Obwohl Europa und Deutschland mit schweren Strukturproblemen, rezessiven Tendenzen und drohenden Handelskonflikten kämpfen, glänzen europäische Aktien seit Jahresanfang nicht nur absolut, sondern auch relativ gegenüber den lange Zeit unerreichbaren US-Indices. Kann diese Entwicklung weitergehen?
Die Sentix Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate zeigen einen fruchtbaren Nährboden für Amerika und die asiatischen Schwellenländer. Selbst in der Eurozone lässt der Pessimismus nach. Ein positives Signal ist sicherlich, dass die EU endlich über die Mobilisierung von 200 Mrd. Euro im Rahmen ihrer InvestAI-Initiative ihre Defizite in Künstlicher Intelligenz angeht. U.a. ist der Aufbau von vier KI-Gigafabriken geplant.
Deutschland bleibt trotz Anstieg Schlusslicht. Dass die Vereinigten Arabischen Emirate grundsätzlich lieber in die Digitalisierung Frankreichs investieren, muss Berlin zu denken geben. Um Investitionen auch wieder nach Deutschland zu leiten, muss die neue Bundesregierung, obwohl sie als Koalition wieder verschiedene Polit-Ansätze zu vereinen hat, ab Frühjahr auf allen Ebenen hart reformieren. Trump ist hier als Glück im Unglück anzusehen, als hoffentlich heilsamer Schock. Sein Druck auf Deutschland ist so gewaltig, um dem Status als staatswirtschaftlichem couch potatoe abzuschwören und sich marktwirtschaftlich fit zu machen.
Trumps Zollandrohungen von 25 Prozent auf Stahl, Aluminium sowie Zwischenprodukte ab dem 12. März sind sicher noch nicht das Ende der Drohungs-Fahnenstange.
Man kann nicht behaupten, dass Trump ein Hund ist, der bellt, aber nicht beißt. Doch will er mit seinem herzhaften Auftreten in Verhandlungen möglichst gute Deals für Amerika erzielen. Zwar werden aus Gründen der Glaubwürdigkeit auf der Gegenseite auch die Zoll-Messer gewetzt. Doch wird auch Gesprächsoffenheit signalisiert. Die EU könnte wie bereits 2018 gesteigerte Agrar-Importe und großvolumige Lieferverträge für US-Flüssiggas, aber ebenso höhere Verteidigungsbudgets und Käufe von US-Waffen anbieten.
Die US-Administration weiß, dass handelspolitische Verunsicherung zu Investitionszurückhaltung der US-Unternehmen führt. Im Fall der massiven Umsetzung von Zöllen kommt es zunächst zu schweren Schädigungen der Lieferketten. So kommt etwa die Hälfte der Vorprodukte in den USA aus dem Ausland, darunter auch Stahl und Aluminium. Eine weitere Nebenwirkung ist mehr Inflation, die jetzt schon hartnäckig hoch ist. Denn die Unternehmen werden sicher ihre Gewinnmargen nicht reduzieren, sondern die Preise weitergeben. Und höhere Preissteigerungen führen auch zu höheren Schuldzinsen. Das kann der sich immer mehr verschuldende Staat gar nicht aushalten, auch wenn Musk dem amerikanischen Haushalt mit der Kettensäge begegnen will.
Kommt es dann auch noch zu Enttäuschungen bei der Umsetzung von Deregulierung und Steuersenkungen für Unternehmen sowie Infrastrukturmaßnahmen, sind Stimmungsdämpfer in der US-Wirtschaft nicht zu verhindern.
Tatsächlich haben die US-Gewinnerwartungen für die nächsten 12 Monate einen Dämpfer erhalten. Die in der Eurozone und Japan mögen sich vergleichsweise auf niedrigerem Niveau befinden. Doch verlaufen sie stabil bzw. aufwärtsgerichtet. Der relative Gewinnvorteil Amerikas lässt nach.
Und auch von der US-Geldpolitik kommt kein Rückenwind mehr für die Wirtschaft. Notenbankchef Powell hat es mit Zinssenkungen nicht eilig. Angesichts auch von steigenden Inflationsbefürchtungen der Privaten und Unternehmen bleibt die Fed inflationskritisch.
Angesichts der Neubewertung von KI trägt ebenso die phantasielose Zinssenkungsphantasie dazu bei, die Hochbewertung von High-Tech-Aktien, die die Hausse der letzten Jahre anführten, noch kritischer unter die Lupe zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund ist Trump kein Ideologe, der stur an seinen Planungen festhält, wenn die Gefahr besteht, dass sie als Bumerang für die US-Wirtschaft und Wall Street zurückkommen. Er ist wechselhaft wie das April-Wetter. Er passt sich an, insbesondere wirtschaftspolitisch. Insofern ist er für die Gegenseite bei Verhandlungen trotz seiner vielen Querschüsse durchaus berechenbar.
Euro Stoxx 50 und DAX zeigen sich daher trotz harter US-Handelsrhetorik gelassen und bilden neue Allzeithochs aus.
Europäischen Firmen kommt ohnehin zugute, dass sie umsatz- und produktionsseitig international breit aufgestellt sind und damit mehr Manövriermasse haben als die US-Konkurrenz. So können sie potenzielle Zölle gut parieren, indem sie die Standortvorteile im vielfach wichtigsten Absatzmarkt USA oder auch in den aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften nutzen.
