Statt der noch zu Jahresbeginn erwarteten Hochkonjunktur steuert Deutschland in eine Konjunkturdelle hinein. Die verschlechterte Handelsstimmung zeigt eindeutig realwirtschaftliche Wirkung. Zwar ist die deutsche Wirtschaft krisenerprobt und kann auf alle typischen Konjunkturflauten professionell reagieren. Doch nach Jahrzehnten eines immer weiter zunehmenden Freihandels fehlt den auf Export getrimmten deutschen Unternehmen eine Blaupause für den Umgang mit Handelsprotektionismus. Vor allem würde eine weitere unklare Entwicklung im Handelsstreit zwischen den USA und Europa für latente Verunsicherung bei deutschen Exportaktien sorgen.
Die handelsseitige Stimmungsverschlechterung spiegelt sich zunehmend in den „harten“ Konjunkturdaten der deutschen Wirtschaft wider. Auch die stabile Binnenwirtschaft kann keine vollständige Kompensation für die Nachfrageschwäche insbesondere aus dem außereuropäischen Ausland leisten.
Selbst das vom ifo Institut ermittelte Wirtschaftsklima für das weltweite Verarbeitende Gewerbe hat im II. Quartal 2018 in Folge des Handelskonflikts erstmals spürbar nachgegeben. Doch setzt man die Einschätzungen der ifo Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung, befindet sich die Weltwirtschaft noch in der konjunkturellen Zyklusphase „Boom“. Trotz eines Dynamikverlustes ist der Aufschwung also nicht beendet.
Im Gegensatz zum Handelsprotektionismus wird die deutsche Exportwirtschaft vom wieder abwertenden Euro gestützt, der sich bereits deutlich von seinem Jahreshoch von 1,2505 im Februar entfernt hat. Über wieder nachgebende Netto-Long-Positionen am Terminmarkt wird der Trend einer weiteren Euro-Abwertung zum US-Dollar auf 1,16 verstärkt.
Für Exportunternehmen entfällt damit ein bis zuletzt markantes währungsseitiges Handels-Handicap.
Vor allem die nebulöse Handelsstrategie der USA sorgt für konjunkturelle Verunsicherung. Müssen sich die deutschen Unternehmen, die schon lange auf einen reibungslosen Welthandel ausgerichtet sind, auf einen markanten Strukturbruch mit Umsatz- und Gewinneinbußen einstellen?
Die US-Regierung hat der EU mit der Aufschiebung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium bis zum 1. Juni eine Verschnaufpause gewährt. Scheint es Trump weniger um protektionistische Abschottung, als vielmehr um gesenkte Importzölle für amerikanische Waren in die EU gehen? Die EU wird schon aus eigenem Exportopportunismus Angebote zum Abbau ihrer Handelszölle machen. So ist es bereits zwischen den Zeilen der deutschen und EU-Wirtschaftspolitiker zu lesen.
Immerhin, die zuletzt eingebrochenen Konjunkturerwartungen des Finanzdatenanbieter Sentix zeigen neuerdings für die nächsten sechs Monate zarte Stabilisierungserscheinungen in Asien, den USA, aber auch in Deutschland. Damit signalisieren sie Entspannung im Handelsstreit.
Allerdings wird der US-Präsident das wahlpopulistische Handelsthema und den hohen Exportüberschuss Deutschlands bis zur Kongresswahl im Herbst weiter ausschlachten. Zwischenzeitliche handelspolitische Misstöne via Twitter mit Kollateralschäden bei Aktien müssen ausgehalten werden.
Die USA haben das Atomabkommen mit dem Iran schließlich doch aufgekündigt und ihre Anfang 2016 aufgehobenen Sanktionen wieder in Kraft gesetzt. Das Ölangebot wird sich aber nur unwesentlich verknappen, da sich zunächst mit China, Indien, Südkorea, Japan und der EU die wichtigsten Abnehmerländer von iranischem Öl den amerikanischen Sanktionen nicht anschließen. Zudem wird die US-Fracking-Ölproduktion beim aktuell hohen Preisniveau für konventionelles Öl weiter ausgeweitet. Die Angebotslücke der Opec wird damit im Jahresverlauf geschlossen. Nicht zuletzt dürfte der Markt auch eine Anhebung der Opec-Produktion im nächsten Jahr vorwegnehmen, wenn das Kürzungsabkommen wie bislang vorgesehen Ende des Jahres ausläuft. Insofern droht der Weltkonjunktur durch die sich wieder abschwächenden Ölpreise kein nachhaltiger Schaden. Der Zusammenhang zwischen steigenden Ölpreisen und Inflation ist ohnehin nicht mehr so eng wie früher. Binnen Jahresfrist ist der Ölpreis über 50 Prozent angestiegen, ohne eine bedeutende Wirkung auf die Preissteigerungen zu haben.
