Nach langer Diskussion ist es soweit: Auf ihrer letzten Sitzung hat die US-Notenbank die Drosselung ihrer Anleihenkäufe schon ab November angekündigt. Demnach ist im Sommer 2022 die Liquiditätsausweitung beendet. Der Leitzins bleibt zwar zunächst unverändert. Im kommenden Jahr rechnen die Finanzmärkte jedoch mit ersten Erhöhungen. Auf den ersten Blick zeigt sich die Fed falkenhafter. Aber mit dem zweiten sieht man besser.
Nach Auslauf der Basiseffekte hat sich die US-Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte zwar abgeschwächt, zumal die fiskalische Krisenhilfe allmählich nachlässt. Dennoch präsentiert sich die Industriestimmung robust. Vor allem US-Dienstleister zeigen sich angesichts eines weniger bedrohlich eingeschätzten Corona-Verlaufs zuversichtlicher. Die gelockerten Einreise-Beschränkungen für konsumstarke europäische Touristen ab 8. November stützen die Stimmung weiter. Vor diesem konjunkturell aufgehellten Hintergrund wagt sich die Fed vorsichtig aus ihrem Krisen-Modus heraus.
Handlungsdruck für die Fed ergibt sich insbesondere an der Inflationsfront. Am Narrativ „transitorische Inflation“ hält man zwar fest. Doch spricht der Chef der Atlanta Fed, Raphael Bostic, von einem „dirty word“, einem Schmutzwort, das nicht der Realität entspricht. Immerhin liegt die US-Inflationsrate seit Juni über fünf Prozent. Und Schätzungen von sechs Prozent im Dezember machen bereits die Runde. Nach wie vor wird der akute Inflationsdruck von hohen Preise für Vorprodukte unterfüttert.
Dies schürt ebenso Ängste vor einer sich selbst verstärkenden Spirale aus steigenden Löhnen und Preisen. Insofern will sich die Fed nicht dem Vorwurf der Untätigkeit aussetzen und jetzt ein Zeichen setzen.
Konkret wird sie ab Mitte November das monatliche Aufkaufvolumen von bislang 120 Mrd. US-Dollar um 15 Mrd. - verteilt auf 10 Mrd. US-Staatsanleihen und 5 Mrd. Hypotheken besicherte Anleihen (MBS) - verringern. Damit würde die Liquiditätsoffensive der Fed Mitte Juni 2022 enden.
Allerdings behält sich die Fed vor, den Autopiloten bei Bedarf auszuschalten. Bei verschlechterten Konjunkturaussichten könnte sie das Tapering pausieren oder das Aufkaufvolumen sogar wieder erhöhen. Von einem Netto-Liquiditätsentzug ist ohnehin keine Rede. Das im Sommer 2022 neu erreichte Rekordniveau der Bilanzsumme der Fed von 9 Bio. Dollar bleibt grundsätzlich bestehen. Die verhaltene Reaktion amerikanischer Staatsanleihen beweist, dass geldpolitische Restriktion anders aussieht.
Dennoch hat an den Finanzmärkten der Countdown für eine Leitzinswende im kommenden Jahr begonnen. Steht dann tatsächlich der Einstieg in den Ausstieg aus der Null-Leitzins-Politik bevor? Fed-Chef Powell verteilt aber Beruhigungspillen und betont, dass mit dem Ende der Aufkäufe nicht automatisch eine Erhöhung der Leitzinsen verbunden ist. Er verweist auf die konjunkturelle Unsicherheit, die angepeilte Zinsanhebungen zu Eventualgrößen machen. Auch sei das Ziel der Vollbeschäftigung noch nicht erreicht.
Überhaupt kommt der Fed entgegen, dass sich allmählich Entspannungseffekte bei Rohstoffen wie Kohle, Naturgas oder Industriemetallen einstellen. Starke Nachfrage bei schwachem Angebot gleich sich wieder an, sobald der momentane Prozess der Wiederauffüllung der Lager abgeschlossen ist. 2022 wächst sich der Preisschub im Vorjahresvergleich zunehmend aus. Ausgerechnet die Rohstoffseite trägt dann zu einer Inflationsentschleunigung bei, die der Fed weiteren restriktiven Handlungsdruck abnimmt.
Auch in puncto Lieferketten sind Preisentspannungseffekte unverkennbar. Eine deutliche Reduzierung der Frachtraten laut Baltic Dry Index deutet auf vergrößerte Transportkapazitäten hin. Perspektivisch verringert das auch den Preisüberwälzungsdruck für Unternehmen an Kunden bzw. Verbraucher.
Tatsächlich hat die US-Inflation gemäß Citigroup Inflation Surprise Index zuletzt deutlich weniger überrascht als noch im Sommer. Bei Trendfortsetzung nimmt der Zinserhöhungsdruck auf die Fed ab.
