An der Börse findet ein Realitäts-Check statt. Halten Inflationssorgen, Zinsangst und neue High-Tech-Sachlichkeit die Aktienmärkte in Schach? Oder können Impf-Fortschritte und nachhaltige Konjunkturöffnungen eine neue Aktien-Rallye einleiten?
Nach fulminanten Basiseffekten lässt die Dynamik der Weltkonjunkturerholung nach. Die Sentix Konjunkturerwartungen haben ihren Zenit erreicht und beeindrucken die Aktienmärkte weniger.
Auch der ökonomische Überraschungsindex Amerikas hat erkennbar nachgegeben und US-Aktien Momentum genommen.
Absolut betrachtet bleiben die Konjunkturperspektiven in den USA angesichts des Dreiklangs aus massiver Fiskalunterstützung und fortschreitender Impfkampagne bei gleichzeitiger Aufhebung von Corona-Beschränkungen jedoch robust. Dies gilt auch für Asien. Deutschland und die Eurozone profitieren von einer Impf-Beschleunigung und angesichts ihrer industriellen Wirtschaftsstrukturen von stabilen Exportaussichten.
Damit bleiben die Reflationsphantasien ebenso intakt wie Mutmaßungen über den Anfang vom Ende der langjährigen geldpolitischen Happy Hour.
Leidtragende sind primär Wachstumsaktien aus dem High-Tech-Bereich, die aufgrund ihrer hohen Bewertung besonders zinssensibel sind. Für viele Marktteilnehmer sind sie auch der Realwirtschaft viel zu weit vorgelaufen. Zur Beweisführung wird ihre Wertentwicklung gegenüber konjunktursensitiven Rohstoffen angeführt.
Tatsächlich, wie bereits beim Bersten der Dotcom-Blase hat aktuell eine Underperformance von Tech-Aktien zu Rohstoffen eingesetzt. Und da das Verhältnis Tech zu Rohstoffen in der Spitze sogar drei Mal so hoch war wie zum Höhepunkt 2000 und sich dieses Überschießen noch längst nicht abgebaut hat, stehe - so die Befürchtung - Technologiewerten noch viel Ungemach bevor. Ebenso wird gefragt, wie die wegen Corona so glanzvollen Ertragszahlen zukünftig noch gesteigert werden können. Immerhin findet nach zunehmenden Wiedereröffnungen das Leben wieder mehr draußen und im Büro, weniger drinnen und im Homeoffice statt. Ist es also nach Ende der Sonderkonjunktur nicht höchste Zeit für ordentliche Gewinnmitnahmen, für „Sell on good news“? Sollte man nicht lieber in die von der Erholung der Weltkonjunktur profitierenden Industriemetalle, Energie- und Agrarrohstoffe oder Edelmetalle investieren, die auch noch einen Inflationsschutz bieten?
Zunächst jedoch bleiben Digitalisierung, Datenspeicherung in der Cloud, 5G-Ausbau und Automatisierung von Industrieprozessen nachhaltige Megathemen, die, weil sie auch noch Beschleunigung erfahren, veritable Gewinnquellen bleiben. Nicht umsonst haben Facebook & Co. allein 2020 ca. 130 Mrd. US-Dollar für Forschung und Entwicklung und 104 Mrd. für Ausrüstungsinvestitionen ausgegeben.
Die Dotcom-Blase damals war eine dünne Suppe. Dagegen bietet High-Tech heute ordentlich Nährwert. Folgerichtig nehmen große institutionelle Anleger den Abbau bei Tech-Aktien zugunsten substanzstarker Zykliker mit Augenmaß, nicht als Strukturbruch, vor.
Zudem dürften sich schädliche Inflations- und Zinsängste in den kommenden Monaten mäßigen. Bei Industriemetallen hat sich Korrekturpotenzial aufgebaut. Das liegt auch an Krediteinschränkungen in China, die die Rohstoffhausse und ihre inflationstreibende Wirkung bremsen.
Unbeirrt betrachtet die US-Notenbank die aktuell sprunghafte Inflationierung gemäß ihrem letzten Sitzungsprotokoll (sog. FOMC Minutes) als nur vorübergehend. Zwar halten einige Fed-Mitglieder eine Diskussion über den Anfang vom Ende der Anleihenkäufe für nötig, allerdings nur bei weiterhin raschen Konjunkturfortschritten. Im Übrigen sei diese Debatte keinesfalls ein Menetekel für zeitnahe restriktive Schritte. Ja, die Fed beherrscht auch das geldpolitische Spiel ohne Ball: Einerseits stellt sie mit Tapering-Gedanken glaubwürdige Handlungsfähigkeit zur Schau, andererseits behält sie den operativen Status Quo der Üppigkeit bei.
