Wegen Konjunkturerholung und hohen Rohstoffpreisen steigen auch die Inflationserwartungen. Früher bedeuteten Preissteigerungen am Morgen Zinssteigerungen mittags und fallende Aktienkurse am Abend. Schalten die Notenbanken beginnend mit der Fed bald auf Schubumkehr und ist sogar die Liquiditätshausse als langjähriges Mega-Thema gefährdet? Hoch bewertete Aktien zeigen bereits Wirkung wie ein angeschlagener Boxer. Wiederholt sich also Börsengeschichte? Kommt der zinsseitige Kipppunkt für Aktien?
Selbst die Lockdown-geplagte deutsche Wirtschaft zeigt laut ifo Geschäftsklimaindex klaren Auftrieb. Die deutlich angesprungene Konjunktur in China und positive US-Frühindikatoren stimmen deutsche Exporteure so optimistisch wie zuletzt Ende 2018.
Setzt man ifo Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung, befindet sich die deutsche Wirtschaft zwar noch in der konjunkturellen Zyklusphase „Abschwung“. Doch arbeitet sie sich klar in den „Boom“ vor.
Auch markante Preisaufschläge bei Rohstoffen beweisen die Konjunkturdynamik.
Die Preiserwartungen in den USA und der Eurozone steigen im Trend. Für Deutschland machen sogar Inflationsschätzungen von drei Prozent zum Jahresende die Runde. Das gab es zuletzt im August 2008.
Das nahende Lockdown-Ende setzt auf einen Schlag aufgestaute Kaufkraft wie ein berstender Staudamm frei. Und weitere Konjunkturspritzen in Amerika und Europa sorgen für noch mehr Dampf im Inflations-Kessel. Tatsächlich wirkt das 1,9 Bio. US-Dollar schwere US-Konjunkturpaket wie ein Zucker-Schock auf den Konsum.
Mit wachsender Reflationsphantasie nimmt an den Finanzmärkten ebenso die Angst vor einem Ende der geldpolitischen Happy Hour zu. Kommt es zu einem Ende der üppigen Staatsanleihekäufe der Fed? Immerhin steigt die US-Zinsstrukturkurve - das Verhältnis von lang- zu kurzfristigen US-Anleiherenditen - ähnlich stark an wie zuletzt 2013.
Und folgen dann bald auch Leitzinserhöhungen?
Doch hat US-Notenbankchef Powell den Finanzmärkten die Angst vor plötzlicher Zinserhöhungs-Wut (sog. Taper-Tantrum) genommen. Spekulationen, wonach die Fed bereits auf ihrer Sitzung am 16. März angesichts angehobener Konjunktur- und Inflationsprognosen dieses böse T-Wort ausspricht, wurden im Keim erstickt. Im Rahmen seiner Anhörung vor dem US-Kongress betonte Powell sogar, dass es mehr als drei Jahre brauchen werde, bis die Fed ihr Inflationsziel erreiche.
Ohnehin will sie die erst startende Konjunkturerholung nicht mit unnötigen geldpolitischen Einschränkungen erschweren. Immerhin sind noch immer 10 Millionen Amerikaner mehr ohne Job als vor der Pandemie. Es wäre ein Gesichtsverlust, wenn die Fed nach anfänglicher Restriktion bald darauf schon wieder lockern müsste.
Zudem betont die US-Notenbank, dass es Nachhol- bzw. Basiseffekte der Wirtschaft und bei Rohstoffen sind, die die anstehende Inflationsbeschleunigung auslösen. Wenn diese ausgelaufen sind, wird sich auch der Inflationsanstieg wieder normalisieren.
Hier kommt auch die neue Inflationsdoktrin der Fed zum Tragen, gemäß der nach langer Zeit unter- auch Zeiten vorübergehend überdurchschnittlicher Preisbeschleunigung ignoriert werden.
Nicht zuletzt, nach der Immobilienkrise 2008 dokumentiert sich der früher große Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Inflation weniger stark. Selbst die großen Steuersenkungen der Trump-Regierung haben weder die Kapazitätsauslastung noch die Inflation deutlich erhöht. Zunächst lassen US-Unternehmen weltweit produzieren und die fortschreitende Digitalisierung hat die Produktivität gesteigert. Zudem hat der Dienstleistungssektor deutlich zugenommen, der von typischer industrieller Kapazitätsauslastung weniger betroffen ist.
Dann ist da noch die Kraft des Faktischen: Deutliche Renditeanstiege würden angesichts der weltweiten Staatsverschuldung zu Finanzrisiken führen. Die Finanz-Mathematik lässt sich nicht austricksen. Allein 2020 wurden weitere 20 Billionen US-Dollar Schulden angehäuft. Aber es gibt ja eine Lösung: Die Weginflationierung von Verschuldung - die Zinsen liegen unterhalb der Preissteigerung - ist auch in Europa hoffähig geworden.
