingeleitet. Zukünftig sind sogar Zinserhöhungen von 0,5 Prozentpunkten möglich.
Doch wer deutlicher anhebt, ist auch früher durch. Insgesamt rechnet die Fed in ihren Zinsprojektionen (sog. „Dot Plot“) bis 2024 mit drei Zinsanhebungen mehr als bislang (elf anstatt acht). Wenn sie - die kürzliche März-Sitzung mit eingerechnet - auf jeder der in diesem Jahr anberaumten Sitzungen sieben statt bisher drei und 2023 vier statt bislang drei Steigerungen vornimmt, würde Ende des kommenden Jahres der Erhöhungszyklus bei einem Leitzinsniveau von dann 2,75 Prozent beendet sein. Bislang hatte sie für 2024 noch zwei Leitzinsanhebungen geplant.
Allerdings betont Fed-Chef Powell, dass man nicht in diesen Zinserhöhungs-Automatismus verfallen, sondern angesichts der aktuell großen Unsicherheit stets „datenbezogen“ handeln werde. In Zeiten maximaler Unsicherheit behält sich die Fed ein gehöriges Maß an Flexibilität vor. Das klingt nicht nach kompromisslos falkenhafter Zinspolitik.
Der Liquiditätsabzug soll ab Mai Thema sein. Aber Fed-Chef Powell hat angedeutet, dass man sich dabei zur Börsenberuhigung an der passiven Bilanz-Entwässerung im Rahmen des Quantitative Tightening zwischen 2017 und 2019 orientieren will. Dabei tritt die Fed nicht als aktiver Verkäufer von Zinspapieren auf, sondern verzichtet auf die Wiederanlage fällig werdender Anleihen.
Grundsätzlich beabsichtigt die US-Notenbank sich schneller von ihren Immobilienanleihen zu trennen, um den heiß gelaufenen Häusermarkt abzukühlen. Da sie insofern auf längere Sicht eher Staatsanleihen halten will, fällt der „Rendite-Schock“ bei US-Staatsanleihen weniger heftig aus. Ohnehin sind diese Maßnahmen teilweise bereits eingepreist.
Schließlich werden hohe Energiepreise, eine auslaufende Fiskalunterstützung und Ansteckungseffekte einer Wirtschaftsverlangsamung in Europa auch bremsende Wirkung auf die US-Wirtschaft entfalten. Dass Amerika keine Insel der Glückseligkeit ist, zeigen die spürbar gesenkten Wachstumsprojektionen der Fed für 2022 auf 2,8 nach 4,0 Prozent. In dieses Bild passt die Stimmung bei Dienstleistern und in der Industrie, die zwar im Expansionsterrain bleibt, aber entweder nachgibt oder ihren Höhenflug hinter sich hat.
Überhaupt sendet eine sich stark verflachende US-Zinsstrukturkurve Rezessionssignale. Inverse Strukturkurven haben nachfolgend tatsächlich zu Wirtschaftsabschwüngen geführt. Und das Idealszenario eines Soft Landing ist der Fed sowieso noch nie geglückt. Insofern wird sie die Zinswende nur so umsetzen wie es Konjunktur und Finanzmärkte vertragen.
So spricht viel dafür, dass spätestens bei Erreichen des „neutralen“ Notenbankzinses, den die Fed bei 2,4 Prozent schätzt und der das Wachstum weder anregt noch bremst, Schluss ist. So war es bereits beim vergangenen Zinserhöhungszyklus zwischen 2015 und 2019. Doch wirkte schon dieses damalige Zinsniveau konjunkturell zu restriktiv, so dass die Fed mit drei aufeinander folgenden Zinssenkungen Abhilfe schuf. Auch aktuell erwarten die Finanzmärkte, dass die Fed spätestens 2024 zurückrudern muss und preisen dann zwei Zinssenkungen ein.
Nicht zuletzt, strukturelle Krisen wie staatliche und private Überschuldung, umfangreiche Infrastrukturinvestitionen und ein gegenüber Russland und China wehrhaft bleibendes Amerika zwingen die Fed zu einer weiter freizügigen Geldpolitik.