Tatsächlich vertrauen die Finanzmärkte darauf, dass die US-Notenbank jede Einschränkung ihrer Liquiditätsspritzen bzw. Zinsdiät mit äußerster Vorsicht und auch begrenztem Umfang angeht. Dabei hat die Fed auch den historisch hohen Bestand der Wertpapierkredite, also auf „Pump“ zinsgünstig finanzierte Aktienkäufe an der New York Stock Exchange, im Blick.
Bei einem harten Zinswende-Manöver brächen sie ein, was zunächst die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte schädigen würde.
Auch die EZB wird die Renditeanstiege bei Staatsanleihen im Zaum halten. Damit will sie auch dem Problem der Euro-Aufwertung gegenüber US-Dollar entgegenwirken, das sich an den Terminmärkten wieder formiert.
Auch wenn Inflationssorgen und Zinsängste bei näherer Betrachtung eher Einbildungsschmerzen sind, hält sich das Klischee hartnäckig wie Kaugummi am Schuh. Dass die Realzinsen tief in negativem Terrain verharren und insofern als Anlagealternative ausscheiden, verleiht Europas Aktienmärkten aber nachhaltige Stabilität.
Für Aktienstabilisierung sprechen ebenso umfangreiche Aktienrückkaufprogramme. Nach Angaben der US-Bank Goldman Sachs haben allein US-Unternehmen in diesem Jahr Rückkäufe im Umfang von insgesamt 484 Milliarden Dollar geplant. Das ist der höchste Wert seit zwanzig Jahren.
Wenn insgesamt zunächst keine neuen Rekordstände der Aktienindices erwartet werden, lautet das Zauberwort für die nächste Zeit Branchen- und Einzelwertrotation. Die kurzfristig interessante Story bringt die Rendite. Unabhängig davon haben Fluglinien bzw. Flughafenbetreiber, Touristikunternehmen und Banken weiterhin viel Potenzial. Jede Wiedereröffnung beschert ihnen massive Skaleneffekte.
Selbst beim Bitcoin wachsen Bäume nicht in den Himmel. Und andere Krypto-Währungen werden gleich mit in Sippenhaft genommen. Erinnerungen an den Krypto-Crash von 2018 werden wach.
Hintergrund dafür sind Zustände wie im Wilden Westen. Es ist verwerflich, wenn Prominente wie Elon Musk mit marktbeeinflussenden Tweets Kryptowährungen einmal himmelhoch jauchzen lassen und ein anderes Mal zu Tode betrüben. Sein plötzliches Herz für Klimaschutz beim sog. Mining störte ihn Anfang Februar noch wenig, als er einen Bitcoin-Hype anfachte, der ihm rund 100 Mio. Dollar Profit bescherte. Spätestens wenn derartige Erträge zur Aufhübschung der eigenen Bilanz verwendet werden, muss sich die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC - die ansonsten nie vor spanischer Inquisition zurückschreckt - einschalten.
Ohne klare (Anlage-)Regeln wird hohe Volatilität zum Charakter von Kryptowährungen gehören. Damit sind sie weder ein verlässliches Wertaufbewahrungsmittel noch - wie China zuletzt mitteilte - ein Zahlungsmittel. Sie stehen sich selbst im Weg. Aktuell sind sie nur Aprilwetter-hafte Spekulationsobjekte.
Dem gegenüber zeigt Gold in den letzten Wochen, was ein wirklich sicherer Hafen ist.
Schnelle Gewinnmitnahmen nach dem neuen Allzeithoch im DAX zeigen, dass sich das Aktien-Momentum im Sommer abschwächt. Für Panik besteht aber überhaupt kein Anlass. Es ist wie zuletzt mit einer volatilen Seitwärtsbewegung zu rechnen, kein massives Ausbrechen nach Norden oder Süden. Oben wird verkauft, um unten wieder einzusammeln.
Für ruhiges Aktien-Fahrwasser spricht auch, dass sich am US-Aktienmarkt der Anteil der Optimisten abzüglich des Anteils der Pessimisten eindeutig in neutrales Terrain zurückgezogen hat.
Dieses entspannte Bild bestätigt auch der Fear & Greed Index von CNN Money.
Bei Schaukelbörsen sind regelmäßige Aktiensparpläne ein wunderbares Anlageinstrument. Bei nachgebenden Kursen erhalten Anleger mehr Aktienanteile für ihr Geld. Bei zukünftig wieder steigenden Kursen sorgt dieses „Im Einkauf liegt der Gewinn“-Prinzip für einen großen Hebel der Kapitalvermehrung.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Unterseite erste Unterstützungen bei 15.197 und 15.085 Punkten. Nach Rücksetzern unter die Marke bei 14.894 stellen 14.845, 14.805, 14.759 und 14.621 die nächsten Haltelinien dar. Auf der Oberseite trifft der DAX bei 15.267 und 15.281 auf erste Widerstände. Bei weiterer Aufwärtsdynamik liegen die nächsten Barrieren bei 15.330, 15.364, 15.502 und 15.534 Punkten.