Fortgesetzte Inflationsrückgänge sowie hartnäckig schwache Konjunkturdaten, die ebenso desinflationierend wirken, erhöhen den Druck auf die EZB, ihre restriktive Zinspolitik zu beenden. Auch wenn sie auf ihrer jüngsten Sitzung noch keine Zinssenkung vorgenommen hat, können sich die Finanzmärkte auf Leitzinssenkungen ab Juni einstellen.
Wie erwartet belässt die EZB ihren Leitzins zum vierten Mal in Folge unverändert auf einem 22-Jahreshoch bei aktuell 4,5 Prozent.
Grundsätzlich will sich die EZB als Wahrer der Preisstabilität beweisen. Ihr zu später Eintritt in den Kampf gegen Inflation hängt ihr offensichtlich noch nach. Sie sieht die Gefahr, dass Lohnsteigerungen in den kommenden Quartalen zu einem Ende der Desinflationsdynamik führen. Immerhin jedoch zeigt der Tariflohn-Indikator der EZB, dass das Lohnwachstum Ende 2023 seinen Zenit überschritten hat. Die Inflationsrisiken sind insofern auch in puncto Arbeitskosten ausbalancierter.
Zwar hat sich das Tempo der Inflationsrückgänge zuletzt verlangsamt, doch setzt sich der abnehmende Trend fort. Die klare Deflation bei Produzentenpreisen wird zukünftig abebbenden Verbraucherpreisen - zuletzt 2,6 nach 2,8 Prozent - weiter Vorschub leisten. Zum Jahresende dürften sie folglich deutlich Richtung zwei Prozent laufen. Selbst wenn die Kerninflation mit zuletzt 3,1 Prozent noch immer hoch ausfällt, setzt sich auch hier der Abwärtstrend seit knapp einem Jahr ununterbrochen fort. Insgesamt leitet das Wasser auf die Mühlen einer restriktionsmüden EZB.
Daher hält die EZB an ihrer Einschätzung sinkender Preissteigerungen fest und untermauert dies mit einer erneuten Senkung ihrer Inflationsprognosen (2024: 2,3 statt 2,7 Prozent; 2025: 2,0 statt 2,1 Prozent; 2026: unverändert 1,9 Prozent). Ihr Inflationsziel wird damit im nächsten Jahr erreicht.
Daneben kann die EZB die schwierigen konjunkturellen Rahmendaten nicht ignorieren. Insgesamt zehn Zinserhöhungen sowie Liquiditätsabschöpfungen haben die Finanzierungskosten stark steigen lassen. Auf ein 17-Jahreshoch gestiegene positive reale Notenbankzinsen sorgen für herbe konjunkturelle Reibungsverluste. Denn die Inflation frisst die Zinsen nicht mehr auf.
Diese zinspolitische Transmission schwächt über eine bremsende Konjunktur nachfolgend auch die Preisdynamik. Das Kreditwachstum in der Eurozone bleibt in der Tat eingetrübt.
Zwar hat die Wirtschaft der Eurozone zwischenzeitlich ihren Boden gefunden. Bei Betrachtung der für das laufende Jahr gesenkten Wachstumsprojektionen (2024: 0,6 statt 0,8 Prozent; 2025: unverändert 1,5 Prozent; 2026: 1,6 statt 1,5 Prozent) ist die Gefahr, dass sich dieses Mini-Wachstum wieder in Richtung Rezession verändert, jedoch nicht von der Hand zu weisen. Der frühere wirtschaftliche Superstar Deutschland schwächelt erkennbar und handicapt ganz Europa.
So verlieren die Argumente für restriktive Zinspolitik endgültig an Kraft. Es ist damit zu rechnen, dass die EZB ihre Zinspause wohl bis Juni fortsetzt, dann aber bis Dezember insgesamt Zinssenkungen von 100 Basispunkten durchführt.
Die Zinssenkungsphantasie mag stark eingepreist sein. Doch wenn sie sich - nach Verzögerung - tatsächlich materialisiert, ist dies noch einmal ein neuer Impuls. Das Warten hat endlich ein Ende. Selbst wenn diese gemäß momentaner Einschätzung weniger umfangreich ausfallen als noch zu Jahresbeginn erwartet, scheint dies die Aktienmärkte nicht sehr zu stören. Hauptsache sie kommen.
Alternativ fokussieren die Märkte auf eine sich stabilisierende Weltwirtschaft. Laut Investment-Beratungsfirma Sentix setzt sich die Stabilisierung der weltweiten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate grundsätzlich fort. Leider ist diese Entwicklung nicht in Deutschland zu beobachten. Eklatante Standortprobleme und eine auf staatswirtschaftliche Mangelverwaltung sowie auf Ideologie und Bedenkenträgerei orientierte Politik verhindern den deutschen Anschluss an die weltkonjunkturelle Stabilisierung. Was ist nur aus der früher führenden Technologie- und Wirtschaftsnation geworden, um die uns die ganze Welt beneidete?