Es gibt ein weiteres Argument für europäische und deutsche Aktien. Es bestehen berechtigte Hoffnungen auf Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg. Nicht zuletzt geht es Trump hierbei darum, mit Putin wieder ins Gespräch zu kommen. Er will es aus der einseitigen Umklammerung Pekings lösen, damit Amerika gegenüber China an geopolitischer Stärke gewinnt. Jeder Deal zwischen Trump und Putin wird mehr als nur ein Geschmäckle haben. Der US-Präsident bindet die NATO-Verbündeten nicht ein. Sie sind nur noch nicht ernstgenommene Statisten. Und die Ukraine wird großen Gebietsabtretungen zustimmen müssen und auch kein NATO-Land. Auch das ist ein Weckruf für Europa, sich endlich zusammenzuraufen.
Immerhin kommt den europäischen Aktienmärkten die geopolitische Entspannung vor der eigenen Haustür zugute. Ebenso werden europäische und speziell deutsche Unternehmen vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren. Im industriellen Bereich haben sie immer noch großartiges und weltweit nachgefragtes Know-How. Längerfristig ist realpolitisch sogar die Wiederaufnahme von direkten russischen Energielieferungen möglich. Indirekt finden sie schon heute über Zwischenhändler statt.
All diese pro-europäischen Argumente schlagen sich in etwas rückläufigen Bewertungsabschlägen von europäischen und deutschen Aktien zur US-Konkurrenz nieder. Dennoch sind diese im historischen Vergleich immer noch beträchtlich und so die Nachholpotenziale noch lange nicht ausgeschöpft.
Insbesondere europäische Zykliker, substanzstarke Value-Aktien mit ertragreichen Geschäftsmodellen und stabilen Cashflows werden profitieren. Das spricht dafür, dass auch die Werte aus der zweiten deutschen Aktienreihe zu denen der weit vorgelaufenen, ersten aufschließen.
Konkret sind Industriewerte u.a. aus den Bereichen Elektrotechnik und Transport wegen der erkennbar weltkonjunkturellen Erholung attraktiv. Banken profitieren von einer gesteigerten Rentabilität und Aktienrückkäufen. Aber auch im Sektor Gesundheit finden sich Perlen mit stabil hohen Margen, die teilweise deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Gleichzeitig können sie solide Bilanzen mit geringem Verschuldungsgrad vorweisen. Dabei profitieren sie von Wachstumsperspektiven durch Innovationen, Fusionen und Übernahmen. Sogar Autowerte sind wieder im Kommen.
Nicht zuletzt werden in der Eurozone konjunkturelle Aktien-Handicaps geldpolitisch gemildert. So sprechen die Konjunkturrisiken selbst bei weniger nachlassenden Inflationsraten für eine fortgesetzte Zinssenkungspolitik der EZB. Auch die Terminmärkte rechnen damit, dass die EZB ihren Einlagenzins bis Herbst auf 2 von aktuell 2,75 Prozent absenken wird. Dagegen könnte der Senkungsprozess der Fed 2025 bei einem Leitzins von 4,25 nach aktuell 4,5 enden oder gänzlich ausfallen.
Sicher, mit Technologie besetzt Amerika unangefochten den zukunftsträchtigsten Wirtschaftssektor. Doch geht es zukünftig immer mehr um die Anwendung von KI, die zu allgemeinen Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen bei z.B. Industrieunternehmen führt.
Insgesamt ist weiter mit einer Verringerung des Performance-Vorsprungs amerikanischer zu europäischen Aktien zu rechnen.
Trump hat den Erfolg seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik immer an den US-Aktienmarkt geknüpft. Er ist sein Seismograph. Wenn Wall Street nicht läuft und daher die Altersvorsorge der Amerikaner lahmt, wird dies das Image von Donald Trump in der Bevölkerung trüben und für ihn zu unschönen Konsequenzen bei den Zwischenwahlen Ende 2026 führen.
Trump wird andere Länder z.B. handelspolitisch weiter schikanieren. Daher ist der globale wirtschaftspolitische Unsicherheitsindex auf den höchsten Stand seit Corona 2020 angesprungen, so dass höhere Kursschwankungen zu erwarten sind. Einen Börsencrash wird Trump aber nicht riskieren.
In Erwartung sich früher oder später abzeichnender Deals spricht jedoch wenig für bedrohliche Ausverkäufe.
Unter Anleger macht sich FOMO („fear of missing out“) breit. Aus Angst, der Rallye hinterherzulaufen, geben sie ihre zurückhaltende Haltung auf. Dabei fahren sie jedoch ihre Absicherungen an den Terminmärkten gegen fallende Kurse herunter. Erneute Rücksetzer würden die optimistischen Anleger auf dem falschen Fuß erwischen und könnten so ruckartig für Kursrücksetzer sorgen. Dieses „Luftloch“ würde allerdings - wie in letzter Zeit üblich - schnell bereinigt.
Der sich im neutralen Bereich befindende Fear & Greed Index von CNN Business deutet nicht auf eine deutliche Korrektur hin.
Setzt der DAX seinen Aufwärtstrend fort, trifft er bei 22.625 und 23.408 Punkten auf Widerstände. Bei Rücksetzern liegen Unterstützungen bei 22.194, 21.689 und 21.390 Punkten.