Wenn die Corona-Beschränkungen und die Konjunkturkrise weitgehend überwunden sind, wird die Fed zwar ihre Stabilitätsgrundsätze verbalerotisch betonen. In der zinspolitischen Praxis kommen aber nicht die Streitaxt und nicht der Säbel, sondern das leichte Florett zum Einsatz. Nach langjähriger Zins-Diaspora kann jede Zinswende nur ein Zinswend-chen sein. Sie muss zärtlich erfolgen.
Denn die Erfahrungen des Jahres 2013 hat die US-Notenbank nicht vergessen. Damals haben bereits kleinste Andeutungen des Fed-Chefs Bernanke hinsichtlich einer Reduzierung der Liquiditätszuführung zu einer Verdoppelung der Anleiherenditen von ca. 1,5 auf drei Prozent geführt. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Die Fed muss das „Ob“, „Wie“, „Wann“ und - besonders wichtig - das „Wie viel“, das eher ein „Wie wenig“ sein wird, klar kommunizieren, damit große institutionelle Anleger nicht aus unberechtigter Zinsangst vorbeugend und zur Sicherung ihrer Buchgewinne massiv US-Anleihen verkaufen. Dieser Zinsschock träfe nicht nur den Aktienmarkt, sondern auch die Konjunktur.
Konkret würde die Fed monatlich immer noch netto Anleihen in Milliardenhöhe aufkaufen, wenn auch im Zeitablauf immer weniger. Doch selbst bei Aufkaufende würde der üppige Bestand an Liquiditätsvolumen durch die Wiederanlage fällig werdender Anleihen erhalten.
Und sollte es wider Erwarten doch zu spürbaren Renditebeschleunigungen kommen, wird die Fed nicht zögern und Zinskurvenkontrolle betreiben. Länger laufenden Staatsanleihen wird dann geldpolitisch „verboten“, über ein bestimmtes Niveau anzusteigen. Von steigenden US-Notenbankzinsen ist ohnehin nicht die Rede.
Grundsätzlich betreibt die Fed weiter eine freundliche Konjunktur- und Aktienpolitik. Übrigens gewinnen Zinsmärkte nicht an Attraktivität, wenn anziehende Renditen von ebenfalls anziehender Inflation ausgeglichen werden.
Insgesamt, wenn einerseits die Anleiherenditen vergleichsweise wenig ansteigen und andererseits die Gewinnrenditen ihren Vorsprung behalten bzw. über die konjunkturelle Besserung ausweiten, droht dem Aktienmarkt kein wirkliches Ungemach.
Und die EZB? Sie steht erst Recht nicht im Verdacht, den Finanzmärkten irgendeine Daumenschraube anzulegen. Euro-politische Konfliktherde und wegen Reformschwäche vergleichsweise weniger opulente Wachstumspotenziale machen sie zum europäischen Rettungsinstrument auf Lebenszeit. Es gibt keinen kalten Entzug von Amphetaminen.
Angesichts rasanter Impf-Fortschritte liefert Großbritannien eine Blaupause für die vollständige Beendigung von Lockdowns. Davon kann Deutschland angesichts seiner - charmant ausgedrückt - verbesserungsfähigen Impfpolitik nur träumen. Dennoch wird selbst bei uns von ersten Öffnungen und Schritten in Richtung Normalität gesprochen. Sich verschlechternde Wahlumfragen haben auch den hitzigsten Politiker noch nie kalt gelassen.
Aufgrund der vermeintlichen Zinsangst verlieren vor allem Aktien aus dem Technologie- und dem Wasserstoffbereich ihre Überlegenheit, zumal ihr Status als Corona-Krisen-Gewinner über zunehmende Wirtschaftsöffnungen etwas nachlässt. Dennoch wird High-Tech von seinen soliden Geschäftsmodellen und das neue Mega-Thema Clean Energy von politischer Unterstützung profitieren. Bei Aktienauswahl ist der Substanz aber erhöhte Beachtung zu schenken.
Aktuell sind jene Branchen überzugewichten, denen konjunkturelle Nachholeffekte zugutekommen. Der Fokus liegt auf zyklischen Industrie- und Rohstoffwerten, Reise- und Freizeitaktien sowie Banken. Value hat die Oberhand gegenüber Growth gewonnen, aber nicht als K.o., sondern als Rundengewinn.
Der DAX ist aktuell in Moll-Stimmung. Von zwischenzeitlichen Gewinnmitnahmen und mehr Volatilität ist zunächst auszugehen. Dramatisches Konsolidierungspotenzial ist jedoch nicht zu erwarten. Das gilt auch für den US-Aktienmarkt, der gemäß Fear & Greed Index von CNN Money nur noch leicht im „Greed“-Terrain notiert.
Charttechnisch liegen bei Rücksetzern unter das Wochentief von 13.665 weitere Unterstützungen bei 13.639 und 13.597 Punkten. Werden auch diese unterschritten, liegen weitere Haltelinien bei 13.475 und schließlich 13.310. Bei Erholung trifft der DAX zunächst bei 13.740 und 13.825 auf Widerstand. Wird dieser durchbrochen nimmt der Index Kurs auf die Barrieren bei 13.830, 13.870 und 13.879. Darüber hellt sich das Bild in Richtung 13.950 Punkte auf.