Die Corona-Pandemie nähert sich ihrem Höhepunkt. Parallel zur sinkenden Anzahl von Neuinfektionen nimmt der dramatische Wirtschaftspessimismus auch dank umfangreicher Konjunkturstützungen und Ankündigungen zu vorsichtigen Lockerungen des Shutdown etwas ab. Mit diesen Aufhellungen haben sich die Aktienmärkte deutlich von ihren Jahrestiefständen erholen können. Doch wie nachhaltig ist die Aktienhausse? Ist die zweite Verkaufswelle ad acta gelegt?
Die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung wirken. Europa steht kurz vor seinem Infektions-Höhepunkt. Danach kann der europäische Patient ähnlich wie bereits Südkorea und China in eine Phase der allmählichen Erholung übergehen. Sogar in Amerika scheint sich die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen zu stabilisieren, wenn auch noch auf hohem Niveau.
Die US-Regierung arbeitet bereits an einem Plan zur konjunkturellen Wiederbelebung zunächst in kleineren Städten und in weniger betroffenen Bundesstaaten. Unter der Voraussetzung massiv gesteigerter Corona-Tests könne man binnen vier bis acht Wochen mit dem Hochfahren der Wirtschaft beginnen. Daneben wird ein weiteres Konjunkturprogramm in Höhe von mindestens einer Billion US-Dollar diskutiert.
Erste EU-Länder wie Österreich und Dänemark haben bereits eine schrittweise Lockerung der Ausgangssperren nach Ostern angekündigt. Und sogar Italien will seine Eindämmungsmaßnahmen ab Anfang Mai schrittweise und unter strengen Auflagen lockern. Auch in Deutschland steigen die Chancen für eine schrittweise Normalisierung. Zwar hat man vorsorglich den Kontrollindikator einer Verdopplungszeit der Virusinfektionen von 10 auf 12 bis 14 Tage verlängert. Dieses sogenannte „Merkel-Kriterium“ wäre bereits heute erfüllt. Selbst deutsche Autobauer bereiten sich schon auf ein Wiederanfahren der Produktion unter strengen Vorsichtsmaßnahmen vor.
Ohne Zweifel steht die Weltkonjunktur zunächst weiter unter viralem „Rezessionsschock“. Doch scheinen die weltweit opulenten Konjunkturpakete allmählich Wirkung zu zeigen. Laut den vom Analyse-Institut Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die kommenden sechs Monate bremst die beispiellose geld- sowie fiskalpolitische Mobilmachung den weiteren Verfall der US-Konjunkturerwartungen. Japan legt mit einem historischen Konjunkturpaket über umgerechnet eine Billion US-Dollar - 20 Prozent der Wirtschaftsleistung - die Basis für eine Bodenfindung. Auch in der Eurozone sind auf niedrigem Niveau stabilisierte Erwartungen zu beobachten.
Ein Lichtblick ist sicherlich der spürbar nachlassende Konjunkturpessimismus in Deutschland. Immerhin plant Bundesfinanzminister Scholz für die Zeit nach der Corona-Epidemie ein Konjunkturpaket von fast 50 Mrd. Euro, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und das wohl noch einmal nachgebessert wird. Über die gelungene Viruseindämmung in China bei gleichzeitig massiver Konjunkturstimulierung haben sich die asiatischen Schwellenländer insgesamt in neutrales Terrain zurückgearbeitet.
Und trotz der kürzlichen Erholung bei konjunkturzyklischen Rohstoffen kommen ihre im Vergleich günstigen Preise, vor allem beim Öl, der Weltwirtschaft kaufkraftsteigernd zugute.
Von Normalisierung kann aber nicht die Rede sein. Der Blick auf die deutschen Frühindikatoren zeigt ein weiter eingetrübtes Bild. Die ifo Produktionserwartungen und die allgemeinen ifo Geschäftserwartungen deuten noch keine Trendwende an.
Insgesamt wird die massive Mollstimmung der Weltkonjunktur im ersten Halbjahr 2020 mit schrecklich „harten“ Konjunkturdaten anhalten. Im zweiten Halbjahr jedoch ist aus heutiger Sicht mit Verbesserungen zu rechnen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Maßnahmen zur Viruseindämmung auch nach der schrittweisen Lockerung des Shutdown weiter greifen und es zu keiner zweiten Infektionswelle kommt.