Insgesamt ist nicht mit einer klaren Leitzinswende zu rechnen. Wenn überhaupt, sind 2022 zwei Leitzinsanhebungen möglich. Wir sprechen von keiner harten Zinswende, sondern einem milden Zinswendchen.
Nicht zuletzt muss die Fed das „Sorglos-Kreditumfeld“ für die geplanten Infrastruktur- und Sozialmaßnahmen über insgesamt rund drei Bio. US-Dollar aufrechterhalten. Angesichts der gigantischen Überschuldung Amerikas sind klar steigende Zinsen ohnehin unerwünscht. Das Platzen der Immobilienblase 2008 hatte das amerikanische Finanzsystem bereits an den Rand des Ruins gebracht, das nur mit unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen stabilisiert werden konnte. Das Bersten der heute noch viel umfangreicheren Anleiheblase - die größte Anlageblase aller Zeiten - wäre der ultimative Systemzusammenbruch. Das wird die Fed selbstverständlich verhindern.
Durch die meisterhafte Vorbereitung der Fed ist die Tapering-Ankündigung erwartet worden und keine böse Überraschung.
Ohnehin, auch mit Blick auf die markanten Wertpapierkredite an der New York Stock Exchange wird die US-Notenbank kein scharfes Zinswende-Manöver riskieren. Trotz des zuletzt leichten Rückgangs kreditfinanzierter Aktienkäufe vom vorherigen Rekordniveau vertrauen die Börsen auf das Fingerspitzengefühl der Fed.
Denn stark fallende Aktien könnten unkontrollierbare negative Vermögenseffekte auf Konsum und Investitionen nach sich ziehen.
Historisch betrachtet haben sanfte US-Zinserhöhungen die Aktienmärkte übrigens weiter ansteigen lassen.
Das gilt umso mehr, wenn Zinssteigerungen die Inflation nicht ausgleichen. Das hilft vor allem den höher bewerteten High-Tech-Titeln.
Noch weniger restriktiv zeigt sich die EZB. Mit einer für Notenbanker untypischen Direktheit betont Christine Lagarde, dass Zinsanhebungen 2022 „sehr unwahrscheinlich“ sind. Das spricht gegen jede Renaissance des Zinssparens.
Grundsätzlich zeugt die Zinserhöhungsdiskussion in den USA von einer stabileren Wirtschaft. Die Konjunkturprognosen für 2021 werden zwar zurückgestutzt, aber für 2022 erhöht.
Für Aktien fundamental optimistisch stimmt auch, dass sich der Economic Surprise Index für die Weltwirtschaft schrittweise in positives Überraschungsterrain zurückarbeitet.
In diesem Zusammenhang zeigt die in Deutschland angelaufene Berichtsaison in puncto „Vergangenheitsbewältigung“ ein freundliches Bild, was aufgrund des coronalen Vorjahresvergleichs zwar einfach ist. Doch fallen ebenso die Ausblicke z.B. im Chemie- und Industriesektor robust aus. Und da Unternehmen in Ausblicken nicht übertreiben wollen, da sie ansonsten nach Vorlage der tatsächlich schwächeren Ergebnisse abgestraft würden, ist offenbar genügend Konjunkturvertrauen vorhanden.
Insgesamt tritt Aktien-Europa aus dem Schatten der USA heraus. Die auslaufende Underperformance von europäischen zu US-Titeln in puncto Unternehmensgewinne dürfte sich zukünftig auch in einer besseren Wertentwicklung niederschlagen.
Selbst die von deutschen Politikern und Virologen geschürte Angst vor einem heißen Corona-Winterhalbjahr, um die lahmende Impfbereitschaft anzukurbeln, nutzt sich an den Börsen ab. Trotz wieder schärferer Social-Distancing-Regeln ist nicht mit erneut flächendeckenden Lockdowns zu rechnen.
Der Anteil der Optimisten gegenüber den Pessimisten am US-Aktienmarkt notiert in neutralem Bereich und lässt kein hohes Korrekturpotenzial erkennen. Die anhaltend hohe Investitionsquote unter US-Fondsmanagern spricht ebenso gegen nachhaltige Aktien-Schwächen.
Dennoch kann die stetige Jagd nach Allzeithochs an den US-Börsen für zwischenzeitliche Ermüdungen sorgen. Als Kontraindikator deutet darauf der Fear & Greed Index von CNN Money hin, der sich im Bereich „extreme Gier“ befindet.
Insgesamt dürfte sich der volatile Aufwärtstrend an den Aktienbörsen fortsetzen. Die ausgewogene Stimmungslage bildet eine gesunde Basis für im Trend steigende Kurse. Es gilt weiter: Buy the dips.
Aus charttechnischer Sicht würde im DAX ein Anstieg über 16.075 Punkte weiter steigende Kurse bis 16.185 und 16.300 ermöglichen. Kommt es hingegen zu einer Gegenbewegung, steigt die Gefahr einer Zwischenkorrektur bis an die Marken bei 15.998, 15.960, 15.922 und 15.843 Punkten.