Die Outperformance Europas gegenüber den USA zu Jahresbeginn hat der Ukraine-Konflikt beendet. Unsere Aktien leiden unter der geographischen Konfliktnähe, ihrer Rohstoffabhängigkeit und zyklischen Ausrichtung. Dagegen gilt Amerika als sicherer, energieunabhängiger Anlagehafen, verfügt über einen großen Binnenmarkt und profitiert im Moment von seinen attraktiven Verteidigungs-, Energie- und Agraraktien. Aber wie besiegelt ist Europas Aktien-Schicksal wirklich?
Noch sorgen weiter nachgebende Corona-Schutzmaßnahmen dafür, dass sich die Stimmung in Industrie und bei Dienstleistern in expansivem Terrain hält.
Aber zunehmende Lieferausfälle der Ukraine bei drastischen Kostensteigerungen werden den industriellen Aufschwung abbremsen. Hinzu kommen hohe Sprit- und Lebensmittelpreise, die wie ein Kaufkraftsauger im Dienstleistungssektor wirken werden. Folglich wird der fundamentale Rückenwind für das Gewinnwachstum von Euro-Aktien nachgeben.
Leidtragend sind zunächst europäische Banken aufgrund befürchteter Kreditausfälle. Industrie- und Chemieaktien machen die steigenden Rohstoffkosten zu schaffen. Und bei Autoherstellern herrscht mit Blick auf fehlende Vorprodukte Absatzunsicherheit.
Dagegen profitiert Amerika im Vergleich von seiner geographischen Distanz zum Konfliktherd, einer gewaltigen Binnenkonjunktur, Energiesicherheit und attraktiven Aktien aus den Bereichen Verteidigung, Agrar, Energie und Technologie, die ziemlich konjunktur- und kriegsunabhängig sind. Diese Argumente sorgen für eine Outperformance von US- zu Euro-Aktien, obwohl der reine Gewinntrend noch für Europa spricht.
Gegenüber der Fundamentalschwäche kommen die Aktienmärkte der Eurozone jedoch in den Genuss einer immer noch beeindruckenden Liquiditätspolitik der EZB, wodurch Zinssparen sich nicht lohnt. Ihre Bekämpfung der Corona-Krise, die der Erlösung von der Euro-Krise folgte, geht nahtlos in die Abfederung der Ukraine-Krise über.
So betont die EZB immer wieder, dass ihre Geldpolitik nicht im Gleichklang mit der aktuell falkenhafteren Fed verlaufen werde. Die Botschaft ist klar: Die alternative Energiesicherheit, Aufrüstung sowie Verbraucherentlastungen übernimmt die EZB auf der Finanzierungsseite. Die Bedenken angesichts einer schwachen Inflationsbekämpfung kontert sie mit Verweis auf grüne Energieversorgung, die angeblich auf lange Sicht deflationär wirke. Wie sagte einmal der britische Nationalökonom John Maynard Keynes: „Auf lange Sicht sind wir alle tot“.
In der Tat hat die EZB der Fed den Rang als Rettungsengel längst abgelaufen. Ihre Bilanzsumme, die Rückschlüsse auf den Grad der Staatsfinanzierung zulässt, ist auf 70 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen. Dagegen sind es bei der Fed lediglich 38 Prozent.
Leider unterstreicht die überdimensionierte Dauerrettung der EZB auch die im Vergleich zu Amerika großen Strukturprobleme Europas. Ihre vermeintliche gute Tat ist zudem ein Zukunfts-Fluch: Das geldpolitische Lösen von Problemen schwächt das Leistungsprinzip, was marktwirtschaftliche Wirtschaftspotenziale liegen lässt. So werden nicht Unternehmer, sondern Unterlasser gefördert. Und das kostet Europas Aktien im Vergleich zu Amerika fundamentale Punkte.
Diese geldpolitische Divergenz wird sich in den kommenden Monaten noch verschärfen, wenn die Fed ab Mai ihre Bilanzverkleinerung beginnt. Und während Fed-Chef Powell auch eine zinspolitische Wurzelbehandlung mit Leitzinserhöhungen von 0,5 Prozentpunkten nicht mehr ausschließt, ist bei der EZB zunächst maximal mit einer Anhebung des Einlagensatzes zu rechnen. Die aktienstabilisierende Liquiditätshausse geht also vor allem in der Eurozone und weniger in den USA weiter.