Und so sind der Fed die Hände gebunden. Sie wird die Inflation nicht einholen. Daher bleiben negative reale US-Notenbankzinsen eine Finanzmarkt-Realität. Fed-Chef Jerome Powell kann sich heutzutage nicht mehr den Stabilitäts-Luxus eines Paul Volcker erlauben, der die Inflationsexzesse 1981 nicht nur bekämpfte, sondern mit Leitzinsen von 19 Prozent regelrecht killte. Damals lag der reale Leitzins bei plus 9,5 Prozent, heute bei minus 7,6 Prozent.
Übrigens, gegenüber der offiziellen ist von einer deutlich höheren tatsächlichen Inflation auszugehen. Hedonistische Inflationsmessung, die Leistungsverbesserungen z.B. von High-Tech-Gütern von der Preissteigerung abzieht, Konsumenten eine vollkommene Preiselastizität unterstellt (teure Nudeln werden durch Reis ersetzt) oder Schrumpfungen von Packungsgrößen bei gleichbleibendem Preis ignoriert, sind beschönigende Preisdrücker. Dadurch erhält das Thema negative Realzinsen noch mehr Brisanz.
Insgesamt gewinnen Zinsanlagen gegenüber Aktien nicht an Attraktivität, wenn leicht steigende Nominalrenditen von anziehenden Inflationsraten überkompensiert werden.
Nach anfänglichem Schock betrachtet die Börse den Ukraine-Krieg und seine Folgen mittlerweile nüchterner. Immerhin steht dem großen geopolitischen und wirtschaftlichen Schaden, den Russland wegen seiner Aggression erleidet, kein Nutzen entgegen. Und käme es ähnlich wie 1939/40 beim Überfall der Sowjetunion auf das vermeintlich schwächere Finnland auch heute in der Ukraine zu einer Ermattung des Angreifers, könnte dies aus rationalen Gründen zu einer Deeskalation beitragen in deren Folge Sanktionen zumindest nicht weiter verschärft werden. Tatsächlich sind Rohstoffpreise nicht mehr nur Einbahnstraßen nach oben.
Für die weitere Entwicklung spielt China eine wichtige Rolle. Angesichts binnenwirtschaftlicher Probleme ist sich Peking des Wertes der Absatzmärkte in den USA und Europa sehr bewusst. Auch um nicht selbst in das Fadenkreuz westlicher Sanktionen zu kommen, hat China hinter vorgehaltener Hand genügend Anlass, stark mäßigend auf Putin einzuwirken.
Leider kann man nur auf, aber nicht hinter die Stirn von Putin schauen. Er sieht sich durch die umfangreichen Sanktionen des Westens und seine eigenen verheerenden strategischen Fehleinschätzungen in die Enge getrieben, was zumindest theoretisch Eskalationsrisiken bietet. Bis es zu erkennbaren Verhandlungs- oder sogar Friedensfortschritten kommt, bleibt jede Stimmungserholung an den Börsen brüchig.
Einem dramatischen Stresstest wird insbesondere die rohstoffarme und exportorientierte deutsche Wirtschaft unterzogen. Die Sanktionen gegenüber Russland kommen über steigenden Kostendruck bei Unternehmen und Kaufkraftverluste der Verbraucher als Bumerang zurück. Der stärkste Rückgang der ZEW Konjunkturerwartungen seit Beginn der Umfrage 1991 von zuletzt 54,3 auf aktuell minus 39,3 Punkte unterstreicht die Krise deutlich. Sollte sich in der nächsten Woche auch noch ein kräftiger Rückgang der ifo Geschäftserwartungen einstellen, ist mit restriktiven Tendenzen zu rechnen, was zyklische Aktien handicapt.
Zwischenzeitlich sind viele unsichere Hände aus dem Aktienmarkt geschüttelt worden. Anleger sitzen auf viel Cash. Der Fear & Greed Index von CNN Money hat sich nach einem extremen Angstausschlag amerikanischer Anleger leicht beruhigt. Zwischenzeitlich notierte er sogar auf seinen Tiefständen zur Hochzeit der Corona-Krise 2020. Dieses Szenario wirkt auch als Kontraindikator.
Sobald die Flut an Negativnachrichten nachhaltig abebbt, kehren die Anleger wieder an die Aktienmärkte zurück.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 14.815, 14.971 und der psychologisch wichtigen Marke bei 15.000 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 15.133 und 15.484. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 14.250, 14.135, 14.100 und 14.025. Werden diese unterschritten, drohen Verluste bis 13.920, 13.868 und 13.600 Punkten.