2024 wird zwar kein Weltwirtschaftswunder-Jahr. Doch werden Zinssenkungen und massive Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und generell Standortverbesserungen immerhin zu einem Frühlingserwachen führen. Dabei sind auch positive Überraschungen möglich.
Insgesamt begeben sich Anleger zunehmend auf die Suche nach Alternativen zum mittlerweile teuren Tech-Sektor. Dessen Geschäftsmodelle sind zwar intakt, doch zeigt sich ein gewisses Umdenken. So hat die Outperformance des klassischen, nach Marktkapitalisierung gewichteten S&P 500 Index gegenüber der gleichgewichteten Variante - der die Übergewichtung der Tech-Werte bereinigt und dadurch andere Sektoren hervorhebt - ihren Boden gefunden und sich in das Gegenteil verkehrt.
Nachholbedarf besteht dabei vor allem bei Firmen, die unter den globalen Konjunktursorgen gelitten haben. Nicht zuletzt sind sie deutlich günstiger bewertet als die teuren Tech-Aktien, die im Gegensatz zu anderen Branchen markant über ihren historischen Durchschnittsbewertungen liegen.
Diese Entwicklung ist bereits beim US-Mittelstandsindex Russell 2000 zu beobachten. Dieser hat seit Oktober 2023 erkennbar zugelegt. Und aus Börsensicht zeigt sich bereits die Erwartung einer zweiten Amtszeit von Donald Trump, der sich für Steuererleichterungen und Wirtschaftsliberalisierungen ausspricht.
Dagegen hält sich der MDAX noch sehr bedeckt. Da aber auch die deutsche mittelständische Industrie immer stärker an der Weltwirtschaft hängt und nicht zuletzt von den verbesserten US-Standortbedingungen angezogen wird, kann sie den - diplomatisch ausgedrückt - suboptimalen Bedingungen des deutschen Wirtschaftsstandorts entkommen. Dies spricht dafür, dass es auch bei deutschen Industriewerten der zweiten Reihe zu einer Kurserholung kommen wird. Anders ausgedrückt: Deutsche Industriewerte sind nicht Deutschland.
Selbst der Aktienmarkt in China zeigt sich zwischenzeitlich wieder stabiler. Staatlich angeordnete Stützungskäufe des sog. „National Team“ - ein Konsortium aus staatlichen Kapitalsammelstellen – sind hier der Hintergrund. Taktisch orientierte Hedgefonds reiten diese Kurswelle zusätzlich.
Die Abwanderung ausländischer Investoren verhindert jedoch eine nachhaltige Aktien-Renaissance in China. Das Säbelrasseln der KP gegenüber Taiwan, vor allem aber die grundlegenden Strukturprobleme einer planwirtschaftlich orientierten chinesischen Wirtschaft und eine unzureichende Informationspolitik über das, was in China passiert, lassen Anleger auf alternative Schwellenländer wie Indien, Brasilien oder Mexiko blicken.
Ein Schmankerl ist die bevorstehende Dividendensaison. So werden die im DAX gelisteten Unternehmen ihre Ausschüttungssumme kräftig anheben, so dass rund fünf Prozent mehr und mit voraussichtlich 55,3 Mrd. Euro ein neuer Rekord an Dividenden zur Auszahlung kommt. Und während der DAX eine durchschnittliche Dividendenrendite von zurzeit 3,1 Prozent bietet, lassen sich bei einem reinen europäischen Dividendenindex 4,7 Prozent erzielen. Bei deutschen und europäischen Einzelaktien kommt man sogar auf Renditen bis zu rund acht Prozent. Übrigens haben dividendenstarke Aktien eine kursstabilisierende Wirkung.
Immer mehr Anleger leiden unter FOMO („fear of missing out“) und sind aus Angst, die Rallye zu verpassen, auf den Zug aufgesprungen. Dadurch ist der Druck im Aktien-Kessel sehr groß geworden.
Das bestätigt in den USA der höchste Anteil an Optimisten gegenüber Pessimisten seit Ende 2021. Als Kontraindikator mahnt er zur Vorsicht vor gesunden Gegenbewegungen, die dann auch deutschen Aktien zusetzen. Mangels markanter Risiken werden diese aber nicht übertrieben und eher kurz ausfallen und sollten zu Nachkäufen genutzt werden.
Charttechnisch liegt bei fortgesetzter Aufwärtsbewegung der nächste Widerstand bei 17.935 Punkten. Setzt der Index zur Gegenbewegung nach unten an, trifft er bei 17.824, 17.816 und 17.809 auf erste Unterstützungen. Darunter liegen die nächsten Haltelinien bei 17.750, 17.643 und 17.574 Punkten.