Die vergleichsweise restriktivere Geldpolitik der Fed sendet aber rezessive Warnsignale in Form einer sich bereits stark verflachenden US-Zinsstrukturkurve. Inverse Zinsstrukturen haben historisch mit zeitlicher Verzögerung von 12 bis 18 Monaten tatsächlich zu Wirtschaftsabschwüngen geführt, was US-Aktien fundamentale Kraft gegenüber Europa nimmt.
Daneben sind Europas Aktienunternehmen derzeit mit einem Bewertungsabschlag zur US-Konkurrenz von rund 35 Prozent ausgestattet.
Ebenso liegen in Deutschland und der Eurozone insgesamt die durchschnittlichen Gewinn- abzüglich Staatsanleiherenditen weit über denen der USA.
Die Bewertungsabschläge mögen angesichts der relativen geopolitischen und strukturellen Probleme Europas aktuell gerechtfertigt klingen. Dieses anlegerpsychologische Handicap verdeckt jedoch die Tatsache, dass die börsennotierten europäischen Unternehmen im Durchschnitt etwa zwei Drittel ihrer Umsätze auf anderen Kontinenten erzielen.
Natürlich ist es verfrüht, ein nachhaltiges Ende des Ukraine-Konflikts zu erwarten, zumal die dann herrschenden geopolitischen, energetischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten noch nebulös sind.
Gleichzeitig ist es aber auch unsinnig, von Endzeitstimmung zu sprechen. Selbst diese sicher schwere Krise wird ein Ende finden. Bei Befriedung des Konflikts und einer weltkonjunkturellen Beruhigung werden europäische und deutsche Aktien gerade wegen ihrer zyklischen sowie export- und Value-orientierten Ausrichtung gefragt sein und ihren Rückstand zu Amerika aufholen. In Vorbereitung sollten die grundsätzlich fundamental aussichtsreichen Titel gesichtet und dann in Form von sukzessiven Aktienkäufen erworben werden.
Eine willkommene Sorgenpause für in Deutschland und Europa investierte Anleger bietet die bevorstehende Dividendensaison. So bietet der DAX eine durchschnittliche Dividendenrendite von drei Prozent. In der Eurozone sind es mit 3,2 Prozent und bei einem reinen Dividendenindex mit 3,6 Prozent sogar noch ein wenig mehr. Amerika ist hier bescheidener. Nicht zuletzt haben dividendenstarke Aktien eine kursstabilisierende Wirkung.
Gegenwärtig scheint eine Waffenruhe genauso wahrscheinlich zu sein wie eine weitere Eskalation oder ein zermürbender Ermüdungskrieg.
Jetzt fordert der Kreml von den aus seiner Sicht „unfreundlichen Staaten“ u.a. aus der EU, russische Gaslieferungen in Rubel zu bezahlen. Mit dieser Vertragsverletzung will Putin die westliche Welt vorführen, die - um weiter Energie importieren zu können - russische Währung bei der Notenbank erwerben müsste, was ihre eigene Sanktionspolitik verwässert. Die Retourkutsche Europas müsste jetzt sein, zumindest ein Ölembargo wie die USA und Großbritannien zu verhängen.
Das würde die deutsche Wirtschaft ohne Zweifel hart treffen, würde Putin aber einen wichtigen Trumpf nehmen.
Die Aktienbörsen haben sich auf diese Unwägbarkeiten eingestellt. Nach zwischenzeitlicher Erholung wollen sie weder kräftig nach oben noch nach unten.
Aus Sentimentsicht untermauert die anhaltend niedrige Investitionsquote unter US-Fondsmanager die Skepsis institutioneller Anleger gegenüber einer nachhaltigen Aktienerholung.
Immerhin signalisiert der Anteil der Optimisten abzüglich der Pessimisten am US-Aktienmarkt abnehmende Risikoaversion. Er lässt seine Extremwerte hinter sich. Stimmungsseitig scheint das Schlimmste hinter uns zu liegen, was erwarten lässt, dass uns eine dramatische zweite Verkaufswelle, sozusagen ein Aktien-Double Dip, erspart bleibt.
Jedoch dürften Anleger zunächst zwischenzeitlich Erholungen nutzen, um sich von verbliebenen Engagements zu trennen. Wir sind noch nicht durch!
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 14.350, 14.375 und 14.405 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 14.539, 14.553, 14.558 und 14.815. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 14.224, 14.109, 14.103 und der psychologisch wichtigen Marke bei 14.000. Werden diese unterschritten, drohen Verluste bis 13.994, 13.939 und 13.917 Punkten.