Der Wirtschaftserholung nach der Corona-Krise will die EU mit weiteren Konjunkturhilfen auf die Sprünge helfen. Anstatt jedoch die Krise zu nutzen, um ein starkes gemeinsames Signal an andere Wirtschafts-Platzhirsche wie Amerika oder China zu senden, zeigt die EU-Politik ein zerstrittenes Bild ähnlich wie zur Zeit der Euro-Krise.
Grundsätzlich ist das von Eurogruppen-Chef Centeno befürwortete Hilfspaket üppig. Mit direkten Unternehmenskrediten der Europäischen Investitionsbank über insgesamt bis zu 200 Mrd. Euro kommen die Hilfen unmittelbar dort an, wo sie benötigt werden. Und die von der EU mit 100 Mrd. Euro unterstützte Einführung von europaweiter Kurzarbeit ist eine Maßnahme, die schon der deutschen Wirtschaft nach der Finanzkrise 2008 ein schnelles Comeback ermöglicht hat. Zudem soll der Euro-Rettungsschirm ESM bis zu 240 Mrd. Euro bereitstellen. Und damit kein Land vor der Kreditaufnahme aus Gründen der Stigmatisierung zurückschreckt, hat man seitens der Stabilitätsländer sogar signalisiert, auf die ansonsten üblichen Gegenleistungen in Form von Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Rentenversicherung und öffentlichen Finanzen zu verzichten.
Der Clou beim Rettungsschirm: Die Beanspruchung von Kreditlinien des ESM durch einzelne Euro-Staaten ist notwendige Voraussetzung für den eigentlichen Königsweg der Rettung. Die EZB kann dann ihr Anleiheaufkaufprogramm Outright Monetary Transaction (OMT) umsetzen. OMT ermöglicht den unbegrenzten Anleiheaufkauf unabhängig von den ansonsten bei Käufen geltenden Regeln. So kommen die Regierungen der Euro-Südstaaten in den Genuss gezielter Renditedrückungen, damit sie unter Beibehaltung ihrer Schuldentragfähigkeit so viel Geld wie nötig in ihre viral angeschlagenen Volkswirtschaften pumpen können.
Damit begeht Europa zwar weiterhin eine Stabilitätssünde. Doch wird eine zweite vermieden, die mit Corona-Bonds bzw. einem Corona-Fonds begangen wird, der Anleihen für den Wiederaufbau finanzieren soll. Denn Stabilitätsanker wie Deutschland oder die Niederlande müssten hierbei mit ihren starken Bonitäten für allgemein zinsgünstige Finanzierungen insbesondere zum Wohle von überschuldeten Staaten wie Italien gemeinschaftlich bürgen.
Betrachtet man die Renditen 10-jähriger Anleihen des EFSF-Rettungsschirms als Vorgänger vom ESM könnten sich die Refinanzierungskosten Italiens um rund 1,5 Prozentpunkte auf nahezu Null senken. Doch müsste Deutschland für seine Haftung gleichzeitig einen Risikoaufschlag zahlen, der die Epoche negativer Kreditzinsen beenden würde. Wird die Tür zur Schuldenvergemeinschaftung auch nur einen Spalt aufgemacht, wird man sie nie mehr schließen können. Europa würde endgültig zum Stabilitätssündenpfuhl.
Überhaupt, Länder wie Italien, denen man grundsätzlich helfen muss, sind ja bereits in den Genuss vergünstigter Zinsen gekommen. Zum Vergleich, vor der Finanzkrise rentierten 10-jährige italienische Staatsanleihen mit etwa fünf Prozent, um dann in der Spitze der Euro-Krise auf über sieben Prozent hochzuschnellen. Die planwirtschaftlichen Segnungen der EZB haben sie anschließend auf ca. ein Prozent gedrückt. Wo stünden sie wohl, wenn wieder Marktwirtschaft mit Berücksichtigung von Bonität und ohne geldpolitisches Eingreifen eingeführt würde?
Die Aktienmärkte lassen den historisch kürzesten Bärenmarkt hinter sich und bewegen sich am Rande des Bullenmarkts. Vermögensverwalter verfolgen diese Entwicklung aufmerksam. Im harten Wettbewerb um Kundenvermögen wollen sie keine unnötig lange Kassenhaltung riskieren und wagen sich vorsichtig an die Märkte zurück.
Insgesamt werden die handelsfreien Osterfeiertage zum „Puddingtest“ für die Aktienmärkte. Setzen in der nächsten Woche DAX und Co. ihre, wenn auch schwankungsstarke, Befestigung fort, stehen die Zeichen mindestens für eine Bodenbildung gut. Anderenfalls könnten umfangreiche Gewinnmitnahmen zu erneuten Kursrücksetzern von nervösen Anlegern führen.
