Mit Blick auf die viralen Konjunkturprobleme und Strukturdefizite der Eurozone kann sich die EZB Stabilitätsluxus nicht leisten. Unbeirrt steht sie für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme zu schmerzfreien Zinskonditionen. Auch ihre Liquiditätsausstattung auf Rekordniveau wirkt wie ein Glaubensbekenntnis für Aktien. Den Preis der unendlichen geldpolitischen Euro-Rettung zahlen die Zinssparer. Sie können sicher sein, dass der nächste Weltspartag ein Volkstrauertag sein wird.
Auf ihrer Sitzung zeigt sich die EZB für den Jahresverlauf zwar weniger konjunkturpessimistisch. Dennoch hat sich das Kreditwachstum in der Eurozone zuletzt wieder abgeschwächt. Die Liquidität kommt realwirtschaftlich nicht adäquat an.
Selbst ein beschleunigtes Impftempo im II. Quartal führt nicht automatisch zu einer nachhaltigen Konjunkturerholung. Denn auch angesichts wirtschaftlich schwacher Standorte bleibt die Konjunktur in der Eurozone hinter der in Amerika und Asien zurück.
So fehlt es an Kraft für eine nachhaltige Inflationierung, nachdem die preissteigernden Basiseffekte ausgelaufen sind. Das erlaubt der EZB „Deflations-Propaganda“. Sie will die Leitzinsen so lange auf ihrem aktuellen oder niedrigeren Niveau belassen, bis sich Preissteigerungen von zwei Prozent einstellen und sich dies „in der Dynamik der zugrundeliegenden Inflation durchgängig widerspiegelt“. Im Klartext: Nach langer Verfehlung des Inflationsziels wird ein Überschießen über zwei Prozent zu keiner Straffung führen, sondern barmherzig toleriert.
Entsprechend vollzieht die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen den Aufschwung der Inflationserwartungen nicht nach, obwohl historisch ein enger Gleichlauf typisch ist.
Tatsächlich geht die EZB mit Anleihenaufkäufen weiter streng gegen ungewollte Renditeanstiege bei Staatsanleihen in der Eurozone vor. Liquiditätszuwendungen erfahren insbesondere südliche Euro-Länder. Ihr Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) will die EZB mindestens bis März 2022 und in jedem Fall so lange durchführen, bis die Corona-Krise überstanden ist. Sie wird PEPP bei Bedarf sogar ausweiten, um die günstigen Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten und so dem pandemischen Konjunktur-Handicap entgegenzuwirken.
Doch was ist, wenn die an Dynamik zunehmende Impfkampagne in den kommenden Monaten ein Ende der Lockdown-Maßnahmen und Wirtschaftsbelebungen nach sich zieht? Spätestens dann müsste die EZB wie früher die Bundesbank stabilitätspolitische Verantwortung zeigen. Doch kennt die EZB ihre Zusatzaufgabe: Sie muss den europäischen Zusammenhalt, den europäischen Frieden, finanzieren. (Geld-)Geschenke erhalten nun einmal die Freundschaft.
Mit einem absehbaren Ende der Liquiditätsschwemme ist also nicht zu rechnen. Insofern könnte die EZB im Gegenzug für das planmäßige Ende von PEPP im März 2022 ihre herkömmlichen Anleihenaufkäufe (PSPP) von aktuell 20 Mrd. pro Monat kompensierend erhöhen. Und treten dennoch unerwünschte Renditeanstiege auf, wird die EZB mit vorgezogenen Käufen - „front loading“ - reagieren. Diese Flexibilität erinnert an die Fed.
Mit festgenagelten Leitzinsen und gedrückten Renditen betreibt sie ohnehin schon zumindest indirekte Zinskurvenkontrolle. Dabei sind inoffiziell Zinsen, die unterhalb der Preissteigerung liegen, auch deshalb sehr erwünscht, weil sie das Weginflationieren von Staatsschulden erlauben.
Aufgrund der illusorischen Zinswende setzen die Terminmärkte eher auf Euro-Schwäche.
Irgendwer muss doch die Modernisierung der Euro-Wirtschaft und ihren grünen Umbau finanzieren. Man kann doch Amerika nicht tatenlos zuschauen, das sich von der Fed die wirtschaftliche Zukunft finanzieren lässt.
Und so finanziert das zinsgünstige Liquiditätsangebot auch neue Konjunktur-, Umwelt- und Reformprogramme. Der ehemalige EZB-Chef Draghi legt als aktueller Premierminister richtig los: Seit Amtsantritt im Februar hat er das schuldenfinanzierte Ausgabeprogramm der Vorgängerregierung um 70 Mrd. auf rund 170 Mrd. Euro aufgestockt. Dieses aktuell größte Wirtschaftsprogramm Europas dürfte zügig Nachahmer finden.
Das Zweckbündnis zwischen EZB und jeweils nationaler Finanzpolitik im Sinne von Staatsfinanzierung wird immer enger. Die Schuldentragfähigkeit bleibt gewährleistet.
Angekündigte Reformoffensiven klingen zwar gut. Aber sie müssen auch konsequent umgesetzt werden. Man muss der Gefahr ins Auge schauen, dass auch wahlpopulistische und politische Prestigeobjekte eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie reibungslos finanziert werden. Der entscheidende Druck, die Anreize, fehlen, wenn eine weiter reformrenitente Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht durch erhöhte Risikoaufschläge auf nationale Staatsanleihen bestraft wird.
Alle Katzen sind aus dem Sack. Die Kanzlerkandidatin bzw. die Kanzlerkandidaten sind jetzt bekannt. Wer auch immer ab Herbst das Zepter in Deutschland in welcher Koalition übernimmt: Die ökonomischen Herausforderungen sind nicht weniger als gewaltig.