Die zuletzt nüchternere Konjunkturstimmung und die Aussicht auf ein ruhiges Ölpreis-Inflations-Szenario verschaffen den Notenbanken das passende Alibi für die Hinauszögerung einer restriktiveren Geldpolitik. Tatsächlich haben vor allem die EZB und die Bank of Japan bereits Entspannung signalisiert. Die größte Alternativanlageklasse „Zinsvermögen“ bleibt unattraktiv und stellt keine nennenswerte Alternative für die Aktienmärkte dar.
Zwar sind institutionelle Anleger laut der jüngsten Fondsmanager-Umfrage von Merrill Lynch besorgt, die Höchststände an den Aktienmärkten bereits gesehen zu haben. Darauf haben sie konsequenterweise mit deutlich unterdurchschnittlichen Aktienquoten bzw. starken Absicherungsgeschäften reagiert. Als Kontraindikator deutet dies darauf hin, dass die Aktienmärkte in den kommenden Wochen dann Fahrt aufnehmen, wenn sich der Handelskonflikt entschärft. Bei einer Verschärfung ist zwar mit Aktienkonsolidierungen zu rechnen. Erstens dürfte sich aufgrund der geringen Investitionsquoten der Finanzprofis der Aktienschaden aber in Grenzen halten. Und zweitens stehen Zoll- und Zinsangst in Wechselbeziehung: Nimmt die Zollangst zu, lässt die Zinsangst wegen konjunktureller Ernüchterung ab.
Im Übrigen stützt die wieder anziehende Übernahme- und Fusionsphantasie die Aktienbörsen. Weltweite Umsatz- und Marktanteilsausweitung findet schwerpunktmäßig in der Telekommunikation, bei Medien und im Konsum statt. Da die jeweiligen Branchenwettbewerber zur Sicherung der eigenen Marktposition auf diese Konzentrationen reagieren müssen, ist für fortschreitende M&A-Aktivitäten gesorgt. Grundsätzlich stabile Aktienmärkte ermöglichen Übernahmen durch Bezahlung in eigenen Aktien wie zuletzt bei der geplanten Übernahme von Sprint durch T-Mobile US. Damit nährt die gute Aktienstimmung die Übernahme-Hausse, die wiederum die Aktien stützt. Im Übrigen sind angesichts der nach wie vor günstigen Zinskonditionen auch Fremdfinanzierungen gut zu stemmen.
Allerdings sorgt das Scheitern einer Regierungsbildung in Italien mit der Folge von Neuwahlen zwischenzeitlich für politische Verunsicherung. Extrementwicklungen wie ein Euro-Austritt Italiens sind aber nicht zu befürchten. Die Aussicht, sich nicht mehr an den Brüsseler Fleischtöpfen bedienen zu können bzw. sich nicht durch die EZB subventionieren zu können, ist auch für die lautesten Euro-Kritiker Italiens ein Argument pro Europa.
Charttechnisch liegt der erste Widerstand beim DAX bei 12.951 Punkten. Kann der Index diesen nachhaltig überschreiten, folgt das nächste Kursziel bei 13.301. Darüber nimmt der Index die Barrieren bei 13.443 und am Allzeithoch bei 13.526 Punkten ins Visier. Kommt es zu Gewinnmitnahmen und werden dabei die Unterstützungen bei 12.828 und 12.722 unterschritten, ist vorerst mit Kursverlusten bis zu den Marken bei 12.651, 12.524 und schließlich 12.489 Punkten zu rechnen. Weitere Haltelinien folgen bei 12.450 und 12.335. Diese ist besonders massiv ausgeprägt.
In China deuten die April-Zahlen zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen auf eine stabile Konjunkturlage hin. Mit Blick auf die Wachstumsverlangsamung im I. Quartal 2018 und blutleere Inflationszahlen kann sich die Bank of Japan noch lange keinen Rückzug aus ihrer ultralockeren Geldpolitik leisten.
In den USA vermitteln stabile Einzelhandelsumsätze ein freundliches Konsumbild, während sich die US-Industrie gemäß Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed und Industrieproduktion im April von ihrer beständigen Seite zeigt. Die Baubeginne und -genehmigungen in den USA trotzen dem gestiegenen Kreditzinsniveaus.
In der Eurozone entspannen die schwachen, finalen Inflationszahlen für April jeglichen Zinserhöhungsdruck. Von besonderem Interesse ist, wie die neuerlichen ZEW Konjunkturerwartungen die Zollängste einpreisen.