Maßgeblich hierbei ist, ob sich die Virus- und Wirtschaftsdaten noch deutlicher verschlechtern als sie an den Aktienmärkten eingepreist sind. Tatsächlich scheinen die Anleger bereits auf das Schlimmste eingestimmt zu sein. So werden im II. Quartal überall verheerende Wirtschaftseinbrüche und auch Virus-betreffend dramatische Bilder erwartet. Und auch Trump hält sich mit dramatischer Krisen-Rhetorik nicht zurück, wonach die USA angesichts steigender Corona-Opfer auf vorübergehend ähnlich schreckliche Zeiten zusteuern wie während des Ersten oder Zweiten Weltkriegs.
Extreme Konjunkturunsicherheit ist zwar kein Aktienargument. Doch speist sich daraus die Lebensversicherung, dass die weltweiten Notenbanken noch für lange Zeit nicht ansatzweise daran denken, restriktiv zu werden. Damit bleibt der zinsseitige Anlagenotstand bestehen, der für „alternativlose“ Aktienengagements spricht. Daneben entfalten diese Stimuli in Form der Finanzierung von Konjunkturpaketen immer mehr fundamentale Kraft. Den wirtschaftlichen Wiederaufbau preist der Aktienmarkt frühzeitig ein.
Aus der bevorstehenden US-Berichtsaison für das I. Quartal 2020 lässt sich kaum ein stimmungsfestigender Optimismus ableiten. Das gilt auch für weitere Aussetzungen und Kappungen von Dividenden und Aktienrückkaufprogrammen. Dennoch kann man auf die Ausblicke gespannt sein. Angesichts einer Erwartungshaltung die gegen null tendiert, wird jede kleine Aufhellung positiv gewertet.
Aus Sentimentsicht ist die Panik zwar erst einmal überwunden. Doch auch wenn sich der Market Risk Indicator der Bank of America Merrill Lynch von seinem Allzeithoch bei 3,5 markant zurückgebildet hat, unterstreicht er mit rund 0,9 immer noch eine vergleichsweise hohe Risikowahrnehmung. Der Indicator misst Erwartungen am Terminmarkt bezüglich Kursschwankungen an den globalen Aktien-, Währungs- und Rohstoffmärkten. Bei Werten über Null deutet er auf zunehmende Marktrisiken und bei Werten darunter auf Risikoentspannung hin.
Dass sich der Fear and Greed Index von CNN Business aus dem Bereich „extremer Angst“ in Richtung „Angst“ herausgearbeitet hat, deutet auf eine allmähliche Bodenbildung hin, die auch gegen ein erneutes Abtauchen der Aktienmärkte auf neue Tiefs - Double Dips - spricht.
Charttechnisch liegt auf der Unterseite eine erste Haltelinie bei 10.138 Punkten. Weitere Unterstützungen folgen bei 10.001 und 9.701. Darunter liegen die nächsten Marken bei 9.226 und 9.065. Bei einer Gegenbewegung nach oben liegt der erste Widerstand bei 10.391. Es folgen Barrieren bei 10.761 und 11.032. Darüber nimmt der Index Kurs auf die Marke bei 11.447 Punkten. Erst oberhalb von 10.390 Punkten hellt sich die Lage charttechnisch grundlegend auf.
In China enthüllen schrumpfende BIP-Zahlen für das I. Quartal das volle Ausmaß der Virusschäden. Von einer gewissen Beschönigung ist ohnehin auszugehen. Chinesische Exporte, Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätze verzeichnen im März einen deutlichen Rückgang. Auch Japan sieht sich im März mit einem markanten Einbruch der Industrieproduktion konfrontiert.
In den USA schlägt sich die Corona-Krise in einem spürbaren Rückgang der Industrieproduktion nieder. Der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed stellt keine schnelle Wirtschaftsverbesserung in Aussicht und auch der US-Konsum als tragende Konjunktursäule hat gemäß schrumpfender Einzelhandelsumsätze Schaden genommen. Daneben weisen zurückgehende Baubeginne und -genehmigungen auf einen Dämpfer im Immobiliensektor hin. Vor diesem Hintergrund untermauert ein trüber Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) mit schwachen Inflationsdaten die Bereitschaft der Notenbank zur weiteren vollumfänglichen Wirtschaftsstützung.
In der Eurozone bestätigen auch die finalen Preisdaten für März die Desinflationstendenzen.