In den letzten Jahren ist deutsche Wirtschaftspolitik behäbig geworden. Während die industrielle Konkurrenz aus Fernost und Fernwest hart trainiert und sich fit für die wirtschaftliche Zukunft macht, hat es sich Deutschland in den letzten Jahren wie eine Couch Potato bequem gemacht. Es fehlte an zukunfts- und innovationsfreundlichen Entscheidungen, die unser Land einst stark gemacht haben. In einigen Bereichen ist Deutschland sogar ein Sanierungsfall. Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat drastisch gelitten. Daher konnte unsere Konkurrenz ohne Not aufholen.
Und daher muss der bisherige Weg des (wirtschafts-)politisch geringsten Widerstands schnell verlassen werden. Der Reformstau und die Sanierungsbaustellen müssen auf allen Ebenen beseitigt werden. Digitalisierung, effiziente Infrastruktur und Bildung müssen Vorrang vor Steuererhöhungen, weiterer Drangsalierung des Mittelstands und hypermoralisierender, selbstgerechter, mangelverwaltender und neo-sozialistischer Gesundbetung haben, die immer nur den kleinsten gemeinsamen, bloß nicht schmerzenden Nenner sucht. Es ist wie beim Zahnarzt. Bei Karies, Parodontose und Zahnfäule hilft doch keine süße Schokolade, die das Problem noch vergrößert. Es hilft nur der Bohrer, der zwar zunächst Schmerzen verursacht, die aber nötig sind, um später keine mehr zu haben.
Angesichts zunehmender Umweltverschmutzung und Erderwärmung ist Klimaschutz ohne Zweifel die größte Baustelle der Menschheit. Doch darf man das Thema nicht nur ideologisch betrachten. Es ist auch ein Jahrhundert-Geschäftsmodell, das Wachstum und Arbeitsplätze verspricht. Zum Glück ist Klimatechnik Made in Germany in vielen Bereichen absolute Weltklasse. Insofern muss Berlin alles dafür tun, dass dieses Know-How zukünftigen Wohlstand als Alternative zur Old Economy schafft. Arbeitnehmer z.B. im rheinischen Braunkohletagebau oder am Fließband in der Autofabrik wollen doch keinen nahtlosen Übergang vom Kurzarbeitergeld zu bedingungslosem Grund- oder Garantieeinkommen. Sie wollen einen ordentlichen Job, damit sie und ihre Familien eine Perspektive haben.
Diese Talente darf deutsche Wirtschaftspolitik nicht ähnlich wie im Gleichnis aus dem Evangelium nach Matthäus ungenutzt lassen. Die Welt wartet nicht auf uns. Unter Joe Biden wird Amerika das Thema Nachhaltigkeit richtig großmachen, nicht zuletzt, weil es Arbeitsplätze verspricht und damit die gespaltene US-Gesellschaft versöhnt. Versöhnung braucht Deutschland aber auch.
Dringend erforderlich ist es auch, dass die Politik die Aktie als Instrument der Altersvorsorge begreift, indem man z.B. regelmäßige Sparpläne steuerlich fördert. Bislang schaut man tatenlos zu, wie Zinssparer Vermögensvernichtung betreiben. Das würde auch dem deutschen Aktienmarkt nachhaltig guttun.
Im Vergleich zu den Vorjahren befindet sich der globale Economic Surprise Index der Citigroup - er misst die Abweichung veröffentlichter Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen - zwar auf hohem Niveau. Da aber die Börsen scheinbar die „perfekte“ Konjunkturerholung eingepreist haben, überraschten die Fundamentaldaten zuletzt immer weniger. Setzt sich dieser „Unterraschungs“-Trend fort, könnte die Dynamik an den Aktienmärkten zwischenzeitlich nachlassen. Angst vor nachhaltigen Kurseinbrüchen ist aber nicht angebracht.
Denn auch in der nächsten Woche heißt es: „Don’t fight the Fed“. Die Finanzmärkte vertrauen darauf, dass die US-Notenbank jede Einschränkung neuer Liquiditätsspritzen mit äußerster Vorsicht angeht. Dabei hat sie auch den historisch hohen Bestand der Wertpapierkredite, also auf „Pump“ zinsgünstig finanzierte Aktienkäufe an der New York Stock Exchange, im Blick.
Sie haben in hohem Maß zur Hausse am US-Aktienmarkt beigetragen. Bei hartem Liquiditäts-Entzug brechen zunächst die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte ein. So weit wird es die Fed nicht kommen lassen. Ihre anhaltend zinsgünstige Refinanzierung lädt weiter zur Aktienspekulation ein.
Aus Sentimentsicht hält sich der deutliche Überhang an Optimisten hartnäckig und deutet als Kontraindikator auf zwischenzeitliche Konsolidierungen hin. Auch die Steuerpläne der US-Regierung - was man seit 1993 nicht mehr kennt - können die Stimmung zwischenzeitlich trüben. Damit kühlen sich allerdings auch die Überhitzungen, was für stabile Aktienmärkte sorgt.
Charttechnisch setzt sich die Aufwärtsbewegung im DAX bei Überschreitung des Widerstands bei 15.404 Punkten fort. Darüber liegen weitere Barrieren bei 15.418 und 15.515. Werden auch diese überschritten, treten Widerstände bei 15.645 und 15.850 in den Vordergrund. Auf der Unterseite liegen bei Gewinnmitnahmen die ersten Unterstützungen bei 15.326 und 15.312. Darunter bieten die Marken bei 15.284 und 15.263 Halt. Werden auch diese unterschritten, muss mit Rücksetzern bis 15.149 und 15.111 Punkten gerechnet werden.